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Weihnachten alleine zu Hause

© Micheline Holweck


Je älter ich werde, je weniger sagt mir die ganze Weihnachtsaufregung zu. Früher, als die ganze Familie zu Hause war, die Kinder noch klein, da war Weihnachten noch ganz was anderes. Die Kerzen leuchteten in den erwartungsvollen Kinderaugen, das Haus war voller Leute, erwünschte und eben manchmal unerwünschte Gäste. Lachen erklang durch die Zimmer und das festliche Mahl bestand aus einem Leckerbissen am anderen, begleitet vom Lachen der Kinder und vom Geplauder der Erwachsenen.
Mich überkommt beinahe etwas Nostalgie, wenn ich an die alten Zeiten denke. Und nun steht wieder ein Weihnachtsfest bevor. Aber irgendwie kommt bei mir keine festliche Stimmung auf. Meine liebe Gemahlin war vor 5 Jahren an ihrem Krebsleiden gestorben. Miranda, meine Tochter, lebt mit ihrer Familie in Australien. Sie hatte vor 8 Jahren auf einer Reise ihren Mann Kenny kennen gelernt. Verliebt in Kenny und Australien, brach sie ihre Zelte hier ab, um in Australien ihren Traummann zu heiratet. Ein Jahr später kam Brenda auf die Welt und ich wurde stolzer Großvater. Ich reiste in den letzten Jahren zweimal nach Australien. Mich überwältigte die Schönheit dieses Landes, die endlose Weite und die unberührte Natur; und so glücklich ich war, mein Enkelkind in den Armen zu halten, ich mochte die langen Reisen nicht. Miranda hatte mir kürzlich versprochen, nächstes Jahr nach Europa zu kommen, um mich zu besuchen.
Mein Sohn Gregor ist das Arbeitstier in Person. Manchmal weiß ich nicht, ob er ein Roboter oder ein Mensch aus Fleisch und Blut ist. Feierabend ist ein Fremdwort für ihn. Er kann die ganze Welt vergessen, eingeschlossen seinen Vater, wenn er an einem neuen Computerprogramm herumtüftelt. Die Nächte werden zu Tagen und ich frage mich, ob er überhaupt manchmal was isst oder nur von Kaffee lebt. Wie es seine Freundin mit ihm aushält weiß ich nicht. Zu meinem Geburtstag ruft er mich immer an, hat aber nie Zeit, um mit mir auf ein weiteres Jahr anzustoßen. Aber ich sollte mich ja über den Erfolg meines Sohnes freuen und nicht egoistischen Gedanken und Wünschen nachhängen.
Halleluja, singen die Damen von der Heilsarmee und ich frage mich, ob das Weihnachtsfest noch zeitgenössisch ist. Wie viele Singles werden die kommenden Tage alleine vor dem Fernseher verbringen, Trübsal blasen und die Depressionen bekämpfen? Wie viele Paare werden streiten, weil sie nach so vielen Vorbereitungen und Geschenke einkaufen einfach keine Nerven mehr haben und nur ihre Ruhe wollen, statt noch Stunden lang in der Küche das Festmahl vorzubereiten?
Und ich? Was sollte ich machen? Die Magie der Weihnachten existiert doch nur in den Filmen und in den Weihnachtsliedern. Wir machen uns nur jedes Jahr vor, dass es das Fest der Liebe sei, obwohl viele alleine sind und die Streitereien in den Familien auf ihrem Höhepunkt angelangen. Meine Tochter war ja auf der anderen Seite der Weltkugel und mein Sohn war zwar nur eine Stunde Autofahrt von hier entfernt, doch er wollte Weihnachten einfach mal ausschlafen und ein paar Stunden mit seiner Freundin verbringen. Mir wurde also ganz klar bewusst, dass ich alleine Weihnachten feiern würde. Was heißt eigentlich feiern, ich werde mir wohl einen Film im Fernseher anschauen und dabei ein paar Leckerbissen, welche ich im Delikatessenladen um die Ecke kaufe, verspeisen.
An diesem Abend, ein Tag vor dem Heiligen Abend, stöbere ich in den alten Fotos. Ich sehne mich nach den vergangenen Jahren, als wir als Familie zusammen Urlaub machten, Geburtstage feierten und fröhliche Weihnachten noch existierten. Die Einsamkeit überkommt mich und meine Frau fehlt mir mehr denn je. Ein Bild von meiner Tochter am ersten Schultag, mein Sohn im Pfadfinderlager, mein vierzigster Geburtstag; das Leben war so schön gewesen. Aber war das denn alles? Konnte es denn nicht wieder so werden?
Da finde ich auch einen Zettel, aus einem Magazin ausgeschnitten und schon vergilbt. Darauf steht geschrieben: "Alles was Du bist, Mensch, alles was Du hast, geht von Dir selber aus". Wie wahr das doch ist! Ich begreife es. Hatte ich selber diesen Spruch einmal ausgeschnitten und zu den Fotos gelegt? Auf jeden Fall kann ich mich nicht erinnern. Doch mir ist klar geworden, dass ich in meinem Leben etwas ändern muss. Was warte ich hier, bis Weihnachten zu mir kommt? Wie sollte die Feierlichkeit und das Halleluja in meine Wohnung kommen, wenn ich es nicht in meine Wohnung lasse? Diese Weihnachten würden anders werden. Fest entschlossen bin ich nun, auch wenn ich alleine bin, die Festtage zu genießen und mich selber wichtig zu nehmen.
Die Fotos und die nostalgische Stimmung schließe ich wieder in die Schublade und widme mich meinen Kochbüchern. An Weihnachten möchte ich was ganz Feines kochen, ein neues Rezept ausprobieren. Es wäre absolut übertrieben, mich als einen guten Koch zu betiteln, doch ich beginne euphorisch in den Rezepten zu stöbern und stelle mir eine Einkaufsliste zusammen. Natürlich dürfen die Kerzen nicht fehlen. Zudem benötige ich ein neues Tischtuch, was Weihnachtliches eben, mit Sternen oder Goldverzierungen. Endlich steht der Menüplan, von der Vorspeise bis zum Dessert. Vielleicht sollte ich auch noch Weihnachtskekse backen? Oder war das schon etwas übertrieben? Ach, was, wann soll man denn sonst Weihnachtsgebäck essen, wenn nicht an Weihnachten?
Mit zufriedenen Gedanken an den kommenden Tag schlafe ich ein. Am 24. Dezember erwache ich schon bevor mein Wecker sich piepsend meldet. Ohne viel Zeit zu verlieren, kleide ich mich an und setze Wasser für einen Kaffee auf. Ich lege mir einen genauen Plan zurecht, was und wann ich heute zu erledigen habe. Erst muss ich natürlich einkaufen gehen; zum Metzger, Gemüsehändler und zum Italiener. Die Qualität muss stimmen, es ist schließlich Weihnachten! Mit Tüten beladen kehre ich nach Hause zurück. Bevor ich mir nun die Kochschürze umbinden kann, muss meine Wohnung noch auf Hochglanz poliert werden. Dies gehört nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, doch mit meiner heutigen Hochstimmung schaffe ich die Putzerei in Rekordzeit. Und jetzt ab in die Küche! Den Teig für die Kekse zubereiten, dann das Gemüse waschen, Kartoffeln rüsten, Zwiebeln schnetzeln und den Braten langsam gar schmoren lassen. Mit größter Sorgfalt decke ich den Tisch. Die neue Tischdecke, der elegante Kerzenständer und die weißen Servietten, alles passt genau zusammen. Ganz vertieft in meine Vorbereitungsarbeiten habe ich gar nicht bemerkt, dass es schon am Eindunkeln ist. Das Telefon klingelt und meine Tochter Miranda wünscht mir etwas verschlafen frohe Weihnachten.
Doch nun ist es allerhöchste Zeit, um mich unter der Dusche zu erfrischen. Langsam bekomme ich richtig Freude an meiner Weihnachtsfeier im ganz kleinen Kreise. Ich suche mir ein paar elegante schwarze Hosen aus dem Kleiderschrank, dazu ein weißes Hemd und eine festliche Krawatte. Bereit? Bereit! Nur die Weinflasche muss ich noch öffnen und mein Festmahl kann beginnen. Wo habe ich den nur den Flaschenöffner? Muss wohl schon sehr lange her sein, als ich das letzte Mal eine Flasche Wein geöffnet hatte. Alleine trinke ich ja nie Alkohol, außer eben heute, an meinem Weihnachtsessen. Ich klingle bei meinen Nachbarn an der Tür, bestimmt können sie mir helfen. Frau Seidel öffnet mir die Türe und bittet mich hinein. Frohe Weihnachten! Doch Herr und Frau Seidel sind nicht gerade in bester Stimmung. Das Filet im Teig war im Ofen etwas vergessen gegangen und sieht dementsprechend schwarz aus. Und der Reis habe zuviel Salz abbekommen. Zum Glück hätten sie niemanden eingeladen, so sei der Schaden nicht so groß. Sie könnten sich ja auch einen Teller Spaghetti kochen. Da habe ich eine Idee: "Meine lieben Nachbarn, wieso essen wir nicht alle bei mir? Ich habe soviel gekocht, dass es für uns alle drei reicht. Und es würde mir auch Freude bereiten, in Gesellschaft Weihnachten zu feiern". Herr und Frau Seidel zieren sich zuerst etwas, sie sagen, sie wollen nicht stören und sich nicht aufdrängen, doch dann akzeptierten sie freudig meine Einladung. Schnell lege ich zwei weitere Gedecke auf und Herr Seidel öffnet die Weinflasche. Wir essen, trinken und lachen, duzen uns und feiern wunderschöne Weihnachten. Beim Dessert angelangt, genauer ausgedrückt, beim Fruchtsalat mit selber gemachter Vanillesauce, klingelt es an der Türe. Wer mag denn das sein, am Heiligen Abend? Über die Gegensprechanlage meldet sich die Stimme meines Sohnes Gregor. Einen kurzen Moment lang bin ich mir nicht sicher, ob ich vielleicht zu viel von dem süffigen Wein getrunken habe. Aber nein, ich habe wirklich richtig gehört und verstanden. Mein Sohn steht vor der Türe, mit einer Flasche Champagner unter dem Arm. "Frohe Weihnachten, Vater", murmelt er. "Ich dachte, ich schaue mal bei Dir rein. Schön, Du hast ja Besuch. Hoffentlich störe ich nicht". Nein, von wegen stören, die vielen Weihnachtskekse müssen ja gegessen werden. Der Korken knallt und der Champagner fließt in die Gläser. Frohe Weihnachten!
Wir feiern bis tief in die Nacht. Als ich müde unter die Bettdecke schlüpfe, ist Mitternacht schon lange vorbei. Draußen hat es zu schneien begonnen und ich weiß nun, dass es die Magie der Weihnachten doch gibt und wir waren uns alle einig gewesen, dass es ein wunderschöner Abend gewesen ist. Glücklich schlafe ich ein.



Eingereicht am 12. März 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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