www.online-roman.de       www.ronald-henss-verlag.de
Weihnachten Weihnachtsgeschichte Weihnachtsgeschichten Kurzgeschichte Weihnacht Advent

Wie der Marienkäfer zu seiner Farbe kam

© Matthias Kuhr


Diese unsere Geschichte spielt zu einer Zeit, als der Himmel noch nicht alt genug für Wolken, die Menschen noch zu jung für Streit, und die Berge vor lauter Neuheit noch weich waren. In dieser Zeit lebten neben den Menschen auch schon die Tiere auf der Erde, ebenso wie einige der Legenden, welche die Menschen abends am Feuer erzählten.
Diese unsere Geschichte spielt an einem Ort, an dem es landschaftlich nicht viel Abwechslung gab, und auch heute noch kaum gibt. Weite Felder aus Eis überzogen den Schauplatz der kommenden Ereignisse. Aber irgendwo, wenn man hinter der dritten Schneedüne von Norden nach rechts abbog, und sich dann scharf links hielt, dann mochte man auf ein kleines Häuschen stoßen. Es sah gemütlich aus, auf dem Dach tat ein Schornstein seinen Dienst und rauchte, während die ganze Architektur zu sagen schien: "Willkommen!".
Es war das Haus von Stephan Antonio Nepomuk Theobald Arthur Klaus. Aber alle seine Freunde, und davon hatte er viele, nannten ihn stets nur Santa. Er würde noch so manches Jahr auf dieser Welt verbringen, wenn sich auch seine bescheidene Hütte bald um eine florierende Unterhaltungsmanufaktur, oder salopp gesagt Spielzeugfabrik, erweitern sollte. Doch ich schweife ab, denn zu unserer Zeit lebte er glücklich und zufrieden in seinem Häuschen. Doch seinen zukünftigen und immerwährenden Traumberuf, den Menschen einmal im Jahr Freude zu machen, übte er jetzt schon aus.
Es war ein Tag in jenem Monat, in dem der Schnee um Santas Haus ungestümer, unberechenbarer und überhaupt sehr viel launischer war als sonst. Er saß gerade in seinem Lehnstuhl und grübelte über irgendetwas Wichtiges nach, als er ein Scharren an seiner Tür vernahm. Interessiert erhob er sich, und machte sich auf zu seiner Vordertür, um willkommen zu heißen, wer auch immer davor stehen sollte. Doch als er sie öffnete, dachte er zunächst, der kleine Eisbärjunge von nebenan hätte ihm mal wieder einen Streich gespielt, denn vor der Tür stand scheinbar niemand.
"Entschuldigung", hörte er dann jedoch eine Stimme aus Bodennähe flöten. Er beugte sich hinab und sah einen kleinen schwarzen Fleck, der sich bei näherer Untersuchung als Marienkäfer entpuppte.
"Guten Tag, Meister Käfer", grüßte ihn Santa. "Komm herein, oder lass mich dir helfen." Mit diesen Worten bot er dem Käfer seinen Zeigefinger an, den dieser dankbar bestieg.
Drinnen angelangt brachte Santa dem kleinen schwarzen Insekt erst einmal einen dampfend heißen Tee. Der Kleine nahm die Tasse aus hauchfeinen Spinnweben dankbar an und lächelte.
"Nun, sag, was führt dich zu mir", fragte ihn Santa. "Das ist für dich doch nicht unbedingt die Nachbarschaft, oder?"
"Nein", sagte der Käfer. "Ich komme hierher, weil ich ... dich um etwas bitten möchte".
"Und was wäre das?"
"Nun ... Du bringst doch den Menschen einmal im Jahr Geschenke. Aber ich ... nun, mich und die anderen Tiere hat nie jemand gefragt, was wir gerne möchten."
"Seid Ihr denn so unzufrieden?"
"Nein, eigentlich nicht. Na gut, der Tausendfüßler beschwert sich ab und zu, dass er dauernd stolpert und mit dem Schnabeltier würde ich auch nicht tauschen wollen. Aber ich habe ein Problem, und hoffe, dass du mir dabei helfen kannst."
Santa lehnte sich zurück. "Und wie?"
"Ich ... ich mag meine Farbe nicht", gibt der kleine Schwarze schließlich zu.
"Warum nicht? Schwarz soll in den nächsten Jahren absolut modisch sein habe ich mir sagen lassen."
"Ja, aber es ist so langweilig. Außerdem bin ich es leid, dass ich im Dunkeln ständig von anderen Leuten umgerannt werde. Schau dir nur mal meinen Rücken an."
Er drehte sich um, und jetzt sah Santa, dass in der Tat der ganze Panzer des kleinen Käfers voller Beulen und Kratzer war.
"Da hast du wirklich einige Lackschäden davongetragen", stimmte er zu.
"Und dauernd werde ich von den Schmetterlingen gehänselt. Die sind ja sowieso derartig bunt, dass man meinen könnte, sie seien in einen Farbtopf gefallen."
Santa schmunzelte. "Ich hab diesem alten Hasen doch gesagt, dass er auf seine Töpfe besser aufpassen soll, aber er wollte nicht hören. Und als er dann das nächste Mal nicht hingesehen hat ... "
"Aber du verstehst doch was ich meine, oder? Außerdem ist jetzt bald wieder Sommer." Nach einem kurzen Blick aus dem Fenster fügte er hinzu: "Wenigstens bei mir zu Hause. Und mit diesem schwarzen Panzer auf dem Rücken, auf den den ganzen Tag die Sonne draufknallt, schwitze ich mich doch zu Tode!"
"Und warum glaubst du, dass ich dir helfen könnte?", fragte der Alte.
"Ich wollte dich einfach mal fragen, denn es wird überall gesagt, dass du nett und hilfsbereit und großzügig bist."
Santa errötete ein wenig. (Wenn man ganz genau hinsieht, kann man übrigens noch heute auf den Bildern von ihm seine geröteten Wangen sehen, so sehr freute ihn das aufrichtige Lob des kleinen Käfers).
Er stand auf und begann im Raum umher zu gehen. Er wollte dem Kleinen helfen. Schließlich verlangte er auch wirklich nicht viel, und das auch noch auf eine nette Art.
Doch wen konnte man in so einer schwierigen Angelegenheit fragen? Den Hasen? Das wäre schwierig.
Seit der Sache mit den Schmetterlingen hütete der Nager seine Töpfe eifersüchtig. Ein einziges Mal hatte er seitdem ein wenig Farbe herausgerückt. Damals hatte ihn der Hahn gebeten, ihm eine etwas dezentere Farbe für seinen schreiend rosa-grünen Kamm zu geben. Der Hase war einverstanden gewesen, unter der Bedingung, dass er sich einmal im Jahr "ein paar Eier" von den Hennen aussuchen durfte. Der Hahn hatte zwar den Verdacht, dass er an diesem Handel noch einige Jahre kauen würde, aber schließlich mussten sich ja die Hennen anstrengen. Wofür war er schließlich der Chef im Hühnerstall?
Der Hase kam also nicht in Frage. Als nächstes dachte Santa an den Regenbogen. Aber der war ziemlich schweigsam, und als Santa sich umdrehte fiel ihm ein, dass auf dem kleinen Käfer auch gar nicht alle Regenbogenfarben Platz hätten. Aber vielleicht konnte man dem Regenbogen ja eine Farbe abschwatzen; der hatte ja schließlich genug davon. Nur welche?
"Was würdest du denn von einem grünen Panzer halten?", fragte Santa.
"Oh nein! Dann denken doch alle, ich wäre eine Heuschrecke!", rief der Käfer entsetzt aus.
Möglichst höflich fragte Santa: "Meinst du nicht, dass dir dazu die Statur fehlt?"
"Wieso?", fragte das kleine Insekt leicht pikiert zurück. Er richtete sich auf und bewegte sein linkes Vorderbeinchen um Santa seinen Bizeps zu präsentieren, bis ihm auffiel, dass er überhaupt keinen besaß.
Doch dem Alten war inzwischen eine Idee gekommen. Er kramte kurz in einem der vielen Schränke herum, bis er schließlich das fand, was er suchte. Er begann es mit einer Schere zu bearbeiten, und als er mit dieser unendlich filigranen Arbeit fertig war, wandte er sich erneut an den Käfer.
"Probier das mal an. Das ist zugegebenermaßen ein Stück von einem alten Mantel von mir, aber schau erst mal wie dir die Farbe gefällt."
Er hielt einen winzigen leuchtendroten Mantel vor dem Marienkäfer in die Luft. Dieser stieg langsam, zuerst mit dem hinteren, dann mit dem mittleren und schließlich mit dem vorderen Beinpaar in das Kleidungsstück.
"Passt perfekt", meinte er fröhlich und krabbelte zum Spiegel. "Ich finde die Farbe steht mir nicht schlecht", begann er. "Aber irgendwie zieht's am Rücken."
Er drehte sich um, bis er den Grund erspäht hatte. "Da sind ein paar Löcher drin."
"Ja, aber es ist ja auch ein alter Mantel. Und völlig rot wäre dir doch auch wieder zu langweilig, wenn du ehrlich bist, oder?", fragte Santa augenzwinkernd nach. "Außerdem: Jetzt, wo du so hübsch bist, ist es für dich besonders wichtig, dass du noch weißt, wer du früher warst. Daran werden dich die schwarzen Punkte immer erinnern."
Langsam nickte der neu eingekleidete Käfer, dann lächelte er. "Danke Santa. Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?"
Abwehrend hob der Alte die Hand. "Es freut mich zu sehen, dass du jetzt zufrieden bist. Und, wer weiß, vielleicht hilft dir dein neuer Mantel ja auch, anderen eine Freude zu machen."
Sie redeten noch eine ganze Weile, bis sich der kleine Käfer schließlich auf den Heimweg machte.
Seitdem tragen alle Marienkäfer bis auf den heutigen Tag den roten Mantel von Santa. Wahrscheinlich haben diese Käfer aber auch etwas von der Güte und Freundlichkeit Santas vom Nordpol mitgebracht.
Vielleicht gehören sie deshalb zu den wenigen Insekten, vor denen sich kaum jemand ekelt, sondern ganz im Gegenteil. Wenn man Kinder verzückt ausrufen hört: "Guck mal, ein Marienkäfer!", sie diese auf ihre Hand krabbeln lassen, und mit glänzenden Augen beobachten, wie sie davonfliegen, dann weiß man, dass es mit diesen Tieren wirklich etwas Besonderes auf sich hat.



Eingereicht am 07. März 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

»»» Weitere Weihnachtsgeschichten «««
»»» Weitere Weihnachtsgeschichten «««

Weihnachts-Blogs
»»» Blog Weihnachtsgeschichten
»»» Blog Weihnachtsmarkt
»»» Blog Weihnachtsmuffel
»»» Blog Weihnachtsgedichte
»»» Blog Weihnachtsbuch
»»» Blog Wintergedichte
»»» Blog Wintergedichte
»»» Blog Weihnachtsgedichte 1
»»» Blog Weihnachtsgedichte 2

»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» HOME PAGE «««