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Der magische Christbaumstern.

Von Harald Bulling


Es war ein verregneter Tag, sehr kalt und es fielen auch schon ab und zu ein paar Schneeflocken. Für Manfred war dies nun ein besonderer Tag, er genoss den Erfolg der letzten Wochen mit einer inneren Ruhe und Gelassenheit, obwohl seine berufliche Situation als Ingenieur bei der weltgrößten Firmen für Großrechner sich erheblich verschlechtert hatte und dies trotz seiner genialen Ideen, die maßgeblich die Speicherkapazitäten der Rechner um 30 % zu steigern halfen und die Rechengeschwindigkeit um sage und schreibe 40 % durch seine Vorschläge auf ein ungeahntes Niveau verbesserten, war er in die Frontlinie des internen Machtapparates in der Firma geraten. Der langjährige Krieg zwischen der Abteilung Forschung und Entwicklung, sowie den Controllern, die nur die Kostensenkung als ihren Götzen kannten, gab es schon in der Zeit vor seinem Firmeneintritt.
In der Zeit seiner Mitarbeit war jedoch aus dem internen Machtkampf um die besten Position am Gabentisch der Speed Computer AG, kurz SC genannt, ein offener Krieg geworden, den alle Führungskräfte kannten, der aber auch schon seit zwei Jahren zu erheblichen Auftragsverlusten geführt hat, jedoch offenbar von niemandem gestoppt werden konnte. Manfred hatte sich nach seinem Eintritt in die Firma SC sein zugewiesenes Aufgabegebiet schnell erschlossen und mit der Naivität des Denkers und Analytikers an die Problemlösungen gemacht.
Zur gleichen Zeit hat seine Frau Caro den Schritt in die Selbstständigkeit unternommen. Sie hatte sich auf die Beratung von Logistikfirmen spezialisiert und nach einem Jahr mit drei Angestellten schien das Unternehmen eine Goldgrube zu werden, Aufträge gab es für zwei Jahre im Voraus. Manfred hatte mit seinem Wissen die Technik der Firma mitaufgebaut und als Bürge mit seinem erst kürzlich gewonnen Erbe sein gesamtes Vermögen ins Spiel geworfen, wie er es mit seinem ihm eigenen Galgenhumor nannte.
Zu Anfang wurde sein Wissen, seine soziale und energische Art geschätzt, wie er dachte; doch später erfuhr er dann, dass dies nur aus Angst der Hierarchie im Unternehmen vor seinen Kenntnissen war, denn er war nicht nur Techniker, sondern auch ein hervorragender Programmierer und verstand somit die "Kisten", also die Großrechner auf jeder Ebene, vom In- bis zum Output. Doch diese Angst schlug schnell in Hass und Neid um, da die Ideen von Manfred immer mehr Aufsehen wegen ihrer kostenneutralen oder gewinnbringenden Wirkung erregten. Auch erhielt er zu diesem Zeitpunkt noch die vertraglich zugesicherten Prämien, was kurzfristig eine Verdoppelung des Gehaltes darstellte. Der alte Machtapparat setze sich mit seiner dümmlichen Bremserwirkung schneller durch, als die kleine Fraktion der Gestalter dachten. Die Prämien wurden in Kinderspiele umgewandelt, es gab bunte Kalender und sonstigen nutzlosen Krimskrams, oder es wurden im internen Zirkel Prämien illegal vergeben. Der dümmste Bauer erntet immer die größten Kartoffeln, wurde Manfred als Hinweis in sein Postfach gelegt. Von wem, wusste er nicht.
Zu Anfang versuchte er sich mit Vehemenz gegen die Intrigen zu wehren, tat dies auch in seiner offenen Art, was aber nur weitere Eskalationen zur Folge hatten. Der ständige Machtkampf in den Abteilungen hatte zu einer ständigen Um- und Neubesetzung der Führungsposition geführt, so wurde der innovative Kern komplett platt gemacht, die sich immer mehr auf die Qualität des Führungspersonals direkt auswirkten. So wurde die "Bettnudel", eine gelernte Buchhändlerin zur Leiterin der kaufmännischen Abteilung ernannt. Wobei sie mehr von sexuellen Dienstleistungen verstand, als von der Addition mehrerer Rechnungssummen. Dabei war die Abteilung für die Berechnung der Herstellungskosten für die Preisgewinnung eines Großrechners zuständig, was sich aufgrund der geringen Stückzahl immer als schwierig herausstellte. Die Konkurrenz machte sich schon mit den ersten Witzen über die marktfremden Preise der Firma SC lustig und dies weltweit im Net.
Zur gleichen Zeit schlug dann in der Familie von Manfred das Schicksal zu, seine Frau hatte einen schweren Autounfall, ein Mitarbeiter ihres Unternehmens starb dabei und sie wurde so schwer verletzt, dass sie für Monate generell ausfiel und anschließend fehlte ihr die Fähigkeit zur Weiterführung des Unternehmens für immer.
Manfred übernahm nun auch noch die Buchführung im Unternehmen seiner Frau, gemeinsam mit den beiden Mitarbeitern, denen aber aufgrund ihres Alters noch viele Erfahrungen fehlte, was sich am Rückgang der Aufträge leider schnell bemerkbar machte. Obwohl seine Frau und er immer gern mit jüngeren und neuen Kräften ihre Chance suchten, war dies nun leider ein schweres Handikap. Auch Manfred verlor nach und nach den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg, die Schulden wuchsen von Monat zu Monat, dazu die Krise an der Börse, was seine dort angelegten letzten Reserven schnell schmelzen ließen. Rechnungen, nur noch Rechnungen, gegen Mitte des Jahres war der "break even point" erreicht, nun waren alle Reserven weg und es war abzusehen, dass Ende des Jahres die Familie und Firma Pleite war.
Dazu wurde Manfred trotz seiner herausragenden Leistungen und immer besserer Ideen ins Lager der Firma strafversetzt, das Gerücht breite sich durch informellen Kanäle, nämlich die Flure der Firma wie ein Buschfeuer aus. Sein neuer Abteilungsleiter war der Bettnudel auf dem Schreibtisch erlegen, dafür musste er Manfred als Lohn für die Rotlichtdienstleistung köpfen.
Manfred machte während des Umzugs in sein neues Büro eine generelle Bilanz seiner Situation und entwickelte eine Strategie. Während der häufigen Krankenhausaufenthalte seiner Frau hatte er an den Wochenendabenden Zerstreuung gesucht. Zuerst in langweiligen Cocktailbars, dann im Kino - bei jedem zweiten Film ging es um Mord und Totschlag - Manfred verstand die Sehnsucht der Menschen nach solchem geistigen Futter nicht, denn war die Realität nicht grausam genug. Durch die vielen Krankenhausbesuche bei seiner Frau hatte er so viele Schicksale miterlebt, dass sein Bedarf nach dem Tod gedeckt war, der kommt immer unangemeldet und ohne Begleitung, so viel stand für Manfred fest.
Also suchte er sich eine andere Form der Zerstreuung, er kam auf das Spielcasino in der Stadt. Roulette hatte es ihm besonders angetan, dabei verspielte er im Monat kaum Geld, sondern begann sich für die Magie der Zahlen zu interessieren. Da er bei SC mit keiner nennenswerten Aufgabe vertraut war, konzipierte er ein Programm, mit dem man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Zahlenreihen bestimmen konnte, die beim Roulette zum Gewinn führten. Die Magie der weißen Kugel bestimmte nun im Herbst sein Denken. Innerhalb von drei Monaten und 20 Besuchen in verschiedenen Spielcasinos hatte er sein Programm "Christbaumstern" fertig.
Vier Wochen vor Weihnachten und einen Monat vor dem absoluten Crash der finanziellen Situation wollte er nun sein Rechenprogramm "Christbaumstern" in die Tat umsetzen. Den Namen fand er sehr passend als er nämlich die komplexe Gleichung ausrucken ließ, auf der Grafik konnte man einen prächtigen und extrem verschachtelten Stern erkennen, der einfach auf einen Christbaum gehörte hätte.
Am Freitag vor dem ersten Advent musste seine Frau wieder ins Krankenhaus und beide hofften, dass sie Weihnachten wenigstens wieder zu Hause sein konnte. Ein erneute Operation an beiden Ellbogen und Knien war schon längst überfällig; ging alles gut, so konnte sie dann ohne Rollstuhl leben, wenn auch mit Krücken, was beide für ein Wunder hielten, denn so war sie wenigstens begrenzt gehfähig.
Manfred ging am ersten Samstag des Krankenhausaufenthalts seiner Frau in das entfernteste Spielcasino, das gehört zum Plan der fünf ausgewählten Objekte; Samstag die mit dem längsten Anreiseweg, Freitag und Sonntag die in der näheren Umgebung, er wollte nicht immer am gleichen Spieltisch erscheinen, Croupiers hatten ein gutes Gedächtnis. Seine Strategie war klar, nicht mehr als 25 000 Euro pro Abend Gewinn, maximal wollte er vier Stunden spielen, eine Session sollte höchstens 35 Minuten dauern, dann Pause und er wollte zur Ablenkung auch immer wieder einen Anteil des Gewinns verlieren, damit niemand Verdacht schöpfte. Seine Rechnung ergab somit bei drei Spieltischbesuchen am Wochenende 300000 Euro bis Weihnachten Gewinn und die wollte er dann das Jahr über zur Begleichung der Rechnungen einsetzen, kam dann noch das Geld der Versicherungen für den Unfall seiner lieben Caro dazu, so hätte er sein Programm drei Jahre zu Weihnachten zu spielen und der Berg war weg, einfach keine Schulden mehr.
Der erste Besuch lief glänzend, seine Zahlenkombinationen konnte er schon nach fünf Minuten am Spieltisch anvisieren, mit der 2 begann das Glück ihn zu küssen. Zwei, dann folgte plus 3, also die Fünf, mal 4 ergab als nächsten Treffer die 20, dann minus sieben, also die Dreizehn,...usw...usw.... Mit eisernem Willen hielt er sein Spielkonzept durch, wenn er in zwanzig Minuten 8000 Euro an Chips hatte, verspielte er sinnlos 2000 oder 3000 Euro, hörte dann auf und machte eine längere Pause, doch er stand innerlich unter Strom, fühlte sich laufend vom Croupier ertappt und änderte daher in der 3 Runde sein Konzept etwas, zuerst verlieren, dann gewinnen und Pause. Nach Mitternacht war er total geschafft, er nahm sich ein Hotelzimmer, stand gleich unter der Dusche und hatte das Gefühl, der Schweiß hätte eine Millimeter dicke Schicht auf seiner Haut hinterlassen. Morgens stand er früh auf, der kurze Schlaf hätte ihm gut getan, seine Ruhe war nun etwas ihn in zurück gekehrt. Ein kurzes Frühstück und er machte sich auf den langen Weg, damit er pünktlich zu Mittag im Krankenhaus war, anschließend einen kurzen Schlaf zuhause und dann ging es zum nächsten Casino.
Als einen Tag vor Weihnachten Manfred Caro aus dem Krankenhaus abholte, ging es ihm gut, seine Frau fühlte sich noch besser, lief gleich den kurzen Weg vom Krankenhauszimmer zum Auto, was verständlicherweise sehr lange dauerte, doch die gute Stimmung und Sehnsucht nach den besinnlichen Tagen, die sie nun im gemeinsamen Heim verbringen konnten, war auf ihren Gesichter zu lesen. Manfred hatte sich mit sage und schreibe 320000 Euro Gewinn ein Ruhekissen für ein ganzes Jahr geschaffen, auf dem sie beide den vielen grauen Alltagen widerstehen konnten, die noch auf sie zukommen sollte.
Mit eisernen Disziplin würde Manfred bis zum nächsten Weihnachtsfest dem Spieltrieb widerstehen und dann jedoch seinen Christbaumstern zum Leuchten bringen, kein Auge könnte dem widerstehen, da war er sich sicher.


Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.


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