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Wie Familie Morgenstern Geschenke von der alten Frau bekam

© Holger Bernhardt


Schnee lädt immer zum Spielen ein. So war es auch bei den Kindern, die von der Schule kamen, Sie stürzten sich in die weiße Pracht, da flogen Schneebälle hin und her, Ranzen wurden in die Ecke geworfen. Die Kinder waren neu auf dem Gymnasium. Es war ihr erster Winter, aber der Schnee in seiner Pracht lud auch dazu ein, sich gegenseitig zu bewerfen, zu toben, zu schreien, sich zu freuen. So war es laut gewesen, als diese Horde von Kindern sich balgte.
Leider ging ein Fenster kaputt. Die Gruppe suchte das Weite, jeder hatte seinen Ranzen gegriffen und war geflüchtet. Nur er stand da und wunderte sich, warum alle verschwanden. Da war ein Mann aus dem Haus gestürzt, hatte ihn an seinem Anorak gepackt und hinter sich her gezogen, die Treppe hinauf. Er war so verdattert, dass er das alles mit sich machen ließ. Er hatte das kaputte Fenster im Kopf, zwar hatte er es nicht eingeworfen, aber er war dabei gewesen, als es passierte. Der Mann zog ihn in eine Wohnung, wo schon 1 Frau stand, die ihn mit verschränkten Armen fragte: "War der das?"
Da wurde ihm doch komisch und er fing an zu weinen. "Er weint." Der Mann beugte sich herab. "Das ist sicher nur das schlechte Gewissen." Er schleifte ihn weiter in das Wohnzimmer. Dort saß eine alte Frau lächelnd auf dem Sofa. Sie sagte: "Aha", als die Tür aufging.
Der Junge wischte sich die Tränen ab. "Möchtest Du ein Stück Torte?" Er sah sie an und schüttelte wortlos den Kopf. "Du brauchst keine Angst zu haben." Zögernd ging er zum Tisch.
Nun sprach die Frau. "Mama, denk an das Fenster, sei nicht so nett zu ihm." "Ich war das nicht", sagte er. Er sah von einem Erwachsenen zum anderen.
Der Mann sagte: "Wir holen jetzt Deine Eltern." Statt zu antworten schluckte er nur.
Als später seine Eltern kamen, da saß er schon am Tisch und aß von dem Kuchen. Die alte Frau hatte ihn noch einmal eingeladen und nun konnte er nicht nein sagen. Als seine Eltern kamen und die Geschichte mit dem Fenster hörten, waren sie sehr betroffen. "Aber ich war es nicht", sagte der Junge. Die Frau fragte: "Aber wer war es denn dann?" Als Antwort zuckte er mit den Schultern.
Nun übernahm die alte Frau wieder die Regie. Sie lud auch die Eltern ein, sich zu setzen. So saßen sie zu sechst am Tisch. Da begann der Mann zu erzählen. Sie waren dabei die alte Frau auszuziehen, sie sollte in ein Altersheim. Das hatte man noch vor Weihnachten machen wollen. Nun saß man hier und feierte noch etwas.
Wie sich die Erwachsenen so unterhielten, stand die alte Frau auf und ging hinaus, dabei winkte sie dem Jungen zu. Der folgte ihr in ein Zimmer. Dort öffnete die Frau einen Schrank und gab ihm einen Schuhkarton. "Für Dich", sagte sie. Er war sehr dankbar. Seine Eltern waren sehr arm und für ihn und seine Geschwister war nicht viel Geld da, so gab es selten Geschenke oder Spielzeug. Er öffnete vorsichtig die Kiste, darin waren Holzspielzeuge und alte Briefmarken. Er bedankte sich.
Als er und seine Eltern später gingen, hatten sie die Arme voll von Dingen, die die alte Frau ihnen geschenkt hatte. Sie brauchte das alles nicht mehr und als sie gehört hatte, wie arm die Familie war, da hatte sie ihre Sachen gerne hergegeben. Auch ihre Tochter war froh, es war zu schade, viele der Dinge wegzuwerfen.
Von der kaputten Scheibe sprach niemand mehr.
Was aus der alten Frau wurde, hatte er nicht erfahren.
Später, als er studiert hatte und schon lange berufstätig war, da hatte er den Karton eines Tages herausgezogen und die Sachen angesehen. Das Holzspielzeug war ihm ein treuer Begleiter gewesen. So saß er über den Briefmarken und nahm eine nach der anderen in die Hand und betrachtete sie.
Da setzt sich sein Sohn zu ihm. Nun betrachteten sie gemeinsam die Dinge. Der eine hatte viele Erinnerungen an seine Jugend, der andere betrachtete aufmerksam die Marken, weil er selber ein Sammler war.
Da war ein erstickter Schrei zu hören. "Siehst Du diese hier, Papa?" Der schaute neugierig auf die Marke in der Hand seines Sohnes. Eine nette rosa Marke. Aber nicht ungewöhnlich. "Sieh'", sagte sein Sohn, "das ist ein Fehldruck! Die Null ist tiefer als die Zahl davor. Ich kenne die Marke, Papa, die ist viel Geld wert." Und so war es tatsächlich. Die Marke war viel Geld wert. Die alte Frau war sicher gestorben, auch die Familie fand sich nicht mehr, als er nach dem Verkauf der Marke versuchte, jemanden zu erreichen. So war er plötzlich reich geworden.
Reicher als er jemals durch die Studiererei und das Arbeiten werden könnte.
Manchmal sind es die kleinen Dinge nebenbei, die eine große Wirkung haben.



Eingereicht am 09. April 2006.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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