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Warum der Weihnachtsmann niemals aufgibt

© Antje Klos


Der Weihnachtsmann war erschöpft. Warum tat er sich diese Schufterei jedes Jahr aufs Neue an? Sicher, zum Bearbeiten der Wunschzettel sowie zum Verpacken und Adressieren der Geschenke hatte er seine fleißigen Engelchen, die ohne Pause tagein tagaus arbeiteten, um den Kindern ein schönes Weihnachtsfest zu bescheren. Die Briefe aller Kinder dieser Erde wurden in der Engelswerkstatt geöffnet, gelesen und in die entsprechenden Kanäle geleitet, wo die Geschenke herbeigeschafft und verpackt wurden.
Als letzter Schritt wurden die Päckchen und Pakete pro Region in einen riesigen Sack gesteckt, an dem zur Verzierung getrocknete Früchte und Tannenzweige hingen. Diese zahlreichen Geschenksäcke musste dann der Weihnachtsmann am Heiligen Abend auf seinen großen Rentierschlitten laden, der mit goldenen Kufen und rotem Samt ausgestattet war. Dann lag es an ihm, die Geschenke überall auf der Erde pünktlich zuzustellen. Zum Glück gab es die Zeitverschiebung zwischen den einzelnen Erdteilen, so dass der Weihnachtsmann zwar immer gestresst, doch halbwegs pünktlich bei den Kindern ankam.
Er staunte immer wieder darüber, was sich die Kinder alles wünschten!
Schaukelpferde, Märchenschlösser, echte Tiere ... Immer wieder gab es auch Geschenke, bei denen selbst der Weihnachtsmann aufgeben musste; so wurden ihm in regelmäßigen Abständen aus der Engelswerkstatt Briefe mit Wünschen weitergeleitet, die nicht materieller Natur waren: Der kleine Tommy aus Deutschland wünschte sich, dass sein Papi bald wieder einen Arbeitsplatz finden würde; Sarah aus Israel, deren Familie zu den dortigen Christen gehörte und daher auch Weihnachten feierte, wünschte sich Frieden; Nkombo aus Uganda wünschte sich, bald die Schule besuchen zu dürfen und die kleine Jennifer aus Amerika wollte einfach nur, dass ihre Mami bald wieder gesund würde.
Der Weihnachtsmann war im Laufe der Jahrhunderte ein alter Mann geworden; sein weißer Bart wurde jährlich länger, die Falten im Gesicht wurden tiefer und die Schmerzen im Rücken, die er sich bei der vielen Schlepperei Jahr für Jahr zuzog, waren im Laufe der Zeit fast unerträglich geworden.
Wie gerne würde er sich einmal am Weihnachtsfest ausruhen! Er wollte einfach irgendwo an einem schönen Sandstrand liegen und sich die Wärme auf den schmerzenden Rücken brennen lassen. Einmal Urlaub in über 2000 Jahren, war das zu viel verlangt?
Mürrisch schlurfte der Weihnachtsmann in den Stall zu seinen Rentieren. Heute war es wieder so weit; bald würde er mit seinen treuen Gefährten die große Reise auf die Erde antreten und von Haus zu Haus eilen. Der Anführer seines Rentierrudels, Rudolph, blickte ihn mit großen, braunen Augen erwartungsvoll an.
Sogleich füllte sich das Herz des Weihnachtsmannes mit Wärme; wenn er daran dachte, was seine Tiere am Weihnachtsfest leisten mussten, schämte er sich für seine Klagen. Rudolph nickte mit dem Kopf, worauf sich seine Leine spannte, mit der er an seinen Futtertrog angebunden war. Es schien als wolle er sagen: "Los, Väterchen, wir müssen zur Erde fliegen!" Der Weihnachtsmann tätschelte seinem treusten Liebling den Hals und versprach, ihm bald die Leine zu lösen.
Der Schlitten stand schon im Hof bereit; die Engelchen aus der Fuhrparksabteilung hatten ihn gewartet, die Kufen poliert und den Bezug ausgebessert, so dass es nun losgehen konnte. Stunde um Stunde lud der Weihnachtsmann die bereitgestellten Säcke auf den riesigen Schlitten. Nachdem er endlich fertig war, holte er seine dreizehn Rentiere aus dem Stall. Zwölf davon wurden paarweise vor den Schlitten gespannt, Rudolph jedoch kam als Anführer an die Spitze des Zuges. Nun konnte es losgehen! Mit einem lauten "Ho, ho, ho!" gab der Weihnachtsmann den Startpfiff und der Schlitten erhob sich leise gleitend in die Lüfte. Nach einer schier endlosen Zeit, in der man nur das klackende Trapp-Trapp-Trapp der Rentiere auf der Milchstraße hörte, steuerten diese auf die Erde zu.
Gequält, aber emsig verteilte der Weihnachtsmann Geschenk um Geschenk. In zahlreichen Ländern der Erde war es zum Weihnachtsfest bitter kalt, doch dem Weihnachtsmann stand unter seiner dicken, roten Robe der Schweiß auf der Stirn.
Bald war es geschafft!
Als er von Australien über Asien, Europa und Afrika endlich in Amerika angekommen war, wo er seine letzten Aufträge erledigt hatte, lehnte er sich zurück und bestaunte das bunte Treiben auf der Erde. Millionen von Kindern freuten sich über seine Geschenke, die teilweise schwierig zu beschaffen gewesen waren. Gerade in solch komplizierten Fällen freute es ihn besonders, dass er den Kindern dann doch die gewünschten Geschenke hatte bringen können.
Ja, die Kinder! Wenn er aus der Ferne ihre erwartungsvollen Blicke sah, wenn er ihr freudiges Lachen hörte und wenn er die roten Bäckchen wahrnahm, die vor lauter Aufregung glühten - ja, dann wusste er, wofür er sich jedes Jahr aufs Neue abmühte.
Doch noch war seine Arbeit nicht zu Ende; nach einer kurzen Pause trieb er seine Rentiere zu einem wissenschaftlichen Institut, wo an einem Mittel zur Krebstherapie geforscht wurde, das Jennifers Mutti vielleicht helfen konnte. Die Forschung war aus finanziellen Gründen ins Stocken geraten und der Weihnachtsmann legte einen großen Sack mit Geld auf den Schreibtisch des Direktors. Dann ging es weiter nach Afrika. In Uganda lud er die kleinen Schulbänke und die Tafel ab, die er für Nkombo und seine Freunde eingepackt hatte. In Deutschland angekommen stahl er sich in die Firmen, bei denen sich Tommys Vater kürzlich um eine neue Stelle beworben hatte. Sorgfältig sortierte er aus all den Bewerbungsunterlagen diejenigen heraus, deren Schreiber die Arbeit weniger nötig hatten als Tommys Familie. Zwar blieben dadurch noch immer viel zu viele Mappen übrig, doch war die Zahl deutlich vermindert. Die restlichen Unterlagen packte er kurz entschlossen auf den jeweiligen Stapel mit den Absagen. Zwar war ihm nicht wohl dabei, doch wusste er, dass er seine Entscheidung bedacht gefällt hatte und niemandem wehtun würde. Nach dieser Aktion flog er weiter nach Israel, wo er sämtliche Sprengkörper in Sarahs Umgebung in Wasser tauchte, so dass sie nicht mehr zünden konnten.
Zufrieden schaute er sich sein Werk an. Er wusste, dass er diesen Kindern nur bedingt hatte helfen können, doch möglicherweise war es ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, so dass sie im nächsten Jahr vielleicht ihren Kummer vergaßen und sich wie auch die anderen Kinder einfach nur Spielzeug wünschten.
Nach einem ereignisreichen Tag im Himmel angekommen, fütterte der Weihnachtsmann seine Rentiere und setzte sich zu ihnen in den Stall. Als er ihr zufriedenes Schmatzen vernahm, wurde ihm bewusst, dass er diese Arbeit brauchte. Er würde ohne sie nicht mehr derselbe sein, so dass er auch im nächsten Jahr alles tun würde, um die Wünsche der Kinder zu erfüllen.
So kam es, dass der Weihnachtsmann nicht aufgab; auch in vielen tausend Jahren wird er noch an Weihnachten durch die Lüfte fliegen und Kinder glücklich machen.
Wer am Heiligen Abend vor die Tür tritt, einen zarten Hauch auf der Haut spürt und das Gefühl bekommt, in Sternenstaub gehüllt zu sein, an dem ist der Weihnachtsmann gerade vorbei geflogen. Nun sollte man schleunigst ins Haus gehen und unter den Tannenbaum blicken, denn sicher hat der Weihnachtsmann auch hier etwas Wundervolles hinterlassen.



Eingereicht am 28. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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