www.online-roman.de       www.ronald-henss-verlag.de
Weihnachten Weihnachtsgeschichte Weihnachtsgeschichten Kurzgeschichte Weihnacht Advent

Unterwegs

© Ernst-Edmund Keil


Du hast es lange nicht gewusst. Weil du immer unterwegs warst. Rastlos. Unter wechselnden Himmeln. Auch hattest du genug zu tun mit dem Zünden und Löschen des Feuers, mit der Nahrungs- und Spurensuche, mit dem, was der Tag dir, dem Jäger, abverlangte. So hast du es nicht gewusst. Weil jeder Tag ein Abenteuer war, das weiter in die Ferne lockte. Oder du hast es gewusst und nur vergessen oder verdrängt, weil du, irgendwelchen Rufen folgend, vorwärts wolltest und nicht mehr zurück. Hast es gewusst oder auch nicht, wie schön es ist, eine Familie zu haben, ein Haus und einen Herd und eine Schar schmatzender Mäuler um den abendlichen Tisch. Auch wenn sie, wie so vieles und so viel in dieser Zeit, durch die bösen Winde, die aus allen Richtungen blasen, zerstreut werden und sich selten besuchen oder einander schreiben oder anrufen. Alle sind sie ausgegangen und auf ihrem Weg, jeder. auf dem seinen, und sie wissen nicht, wohin er sie führt. Doch denken sie aneinander. Nicht immer, doch immer öfter. Je älter sie werden, je größer die Entfernung, die sich zwischen sie legt wie ein eisernes Band, das sie erst einmal zerschneiden müssen. Damit Rückkehr zu jeder Zeit und von welchem Ort auch immer möglich sei. Aber zu wissen, dass es sie gab und, wenn auch unsichtbarer denn je, immer noch gibt, auch in der allergrößten Entfernung! Weil wir gelernt haben, weit zu gehen und dass Entfernungen, so groß sie auch sein mögen, überwunden werden können. Mit welchen Mitteln auch immer. Es gibt sie. Wir sind an Erfindungen reich. Die Welt ist kleiner geworden, die Wüstenwege sind kürzer.
Auch gibt es, in dieser Zeit, immer noch diesen Stern, dem du folgen kannst, jetzt, wie von alters her. Wenn er stehen bleibt, weißt du: Du bist da. Da ist die Tür, der Stall, der Geruch nach Heu und Holz. Du brauchst dich nur zu entblößen und nieder zu knien wie ein Hirt und ihnen dein ärmliches Geschenk, auf dem der Staub der Strasse und Felder liegt, beidhändig anzubieten. Es ist deine Familie. Sie werden dir zulächeln und zusammenrücken und dir zu essen und zu trinken geben und dich bei deinem Namen nennen. Du bist der Vater oder der Bruder oder der Sohn, der verlorene und wieder gefundene. Heil dir, willkommen. Und sie feiern deine Ankunft und Wiederkehr mit alten Gebeten und Gesängen. Geh, geh zu, Jäger, und vertrau deinem Stern. Du gehst, um anzukommen. Du kommst an. Es ist Weihnacht.



Eingereicht am 30. März 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

»»» Weitere Weihnachtsgeschichten «««
»»» Weitere Weihnachtsgeschichten «««

Weihnachts-Blogs
»»» Blog Weihnachtsgeschichten
»»» Blog Weihnachtsmarkt
»»» Blog Weihnachtsmuffel
»»» Blog Weihnachtsgedichte
»»» Blog Weihnachtsbuch
»»» Blog Wintergedichte
»»» Blog Wintergedichte
»»» Blog Weihnachtsgedichte 1
»»» Blog Weihnachtsgedichte 2

»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» HOME PAGE «««