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Die Nacht vor Weihnachten

© Rudolf Jagusch


Es war die Nacht vor Weihnachten. Die Kinder und auch die Eltern schliefen bereits tief und fest und freuten sich auf den kommenden Tag.
Das Wohnzimmer war festlich geschmückt. Hier ein Strohstern, dort Tannengrün, Nüsse verzierten den Esszimmertisch und still stand er da, der Weihnachtsbaum. Festlich mit bunten Kugeln und Holzanhängern geschmückt war er das Schönste im ganzen Raum. Der Duft abgebrannter Räucherkerzen lag in der Luft. Das Räuchermännchen hatte den ganzen Abend dicke Rauchwolken aus seinem Mund ausgestoßen und damit den Kindern viel Spaß bereitet. In der linken Hand eine Laterne, in der rechten Faust eine lange Pfeife, stand es nun arbeitslos auf dem Wohnzimmertisch. Ein dicker roter Bauch und kurze, grüne Beine sowie eine gelbe Zipfelmütze verliehen ihm das Aussehen eines Weihnachtselfen. Plötzlich streckte sich das Räuchermännchen mit einem knarrenden Geräusch und seufzte: "Aaaaaahhhhhhh." Danach schaute er sich erst einmal um. Da die Mutter der Kinder vergessen hatte, das Licht am Tannebaum zu löschen, konnte das Räuchermännchen voller Freude den geschmückten Weihnachtsbaum sehen, die Krippe auf dem Schrank und den großen Nussknacker, der auf dem Fensterbrett stand.
Nachdem es sich umgesehen hatte, beschloss es, erst einmal den Mund zu schließen.
Es war sehr anstrengend, jeden Tag den Mund kreisrund geöffnet zu haben.
"MMM-MMM-MMM", sagte es daher auch, bewegte seinen Mund hin und her und nickte zufrieden mit dem Kopf. Anschließend ging es zum Rand des Tisches, sprang herunter und spazierte näher zum Weihnachtsbaum hin. Als es davor stand und zur fernen Spitze irgendwo Richtung Decke aufblickte, fragte der Weihnachtsbaum plötzlich: "Wie heißt du denn?" Das Räuchermännchen erschrak fürchterlich. Es war seine erste Zaubernacht und wusste daher nicht, dass geschmückte Weihnachtsbäume sprechen können.
Sie sprachen zwar sehr selten, da sie die Weihnachtszeit einfach nur genießen wollten, aber hin und wieder brachen sie ihr Schweigen. Als das Räuchermännchen sich von seinem Schreck erholt hatte, antwortete es: "Ich weiß nicht. Muss ich denn einen Namen haben?" Voller Überzeugung sprach der Weihnachtsbaum: "Selbstverständlich! Alle haben einen Namen. Die Kinder hier im Haus heißen Dana und Timo, die Eltern Mama und Papa, ich selbst heiße Tanna. Wenn du keinen Namen hast, bist du nur ein Räuchermännchen. Ein Name dagegen verleiht dir eine Persönlichkeit und sollte gut überlegt sein. Wie wäre es mit Holzkopf?" Das Räuchermännchen überlegt kurz und schüttelte dann seinen Kopf.
"Nö, wer möchte schon so heißen? Auf Anhieb fallen mir Namen ein wie Rauchkerz, Kerzqualm, Duftus, Machwolke. Fallen Dir noch andere ein?" Der Weihnachtsbaum Tanna tippte nachdenkend mit einem Zweig auf den Boden.
Eine dicke blaue Weihnachtskugel sprang dabei lustig auf und ab.
"Wie wäre es mit Rotbauch, Grünhose, Gelbzipfel?" So ging es eine ganze Weile hin und her und die Zauberstunde neigte sich bereits dem Ende zu, als das Räuchermännchen jammerte: "Oh je, Oh je. Bei so vielen Namen kann ich mich gar nicht entscheiden. Was mache ich nur?" Der Weihnachtsbaum Tanna sah, dass sein neuer Freund sehr traurig und verzweifelt war. Da kam ihm ein toller Einfall. Er klatschte begeistert mit zwei dicken Ästen und antwortete: "Weißt du was? Hol dort drüben aus dem Wohnzimmerschrank einmal ein Blatt Papier und einen Bleistift! Meinen Namen hat mir meine Elterntanne gegeben, nachdem ich als Samenfrucht von ihrem Ast auf den Boden gefallen bin und ein Baumsprössling geworden war. Wir ernennen einfach die Kinder zu deinen Eltern und lassen sie einen Namen aussuchen.
Sie haben ja ein ganzes Jahr Zeit bis zur nächsten Weihnacht." Voller Freude fügte der Weihnachtsbaum an: "Die haben bestimmt einen schönen Einfall, du musst es Ihnen nur schreiben!" "Tolle Idee!" begeisterte sich das Räuchermännchen und rannte sofort zum Wohnzimmerschrank, holte ein Blatt und einen Bleistift aus der Schublade und schrieb mit großen Buchstaben seinen Wunsch nieder, was gar nicht so einfach war, da es dabei immer noch seine Laterne und seine Pfeife festhielt.
Gerade als es das letzte Wort geschrieben hatte, war die Zauberstunde um.
Das Blatt fiel aus seinen Händen zu Boden, der Bleistift kullerte unter den Schrank und das Räuchermännchen war wieder so unbeweglich wie eh und je.
Dort vor dem Schrank fanden Dana, Timo und ihre Eltern voller Verwunderung am nächsten Morgen das Räuchermännchen wieder. Der Vater sagte, dass er sich sicher sei, dass das Räuchermännchen gestern Abend noch auf dem Wohnzimmertisch stand. Die Mutter hob das Blatt Papier auf und las laut vor:
Liebe Kinder!
Ich hätte gerne einen schönen Namen.
Euer Räuchermännchen.
Alle sahen sich erstaunt an. Plötzlich murmelte etwas: "Alle Räuchermännchen sollten einen Namen haben!" Der Vater dreht sich suchend im Kreis und fragte dabei: "Woher kam das?" "Ich weiß nicht so recht. Der Weihnachtsbaum?" Die Mutter lachte und sagte:
"Kann ja nicht sein, einen Baum, der spricht, den gibt es doch nicht! Aber ist auch egal, es stimmt trotzdem, alle Räuchermännchen sollten einen Namen haben. Also, Kinder legt los, lasst Euch einen schönen Namen einfallen!" Dana und Timo fingen sofort mit Begeisterung an, einen Namen für das Räuchermännchen zu suchen und wenn sie noch keinen gefunden haben, so suchen sie wahrscheinlich immer noch fleißig weiter. Bis zur nächsten Zauberstunde würde das Räuchermännchen mit Sicherheit einen schönen Namen erhalten.



Eingereicht am 11. Dezember 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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