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Überraschung für den Nikolaus. Eine wahre Weihnachtsgeschichte

© H. H.


Die wohl schlimmste Zeit im Jahr für einen kleinen Jungen ist die, wenn der Nikolaus kommt. In diesem Zusammenhang vermeide ich bewusst die kleinen Mädchen zu erwähnen. Die sind ja von Natur aus immer eine Idee besser als kleine Buben und, wie jeder weiß, pausenlos brav. Ein Umstand, den ich als Fünfjähriger äußerst ungerecht fand. Schließlich kann ein kleiner Junge nicht das Geringste dafür, dass er ein Junge ist.
Aber zurück zum Nikolaus, um den es in meiner Geschichte eigentlich geht. Schon Wochen vor dem aufregenden Ereignis bemühte ich mich so gut es eben ging nicht unangenehm aufzufallen. Aber was ich auch tat, es lief jedes Mal falsch. Einmal kehrte ich mit einem großen Riss in meiner nagelneuen Hose nach Hause zurück. Und das nur weil ich mich von einem knorzigen Baum animiert fühlte, an ihm hochzusteigen. Ein anderes Mal wusste ich eine mitgebrachte Kröte nicht so perfekt zu verstecken, dass Mama sie nicht gleich beim Aufräumen fand. Dann vergaß ich über den Zeitraum mehrerer Wochen meine Schuhe zu putzen oder ich riss einem Mädchen im Kindergarten so an den Zöpfen, dass ihr alter Herr schäumend vor Wut meinen Papa aufsuchte und sich lautstark über mein ungezogenes Benehmen beschwerte.
Da wir zu Anfang der Fünfziger Jahre als Erste in der Straße ein richtiges Telefon besaßen, fühlte ich mich geradezu vom Schicksal dazu berufen das Wunderding wenigstens einmal auf seine Funktionstüchtigkeit zu prüfen. Ich erinnere mich noch gut, wie kreidebleich meine Mama wurde, als sie die Erste, zweifellos durch mein starkes Mitteilungsbedürfnis verursachte Telefonrechnung in Höhe von unglaublichen achtzig Mark in den zitternden Händen hielt.
Nun hätten alle diese dummen Vorfälle ohne weiteres im Zeitraum von Januar bis Oktober passieren können - aber nein, ich beging meine schwerwiegendsten Fehler dämlicher Weise stets kurz vor dem sechsten Dezember.
Die Erwachsenen hatten es bezüglich des Nikolausabends hundert Mal besser. Erstens wagte sich der Nikolaus an sie nicht so schnell heran, weil sie ihm sicher eins auf die von der Kälte rot gefärbte Nase gegeben hätten. Zum Zweiten taten die großen Leute das ganze Jahr über nichts Böses oder aber wir Kinder erfuhren das nie. So erinnere ich mich noch sehr gut, als meine Mutter einmal meinen Vater aufforderte, Opa und Oma doch mit dem Wagen zur Kirche zu chauffieren und vielleicht auch gleich seine Sünden zu beichten. Da jedoch meinte Papa, er hätte nicht die geringste Ahnung was er eigentlich dem Pfarrer erzählen solle, da er sich ja die ganze Zeit über niemals etwas zu schulden kommen lassen.
Ohnehin wurde so kurz vor der Weihnachtszeit jede Menge bei uns in der Kirche gebeichtet. Beichten war - so verstand ich es jedenfalls damals - eine Sache, die sich die großen Leute hatten einfallen lassen, um der Rute des Nikolaus entgehen zu können.
Auf alle Fälle schleppte Opa mich immer und überall hin und dabei bildete auch unsere Kirche keine Ausnahme. So saß ich schließlich also gesenkten Hauptes in einer der Bänke, wo man weder essen, schlafen, noch in einem Micky-Maus- oder einem Fix-und-Foxi-Heft blättern durfte. Das hatten der Herr Pfarrer und der liebe Gott nämlich ausdrücklich verboten. Inzwischen verschwand Opa in einer dieser mit kleinen Vorhängen versehenen, schwarzen Holzschränke, die man Beichtstuhl nannte. Eigentlich hatte das Ding nicht das Geringste mit einem Stuhl zu tun, denn die schwarzen Schafe, die sich in diese Kiste hinein wagten, mussten knien. Außer meinem Opa war auch noch der Pfarrer im Beichtstuhl und der arme Mann musste sich nun stundenlang all den Blödsinn anhören, den die großen Leute so die letzte Zeit verbrochen hatten.
Und wie immer kam Opa dann, nach einer Weile, mit fürchterlich ernstem Gesicht wieder aus dem Beichtstuhl und kniete sich ein ganzes Stück weg von mir auf eine Bank. Dann tat er als ob er alle seine Sünden ganz fürchterlich bereuen würde, wobei er voller Inbrunst betete. Ich habe ihm stets seine Reue geglaubt, bis ich einmal durch Zufall hörte, dass er, anstatt ordentlich zu beten, bis hundert zählte. Das aber tat er so leise, dass es glaubte niemand könne ihn hören. Überhaupt habe ich damals herausgefunden, dass je nachdem wie lange einer zählte, man ungefähr abschätzen konnte, wie viel er angestellt hatte. An dem besagten Tag vor dem Nikolaustag fiel mir wieder einmal besonders jene ältere Dame auf, die für mein kindliches Verständnis ohne jeden Zweifel unter einer der vielen Holzbänke wohnen musste. Und die war dauernd am zählen. Die zählte schon als wir die Kirche betraten und als wir rausgingen, saß sie immer noch da. Ich schätze mal, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt bei
Elftausendfünfhundertundunddrei oder so angekommen sein musste. An diesem Abend habe ich mir viele Gedanken gemacht, was diese böse Frau wohl angestellt haben musste. Jedenfalls war Opa - als wir die Kirche endlich verließen - frei von allen seinen Sünden. Und damit war er, wie jedes Jahr, wieder einmal darum herumgekommen vor dem Nikolaus über die Rute zu springen.
Von einer schlimmen Sache, die Opa bestimmt hat beichten müssen, weiß ich heute noch. Neben den Gedichten nämlich, die ich stets für Sankt Nikolaus lernen musste, hat er mir auch eins beigebracht und das ging so:
"Der Gabentisch ist öd und leer,
die Kinder glotzen blöd umher.
Da lässt der Vater einen krachen
- die Kinder lachen.
So kann man auch mit kleinen Sachen
den Kindern große Freude machen!"
Das von Opa gelernte Gedicht hat mir zwei schallende Ohrfeigen eingebracht und dem ollen Nikolaus wurde es zusätzlich auch noch gesteckt, dass er es in sein staubiges, altes Nikolausbuch eintragen konnte. Trotzdem aber war es eine Ehrensache für mich, meinen Opa nicht zu verraten. Das hätte ich ohnehin niemals getan.
Der Nikolausabend rückte näher und ich wäre zu gerne einmal auf den Speicher gegangen, wo der Nikolaus angeblich residierte und auch seinen ganzen Krimskrams liegen hatte. Doch das hatte man mir verboten. Erlaubt war mir zu dieser Zeit nur in den Keller zu gehen, um Getränke zu holen, obwohl dort der Butzemann hauste. Diesem Kerl bin ich aber Gott sei Dank nie begegnet. Vielleicht lag dies auch nur an meiner Vertreibtaktik, die ich damals viele tausend Mal ungeheuer erfolgreich anwandte. Jedes Mal, wenn ich in den Keller musste, pfiff und sang ich so laut ich nur konnte. Dabei bildete ich mir ein, ich wäre Sigurd, Tarzan oder ein anderer gewaltiger und Furcht einflößender Held aus einem der Comic-Hefte oder Kinofilme, die ich damals für nur fünfzig Pfennige im Kino hatte sehen dürfen. Das mit dem Butzemann im Keller hatte mir Opa übrigens auch erzählt und ich habe es ihm ohne den geringsten Zweifel zu erheben geglaubt. Na ja, im Gegensatz zu heute, wo man die Kinder mit dem Kettensägenmörder erschreckt, der seinen bedauernswerten Opfern die Arme und Beine und manchmal sogar den Kopf absägt, hatten die Butzemänner aus den guten alten Fünfzigern wenigstens noch Niveau.
Der Nikolausabend begann für mich schon sehr früh am Morgen. Zuerst kam mal ein Nikolaus mit einer original Bischofsmütze in den Kindergarten. Das Gute an diesem Nikolaus war, dass er mit seinem Stock, der ein original Bischofsstock war, niemanden von uns verprügeln durfte. Zum einen war das Ding viel zu unhandlich und zum anderen durfte man damit ein Kind in einem katholischen Kindergarten sowieso nicht schlagen. Nachher gab es auch immer ein paar von den Plätzchen, die Mama schon im November für den heiligen Mann gebacken hatte und die er dann großzügig an uns verteilte. Wobei für mich völlig im Dunkeln lag, warum das Mama nicht selbst tat, denn auf diese Art hätte man sich den alten Zausel sparen können. Aber irgendwie ging das auch nicht. Am Ende wäre er uns dann noch oben auf dem Speicher gestorben, weil er, als arbeitsloser Nikolaus nichts Sinnvolles zu tun hatte.
Im Großen und Ganzen war der Kindergartennikolaus ein mehr als freundlicher Mann, was man von den anderen bei uns in der Stadt nach Einbruch der Dunkelheit herumirrenden Nikoläusen nicht sagen konnte. Diese Kerle, die einfach daran zu erkennen waren, dass sie Zipfelmützen und große Ruten trugen, steckten einen kleinen und nichts Böses ahnenden Buben auch mal in ihren Sack, um ihn mitzunehmen. Noch gefährlicher waren diese nachgemachten Nikoläuse, wenn sie nicht alleine kamen, sondern noch einen Furcht einflößenden schwarzen Mann dabei hatten, der fortwährend mit irgendwelchen rostigen Ketten rasselte. Opa erklärte mir mal, dass der Begleiter des Nikolaus ein entfernter Verwandter des mir hinlänglich bekannten Butzemanns wäre, was mir meine Gänge in den Keller noch viel schwerer machte, als sie ohnehin schon waren.
Während ich zwar nicht mit Hingabe, jedoch mit großer Sorgfalt, am Nikolausabend alle meine Schuhe putzte - das waren mindestens sechs Paar, einschließlich der Rollschuhe - ergab sich zwischendurch die Möglichkeit mal einen vorsichtigen Blick nach draußen auf die Straße zu werfen. Das half mir einen, wenn auch nur ausschnittsweisen Überblick zu erhalten, wie viele dieser zipfelbemützten Ungeheuer unsere Gegend verunsicherten.
Wie in diesen Tagen üblich, waren ungeheure Massen von Nikoläusen unterwegs, was in meinen kindlichen Gedanken den Verdacht aufkeimen ließ, dass da etwas nicht stimmen konnte, denn so viele Speicher konnte es in unserer kleinen Stadt gar nicht geben. Als ich mit allen meinen vielen Schuhen fertig war, stellte ich sie fein säuberlich draußen vor der Türe auf. Anschließend begab mich nach drinnen, um meine kleinen Händchen vom Schmutz der harten Arbeit zu befreien. Anschließend wurde ich von meiner Mutter gezwungen einen meiner scheußlich sauberen Anzüge anzuziehen, die überall pieksten und zwickten. Dann durfte ich noch mal kurz raus in den Hof, um den nächtlichen Himmel anzuschauen. Schließlich wollte ich ja wissen von wo aus der Nikolaus eintreffen würde. Anstatt ihn aber mit seinem alten Schlitten über den Himmel sausend zu erblicken, stellte ich kurz darauf fest, dass der weißbärtige Heilige schon längst unter uns weilte. Ein paar Meter entfernt hörte ich nämlich die Schmerzensschreie meiner gleichaltrigen Spielkameraden aus der Nachbarschaft, an denen Sankt Nikolaus schon die gnadenlose Treffsicherheit seiner hundsgemeinen Rute ausprobierte. Voll der Hoffnung, dass er mich dieses eine Mal wenigstens vergessen würde, schlich ich gebeugt wieder zurück ins Haus, wo mich meine Mutter auf das Sofa platzierte.
Nun gibt es ja für ein Kind nichts Schlimmeres als zu warten.
Wenn man aber dazu noch auf den Nikolaus warten muss, wird die Sache schon nach nur schlappen drei Minuten zu einer nicht enden wollenden Qual. Über den Zeitraum von vielleicht einer halben Stunde zuckte ich ständig zusammen, wenn ich draußen ein paar Schritte hörte. Dann schließlich nahm das Schicksal seinen unaufhaltsamen Lauf und die Klingel an der Haustüre zerriss mit ihrem ins Mark gehende Schrillen die vorher so behagliche und anheimelnde Stille.
Zu allem Überfluss war Sankt Nikolaus nicht alleine gekommen, sondern er hatte auch noch Opa und Oma und unsere neugierige Nachbarin mitgebracht. Gott sei Dank war der kettenrasselnde Gehilfe des heiligen Mannes diesmal woanders unterwegs. Am Ende saßen sie alle im Wohnzimmer. Aber sie gafften mich nicht nur voll unverhohlener Schadenfreude an, sondern fotografierten mich auch noch. In diesem Augenblick der Angst half auch keine Ausrede mehr, wie beispielsweise: "Ich muss noch mal dringend aufs Klo" oder etwas ähnlich Dämliches. Da hieß es ruhig und ohne zu mucken auf der gleichen Stelle zu verharren und seinen Mann oder besser 'sein Kind' zu stehen.
Die Tortour begann mit dem Aufsagen von ein oder zwei Gedichten. Danach folgte der mit zittriger Stimme Abgesang eines Nikolausliedes. Dann schlug der finster dreinblickende Geselle mit dem Rauschebart sein Buch auf, um all meine kleinen und großen Schandtaten vorzulesen. Sünden, an die sich mein wild bubberndes Herzchen zum überwiegenden Teil selbst nicht mehr erinnern konnte. Das Verlesen meiner Verfehlungen dauerte jedenfalls länger als mein eigener Vortrag. Am Ende aber klappte der Nikolaus endlich sein Buch wieder zu und ich glaubte mich erlöst. Statt aber wie der Kindergartennikolaus in seinen ollen Sack zu kramen, um dabei eine winzige, unnütze Kleinigkeit ans Licht der hellerleuchteten Wachskerzen zu fördern - wobei ich mich schon mit einer einzigen Walnuss begnügt hätte, wenn er nur gleich wieder bis zum nächsten Jahr verschwunden wäre - holte der heilige Mann eine riesengroße Rute hervor.
Mut war es sicher nicht, sondern eher die Angst, die mich dann zu meiner letzten Schandtat im Angesicht des Nikolaus befähigte. Urplötzlich machte ich einen immensen Sprung an ihm hoch, klammerte mich mit der ganzen Kraft meiner kleinen Hände in seinen Wattebart und riss ihm die Maske vom Gesicht. Und dann stand unser eigener Nachbar vor mir - völlig verdattert versteht sich. Nun löste meine Aktion eine so ungeheure Panik nicht nur auf seiten meiner Familie, sondern auch bei dem Nikolaus aus, dass der samt Maske in der Hand zur Tür hinaus hetzte und dabei sogar seinen Sack vergaß. Draußen tat es einen fürchterlichen Schlag, gefolgt von einem jammervollen Schmerzensschrei. Der Ersatznikolaus war nämlich bei seiner überstürzten Flucht über meine geputzten Schuhe die Treppe hinuntergesegelt und hatte sich im Fallen drei Rippen angebrochen.
Die anschließende Standpauke meiner Eltern, dass mich niemals mehr in meinem ganzen Leben ein Nikolaus aufsuchen würde, habe ich - wie ich mich gut erinnern kann - locker weggesteckt. Von diesem Zeitpunkt an, war der Nikolaustag, gleich nach meinem Geburtstag, Weihnachten und Ostern, der wohl schönste Tag im ganzen Jahr.



Eingereicht am 04. Januar 2006.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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