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Der Weihnachtswald

© Birge Laudi


In einem Dorf am Rand eines großen Waldes lebte ein Landwirt mit seiner Familie. Obwohl er fleißig von früh bis abends arbeitete, warf sein Hof nicht mehr genug zum Leben ab. Der Bauer suchte sich in der nahegelegenen Großstadt eine Arbeit und seine Landwirtschaft betrieb er zusammen mit seiner Frau am Abend im Nebenerwerb. Da er sein Einkommen ein wenig aufbessern wollte, ohne sich ein Mehr an Arbeit aufhalsen zu müssen, dachte er an den Anbau und den Verkauf von Christbäumen.
Bald hatte er ein geeignetes Stück Land umgebrochen und mit vielen kleinen Fichten bepflanzt. Er setzte nichts dazwischen, was den Nadelbäumchen Licht und Nahrung hätte rauben können. Nichts, was ihren ebenmäßigen Wuchs beeinträchtigen konnte. In sauberen, schnurgeraden Reihen standen sie da, kostbar und verhätschelt. Die berechtigte Hoffnung auf spätere reiche Ernte.
Die Winzlinge wuchsen und entwickelten sich zu wunderschönen, über mannshohen Bäumchen. Es war eine Freude, sie anzuschauen und sie bereits im Geiste voller Kerzen und bunten Kugeln in weihnachtlichem Schmuck zu sehen.
Unter den schattenden Ästen der Fichten suchten Hasen Schutz und manch anderes Kleingetier richtete sich in dem Dickicht des Christbaumwaldes ein. Es war eine etwas einförmige, doch glückliche Gesellschaft, die hier Wohnung und Nahrung fand. Nur die Bäumchen waren traurig. Sie wussten, dass sie nie zu großen und starken Bäumen würden heranwachsen können.
Eines Tages entdeckten die drei Kinder des Landwirtes diesen verwunschenen kleinen Wald. Sie nannten ihn ihren Weihnachtswald, da an den Bäumchen die Spinnweben glänzten wie das Engelshaar an ihrem Christbaum zu Weihnachten. Die Tautropfen glitzerten darauf wie tausend kleine Kerzen. Verzaubert nahmen die Kinder Besitz von diesem Wald. Belebten ihn mit ihrem Spiel.
Unsichtbar in der Tiefe des Wäldchen bauten sie sich eine kleine Hütte aus Zweigen. Das war ihr Stall für Ochs und Esel und sie spielten mitten im Sommer Weihnachten. Spielten Maria und Josef und das jüngste der Drei durfte das Jesuskind sein. Es lag auf einem weichen Bett aus trockenem Gras zwischen den Bäumen vor der Hütte. Der Josefknabe aber begann zu erzählen: 'Und es begab sich...', so wie er es am letzten Weihnachtsfest in der Kirche gehört hatte. Die Vögel in den Ästen der Bäume sangen dazu das 'Hallelujah' der biblischen Engelsschar.
Tag für Tag schien die Sonne über dem Weihnachts-Spiel der Kinder. Kein Regen vertrieb sie aus ihrem Weihnachtswald. Es war ein heißer und strahlend schöner Sommer. Und alle freuten sich daran.
Als sich das Jahr dem Ende zuneigte und Weihnachten näher rückte, da wollte der Bauer endlich seine ersten Christbäume ernten. Doch ach, die sahen nach dem trockenen und heißen Sommer müde aus. Schütter war ihr Nadelkleid geworden und hatte seine glänzende Frische verloren.
'Dann warte ich eben noch ein Jahr zu', sagte er und die Kinder freuten sich, dass keiner ihrer Baumfreunde sterben musste.
Als der Winter vorbei war, da brach das Unglück über den Weihnachtswald herein. Eine Krankheit befiel die Bäumchen, die so eng standen dass sich ihre Zweige fast berührten. Die Krankheit sprang von einem Baum auf den anderen über und einer um den anderen verlor seine Nadeln und starb. Bald war der Weihnachtswald nur noch ein Wald von nackten Baumgerippen.
Traurig standen die Kinder vor ihrem einstigen Paradies. Das Hallelujah! der Vögel war verstummt und die verlassenen Spinnennetze lagen wie Leichentücher auf den bleichen Zweigen. Alle Hoffnung des Bauern auf ein Zubrot war zerstört. Und doch konnte er sich nicht dazu überwinden, den toten Wald abzuschlagen.
Als wieder der Weihnachtsabend kam und die Familie in der kleinen Dorfkirche das 'Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden' hörte und neben dem Altar ein mit Sternen und Lichtern geschmückter Christbaum stand, da beteten die Kinder: 'Lieber Gott, lass unseren Weihnachtswald wieder grün werden' und der Bauer dachte verbittert: 'Womit habe ich das verdient?'
Nach dem Krippenspiel nahmen die Bauersleute ihre Kinder und sagten: 'Jetzt gehen wir in den Weihnachtswald'. Und sie gingen in der sternklaren Nacht hinaus aus dem Dorf, nahmen den Weg zu ihrem toten Wald.
Es war eine stille Nacht, eine heilige Nacht. Alles schlief, die Vögel, die anderen Menschen im Dorf. Nur die Eltern und ihre Kinder waren noch wach. Eine dünne Schneedecke, die vor ein paar Tagen auf die nackten Äste gefallen war, umgab die Bäume mit einem geheimnisvollen Glanz.
Der Himmel war übersät mit Millionen von leuchtenden Sternen. Plötzlich regte es sich auf dem glitzernden Firmament. Sternschnuppen fielen, zu Hunderten auf einmal, zogen ihre glänzende Bahn bis hinab zu dem toten Weihnachtswald. Und als die Familie an ihren dürren Wald kam, da funkelten die Sternschnuppen wie tausend Lichter auf den Zweigen.
Die Vögel im nahen Hochwald waren aufgewacht. Sie kamen angeflogen und sangen mitten in der kalten Nacht. Die Spinnen krochen unter dem vertrockneten Gras hervor, liefen über den Schnee und webten in dem kahlen Gezweig ihr Engelshaar. Die Bäumchen aber, die nun nicht mehr nackt in der kalten Nacht standen, begannen mit ihren Zweigen zu knistern und zu wispern und das Licht der Sternschnuppen und die Wärme des Engelshaares weckten sie aus ihrer Todesstarre.
Die Bauernfamilie stand staunend vor diesem Wunder der Christnacht und hörte die Bäume flüstern und lauschte auf ihr Versprechen, dass nun eine neue Zeit beginne. Das schlimme Jahr sei vergessen.
Und das Wunder geschah. Noch in der Weihnachtsnacht begannen an den Bäumchen frische grüne Nadeln zu wachsen. Die Vögel sangen 'Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden'. Der Bauer aber und seine Familie gingen getröstet und erfüllt von diesem wunderbaren Erlebnis nach Hause.
Der Weihnachtswald, er steht noch heute. Keinen einzigen Baum hatte der Bauer gefällt. Und weil er erkannt hatte, dass es ein Fehler ist, zu glauben, eine Gemeinschaft aus nur einer einzigen Art könne stark und gesund erhalten werden, mischte er Artfremde unter sein Fichtenvolk. Das Nebeneinander von jungen und alten Bäumen, von Fichten und verschiedenen anderen Baumarten bekam seinem Weihnachtswald gut. Er entwickelte sich prächtig und alle Christbäume waren groß und kräftig geworden. Mannigfaltiges Getier fand hier seine Heimat. Pilze wucherten im feuchten und nahrhaften Schatten. Seltene Gewächse trieben ihre Blüten. Aus der Vielfalt war ein reiches Waldleben entstanden.
Die Kinder von einst waren mit den Bäumen herangewachsen. Jetzt führten sie bereits ihre Kinder an jedem Weihnachtsabend in den Wald und erzählten ihnen von dem Wunder in der Christnacht vor vielen, vielen Jahren.
Wenn ihr mit wachen Augen und Ohren durch die Welt geht und fleißig danach sucht, so werden auch euch eines Tages die Sternschnuppen den Weg weisen und ihr werdet den Weihnachtswald finden. Manchmal sogar mitten in eurer Stadt. Ihr werdet ihn gleich erkennen, denn die Vögel singen dort: 'Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden!'



Eingereicht am 13. März 2006.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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