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Bärenweihnacht oder das Bärli auf dem Weg zum Glück

© Ela Steiner


... in dem großen Kaufhaus ist es leiser geworden. Die letzten Kunden werden zum Ausgang gebeten. Die Kassen werden abgerechnet und die Warentische mit den weißen Tüchern zugedeckt. Die Notbeleuchtung ist eingeschaltet und die letzten Verkäuferinnen, Kassiererinnen und Abteilungsleiter verlassen die Etagen. Das Klappern von trippelnden Stöckelschuhen entfernt sich, während das Diskutieren, Lachen und Zurufen in ein sich entfernendes leises Gemurmel übergeht. Ein letztes Klappern von den Aufzugtüren, das Summen des abwärts fahrenden Lifts und dann ist es auf einmal totenstill.
Ungewöhnlich nach dem langen, hektischen Tag, an dem die Menschen sämtliche Abteilungen übervölkert haben, denn Weihnachten steht vor der Tür! Das Weinen und Zetern von Kindern, denen die Zeit zu lange wurde, die Werbestimmen von den Verkäufern der Sonderstände, eine Durchsage "Herr Müller, bitte an 19!". Dann der Aufruf "der kleine Kai sucht seine Mutter, bitte kommen Sie zur Information!" Verkäuferinnen mit gestressten Gesichtern, genervte Mütter und natürlich die mitgeführten Hunde, die sich gelegentlich auch bemerkbar machten, denn das hier war nicht ihr Revier!
Die Regale der Spielwarenabteilung sind zugestellt und voll gestopft bis unter die Decke, mit allem, was ein Kinderherz sich wünschen kann und auch mit den Spielzeugen, die gerade als Neuheit auf dem Weltmarkt angepriesen werden und schon bald wieder out sind.
In der Ecke der Puppen und Kuscheltiere jedoch ist Überfüllung angesagt. Hunderte große und kleine Wuscheltiere und Stofftiere jeglicher Art, Form und Farbe warten auf einen Besitzer. In der Ecke ganz hinten, kaum beachtet, sitzt ein kleines zotteliges, hellbraunes Bärchen mit glänzenden Knopfaugen, welches schon im Vorjahr niemand haben wollte. Vor ihm, in allen Größen und Farben aufgebaut sitzen die modernen, waschechten Bären, die ein verführerisch weiches Fell aufzuweisen haben und von den Verkäuferinnen so angepriesen werden, dass sie weggehen wie warme Semmeln.
Das kleine Bärli reibt sich die Augen und gähnt leise vor sich hin. Es will hier weg. Obwohl es hier nicht alleine hier ist, fühlt es sich hier im Kaufhaus nicht wohl. Die linke Gruppe der arroganten Bären in allen Pastellfarben bis hin zu pink, blau, gelb und weiß wurden gekauft, während es hier seine Zeit absitzen musste. Schon ein Jahr saß er hier rum. Natürlich redeten die anderen Bären nicht mit ihm, er wurde einfach übersehen. Die rechte Gruppe mit solchen Knöpfen im Ohr, die sie stolz zur Schau trugen, war ganz arrogant, sie saßen steif da und diskutierten über Amerika und irgendeinen Roosevelt und waren mächtig stolz auf ihre Vorfahren, was er sich jeden Tag aufs Neue anhören musste! Oft stellte er sich schlafend, damit er nichts sagen musste, was hätte er auch erzählen können? Ach wenn doch nur irgendeine Mutter käme und ihn auswählen würde. Er stellte es sich schön vor, in einer Wohnung bei einer Familie zu sein und von einem Kind geliebt zu werden. Obwohl er Kinder eigentlich gar nicht mochte, er hatte sogar etwas Angst vor ihnen. Mit diesen Gedanken schlief er ein.
Das Lärmen der hereinströmenden Kunden und die plötzliche Helligkeit weckten ihn am anderen Morgen unsanft auf. Wieder so ein nerviger Tag, wenn doch nur die Weihnachtswochen bald herum sein würden. Aber es passierte wieder nichts an diesem Tage. Er saß ganz hinten und wie immer fassten viele Hände nach den bunten und lustigen Bären in der vordersten Reihe. Gegen Abend, er war schon ganz müde geworden, erschrak er, eine Hand fasste ihn und holte ihn unsanft nach vorne "Dann hätten wir noch diesen, jedenfalls in der Preislage", hörte er die Verkäuferin sagen. "Gut, den nehme ich", eine freundliche dunkle Stimme. Sein Herz schlug lauter, es war der Augenblick gekommen. Nun kam er hier raus in die weite Welt, zu lieben Menschen und sogar unter einen Tannenbaum, oh - wie er sich freute! Ob er einem Mädchen geschenkt wurde oder einem Jungen? Noch ehe er sich die Kundin ansehen konnte, verschwand er "Schwupps" in der Tüte.
Der spannende Moment war da. Die Person, die ihn bis hierher getragen hatte, schloss die Wohnungstüre auf und holte ihn sachte aus der Tüte. Er sah in das freundliche Gesicht einer alten Dame, deren Haar weiß in sanften Locken ihr Gesicht umrahmte. Die großen, von der Arbeit eines langen Lebens verbrauchten Hände, fassten ihn ganz vorsichtig - ja zärtlich an. Ein Duft von gebackenem Brot und halbverblühten Rosen kam ihm entgegen. Die liebevolle Dame sagte zu ihm, "So mein Kleiner, dann wollen wir doch mal sehen, was Gaby zu dir sagt, wenn du an Weihnachten bei ihr unter dem Tannenbaum sitzt". Das Bärli rührte sich nicht, wenn das alles nur kein Traum war, denn genau so hatte er es sich vorgestellt.
Sie setzte ihn in eine Sofaecke auf weiche, weiße Kissen, die mit gehäkelter Baumwollspitze umrandet waren. Dann ging sie zum Herd, setze einen uralten Wasserkessel auf, um sich einen Tee zu bereiten. Das Bärli war zufrieden.
Der Heilige Abend kam schneller als gedacht und auch wenn die alte Dame ihn nicht weiter beachtete, irgendwie fühlte er sich hier wohl. Seine Umgebung hätte er schon noch erforscht, wenn er alleine in der Wohnung war, oder nachts, wenn sie schlief. Doch jetzt hieß es Abschied nehmen von seinem neuen Zuhause und sein Bärenherz hüpfte vor Freude. Ihm wurde eine Schleife um den Hals gebunden, damit er nicht gar so trist aussah, dann wurde er mit Weihnachtspapier verpackt und in die Tasche der alten Dame verstaut. Ja - auf zu der Familie, in der schon ein Kinderherz für ihn schlug. Türen klappern, die Treppen runter, Türe auf und wieder zu, über die Straße, zu einer Bushaltestelle, fahren und wieder raus aus dem Bus. Das Bärli konnte die Spannung kaum noch ertragen. Dann waren sie endlich da. Beim Schellen an der Türe des großen schönen Hauses öffnete man sofort und sie wurden in die festlich geschmückte Wohnung geführt. Dann hörte er die Stimme der alten Dame: "Guten Abend, liebe Gaby" - ""Hallo, Oma" eine helle aufgeregte Kinderstimme.
Schon bald läutete das kleine Glöckchen, ein Zeichen, dass das Christkind hinter der Wohnzimmertüre fertig war und verschwunden. Der Vater öffnete die Türe und eine wunderbare Weihnachtsmusik drang an Bärlis Ohren. "Das ist es, so hab ich es mir vorgestellt", seine Knopfaugen wurden ganz blank vor Rührung! Mutter, Vater, die Oma und Gaby stehen im Türeingang und singen mit, jeder hat verpackte Geschenke auf dem Arm. Dann sagt Gaby noch ihr Gedicht auf "Denkt euch, ich habe das Christkind gesehn …" und nun hieß es Geschenke verteilen und die eigenen suchen und auspacken.
Bärli konnte es vor Aufregung in der Verpackung kaum aushalten und endlich spürte es den Griff des Mädchens, das Papier wurde weggezogen und die Kinderhände packten und zogen es zu sich hoch, ein Segen, Bärli blinkerte Gaby zu, doch diese schien es nicht zu bemerken, anstatt ihn nun in den Arm zu nehmen, legte sie ihn achtlos beiseite und machte sich über die große Puppenstube her, und kurze Zeit später enthüllte sie die blanken neuen Schlittschuhe, das Bärli aber saß ermüdet in der Ecke unter Schleifen und zerrissenem Weihnachtspapier vergraben, irgendwann fielen ihm die Augen zu. Das Stimmengewirr wurde leiser und veränderte sich in ein entferntes Gemurmel. Plötzlich wurde es wieder wach, von der einsetzenden Stille, die nun das Wohnzimmer erfüllte. Es war dunkel, der Lichterbaum aus und die Familie waren zu Bett gegangen. Warum hat Gaby mich nicht mitgenommen ins Bettchen? Es wurde sehr traurig, "Sicher bin ich in der falschen Familie gelandet", sinniert es traurig vor sich hin. So hatte es sich Weihnachten nicht vorgestellt. Ich hau ab hier, dicke Tränen kollerten ihm aus seinen Knopfaugen und die flauschigen Bärenwangen hinunter. Es hupfte auf das Fensterbrett und schaute auf die erleuchtete, still gewordene Stadt. Hier und da noch das Glitzern der erleuchteten Weihnachtsbäume hinter den Gardinen. "Hier bleibe ich auf keinen Fall", sagte es laut zu sich selbst. Er kletterte zum Oberlicht, das nur gekippt war und zwängte sich dadurch. Nun saß er auf dem Fenstersims und fror. Ein Sprung in den nahe stehenden Baum und dann runter, auf die Straße. Ein eisiger Wind hatte eingesetzt und es fing an zu schneien. Aber das Bärli wollte sich nicht entmutigen lassen und trottete die stille Straße entlang, einfach stadtauswärts. Bald wurde es ihm kalt und die kleinen Beinchen waren so müde. Die Straße wurde immer schmaler und die Häuser immer kleiner. Hier und da war nur noch ein schwaches Licht durch die Fenster zu sehen.
Das Bärli wusste nicht wie lange es so getrabt war. Seine Bärenseele war traurig, sein Herz schwer, so hatte es sich das alles nicht vorgestellt. Seitlich ging es in eine Wegschneise, der es unwillkürlich folgte. Dort stand nur noch ein ärmliches Haus, ein kleines Gartentor stand ein wenig offen und das Bärli, bereits dick voll geschneit und mit Eisflocken an den kleinen Tatzen, huschte hinein. Es wollte nur ein Eckchen, wo es sich ausruhen konnte, Morgen in der früh, wenn es hell geworden war, würde es weitersuchen. Irgendwo würde man es sicher erwarten. Es hupfte die drei flachen Stufen rauf und setzte sich in die Türecke, wo der Wind es nicht erreichen konnte. Der Schnee hatte sein Fell arg zerzaust und zugeschneit, doch die Müdigkeit ließ es hinweg schweben und es träumte wieder von Weihnachtsduft und Stimmen und Liedern … Im Hause drinnen aber war noch Leben, ein kleines Mädchen saß in dem ärmlichen Wohnzimmer neben dem Kachelofen und Weihnachtslieder ertönten immer noch leise aus dem Radio. Seine Mutter brachte Bratäpfel herein und einen heißen Kakao … "Aber dann musst du ins Bett", mahnte sie leise und strich dem kleinen Mädchen liebevoll übers Haar. Das Kind hatte eine Puppe im Arm, die neue Haare bekommen hatte und neue Augen, ein gehäkeltes Kleidchen und einen Schal um den Hals. Die Augen blickten traurig und es sagte leise: "Wenn nur Papa heimkäme, wo mag er nur sein." Die Mutter wischte sich unbemerkt eine Träne aus den Augen und erwiderte: "Er wird schon kommen, vielleicht im nächsten Frühjahr, wir wollen uns darauf freuen. Dann nahm sie das kleine Mädchen in den Arm und tröstete es mit den Worten: "Da wo Papa im Krieg ist, das ist so weit weg, er braucht schon noch eine Weile, bis er wieder hier ist." Für das Kind waren die tröstenden Worte der Mutter genug, es ahnte ja nicht was Krieg war und wie schlimm er sein konnte. Und was Papa so machte, das wusste es schon gar nicht Dann machte sich zurecht für die Nacht und die Mutter brachte es zu Bett, wo sie noch eine kurze Weihnachtsgeschichte erzählte. Dann war es auch schon eingeschlafen.
Draußen begann es fester zu schneien und färbte die Wege, Büsche und Bäume, Häuser und Gartenzäune weiß mit dicken, Schneeschichten, wie Wattebausche. Das Bärli, in der Türecke war fest eingeschlafen und bemerkte so nicht, dass in der Dunkelheit Schritte im Schnee knirschten und eine dunkle Gestalt näher kam und zur Türe schritt. Unverhofft blieb sie stehen und ehe sie klingen wollte, bückte sie sich runter zu dem Etwas auf den Stufen. Eine behandschuhte Hand nahm das Bärli auf, schüttelte es ein wenig, so dass es wach wurde, der Schnee fiel von ihm ab. Bärli starrte erschrocken in ein verhärmtes Gesicht in einer Soldatenuniform, aber die Augen waren sehr gütig und ein schön geschwungener Mund war zu sehen, aber in Trauer fest zugepresst. Vor Schreck klappte es wieder die Augen zu und wartete, was nun geschah. Dann pochte und klingelte der Mann an der Haustür. Die Mutter, die noch nicht schlief, schlurfte zur Tür und öffnete sie verblüfft, Doch als sie ihren Mann erblickte, den Heimkehrer von der Front, brachte sie kein Wort heraus. Sie fielen sich stürmisch in die Arme und hielten sich fest. Tränen der Befreiung rollten ihnen über die Wangen und ihre Augen strahlten nur so, obwohl sie weinten. Rasch nahm die Frau dem Soldaten den nassen Uniformmantel ab und fachte den Kachelofen noch einmal an. Wer wollte oder konnte nun schlafen? Es war doch Heilig Abend, der schönste seit Jahren!
Noch immer ungläubig staunend, zündete sie die Kerzen an dem kleinen Weihnachtsbaum wieder an und sie flüsterten leise. Erst viel später erinnerte sich der Mann an den kleinen Bären, den er im Türeingang gefunden hatte, er hatte ihn im Flur abgelegt, rasch holte er ihn. Der Schnee auf seinem Fell war längst abgetaut. "Schau meine Liebe, der Kleine lag vor der Tür, sollte der Weihnachtsmann ihn für unsere Tochter da hingelegt haben?", lächelte er. Was ein Glück, für ein Geschenk zu kaufen hatte er nun wirklich weder Geld noch Zeit gehabt. Mutter nahm das kleine Bärli sachte in die Hände bürstete sein Fell noch einmal sachte durch und meinte: "Wie niedlich der aussieht, ja es scheint so, als ob er geradewegs aus dem Himmel zu uns gekommen sei". Bärli durchströmte auf einmal eine Wärme und Glückseligkeit wie nie vorher, er war nicht aus dem Himmel gekommen, wenn die nur wüssten, aber er war angekommen, er war zu Hause und hatte das Glück gefunden.
Die Mutter meinte zu ihrem Mann mit einem kleinen Lächeln: "Wir wollen ihn der kleinen Maria ins Bett legen und wenn sie aufwacht, wird sie ihn sehen und sich freuen, dass der Weihnachtsmann nachts noch einmal da war." Sie schlichen ins Kinderzimmer und wollten den Teddy leise auf das Kissen neben dem schlafenden Mädchen legen, als es wach wurde. Schon umfingen sie zwei Arme! "Papa, Papa" sie lachte und weinte und konnte es nicht fassen, "Du bist da, ich habe es meinem Schutzengel gesagt, dass er Dich zu Weihnachten nach Hause schicken soll und er hat es gehört" - "Ja", meinte der Vater ergriffen und drückte das Gesicht an die Schulter des kleinen Mädchens, "und der Papa bleibt nun für immer hier bei euch und dir hat er auch was mitgebracht". Dann legte er ihr das Bärli in die Arme. "Schon wieder gelogen", dachte das Bärli lächelnd und kuschelt sich an das duftende, junge Mädchen, mit dem seidenen braunen Haar. Er schließt seine Kulleraugen und atmet tief durch, als er die weichen Kinderhändchen fühlt, die ihn sanft umfassen und an sich drücken.
Eine dicke Träne kollert seine Bärenwange herunter, so viel Glück war kaum zu fassen, auch nicht an Weihnachten, er hatte sein Zuhause gefunden!



Eingereicht am 04. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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