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Weihnachten

Von Simone Barkley


"Weihnachten sollte die Zeit der Besinnlichkeit, des Friedens, der Liebe, und der Erinnerung an die Geburt Jesu Christi sein. Doch sieht heutzutage die Realität ein klein wenig anders aus. Die Terminkalender sind voll gestopft und jeder hat Mühe, für sich und seine Familie alles so schön wie möglich in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit herzurichten. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass man nicht mitbekommt, wie es seinen Mitmenschen zur Weihnachtszeit geht."
Frau Gruber legte den soeben vorgelesenen Zettel wieder auf das Pult und nahm ihre Brille in die Hand "Ich möchte, dass ihr euch trotz allem die Zeit nehmt, an eure Mitmenschen zu denken und damit wünsche ich euch schöne Weihnachtsferien."
Wie im Chor wünschte auch die vierte Klasse der Lehrerin schöne Weihnachten und nachdem der Gong ertönte, begaben sich die Kinder auf den Heimweg.
Anni Ströbele ging über den Flur, um ihren Bruder abzuholen, und danach machten auch sie sich auf den Heimweg.
"Du Pepe, Frau Gruber hat uns heute die Aufgabe gestellt, zu Weihnachten auch an unsere Mitmenschen zu denken. Wie kann ich das denn machen?", fragte Anni ihren älteren Bruder Pepe.
"Weiß ich auch nicht Anni, wir haben dieses Jahr selber nicht so viel Geld. Ja, wenn wir viel Geld hätten, dann könnten wir vielleicht spenden, aber so. Komm jetzt, wir sind spät dran."
Anni verstand, aber es gefiel ihr nicht.
Die Ströbele's hatten eine bescheidene kleine Wohnung, verfügten über ein sehr kleines Einkommen, mit dem man keine großen Sprünge machen konnte. Unglücklicherweise jedoch war der Vater lange Zeit im Krankenhaus gewesen, sodass die Finanzen aufgebraucht waren. Ja, es würde noch nicht einmal für die Weihnachtsgeschenke reichen. Wie sollte man da noch spenden?
Das musste sogar die sonst so optimistische kleine Anni einsehen. Betrübt saß sie nachmittags am Küchenfenster und schaute dem Treiben der Schneeflocken zu. Wie friedlich doch alles aussah. Der Wind pfiff und wirbelte die auf der Schneedecke locker liegenden Schneeflocken auf, sodass sie scheinbar tanzten.
Die Mutter betrat die Küche und erkundigte sich, was ihre Tochter so betrübte. Sie setzte sich und hörte aufmerksam zu.
"Ach", seufzte die Mutter, nachdem Anni fertig war, "ich wünschte, wir könnten wenigsten euch Kindern etwas zu Weihnachten schenken, aber ich weiß nicht wovon."
Ihre Stimmte zitterte und ihre Augen begannen zu brennen. Tränen liefen über das sonst so fröhliche Gesicht. Sorgenfalten bildeten sich. Sie hatte eigentlich nicht vor gehabt, ihre Tochter zu belasten. Sie atmete tief durch und strahlte auf einmal wieder Stärke aus. "Weißt Du was, ich mach uns jetzt mal eine schöne Kanne Tee und wir überlegen uns gemeinsam, ob uns nicht doch etwas einfällt."
Gesagt getan, kurze Zeit später saßen sie über einer dampfenden Tasse Tee und knabberten Plätzchen. Ihre Köpfe glühten, sie grübelten bis zum Abendbrot. Doch dann kam ihnen eine gute Idee, die sie beim Abendbrot auch Pepe und Vater mitteilten. Aufgeregt zog Anni einen kleinen Behälter hervor, in dem sich kleine zusammengefaltete Zettel befanden.
"Mutti und ich haben uns etwas überlegt, was wir den Menschen geben könnten, die nichts haben. Und wir haben überlegt, dass wir uns dieses Jahr gegenseitig etwas Selbstgebasteltes schenken könnten. Vorher losen wir aus, wer wen beschenkt."
Der Vorschlag wurde freudig angenommen, Lose wurden verteilt und die Stimmung war auf einmal richtig weihnachtlich. Alle zogen sich zurück, um sich etwas Schönes zu überlegen.
Anni hatte Mutter gezogen und sie wusste schon ganz genau, was Sie Mutter schenken wollte. Dafür brauchte sie aber Vaters Hilfe und er sagte gerne zu.
Pepe hatte Anni gezogen und grübelte den ganzen Abend fieberhaft, was er Anni schenken könnte, doch ganz zum Schluss war er sehr zufrieden mit sich.
Mutter hatte Vater gezogen und Vater hatte Pepe gezogen. Und so war noch bis in die Nacht ein reges Treiben im Hause Ströbele.
Voller Spannung erwachten am nächsten Tag alle, Anni hatte vor Aufregung ganz rote Wangen. Was sie wohl bekommen würde? Nein, zuerst wollte sie doch etwas für die Armen tun. Sie begab sich in die Küche.
Die Mutter wartete bereits. Nach einem kleinen Frühstück begannen sie mit der Arbeit. Sie schälten einen ganzen Berg Kartoffeln und schnitten die Gurken. Pepe und Vater halfen natürlich auch mit. Sie hörten Weihnachtsmusik und wieder zog in alle Herzen diese weihnachtliche Stimmung ein.
Als sie fertig waren, war es bereits 13:00 Uhr. Sie zogen sich Jacke, Mütze, Handschuhe und Stiefel an, nahmen den großen Topf Kartoffelsalat und Nudelsalat und trugen alles ins Einkaufszentrum. Neben dem Einkaufszentrum gab es einen alten Lageraum, in dem ein paar Obdachlose Zuflucht suchen durften vor der Kälte, um die anderen Einrichtungen an diesen Tagen zu entlasten.
Man kann sich vorstellen, wie groß die Freude war, als die Menschen das Essen erblickten. Anni und Pepe konnten vom Essen austeilen gar nicht genug bekommen. Dankbar wünschten die Menschen ohne Zuhause ein gesegnetes Weihnachten.
Aufgedreht sprang Anni auf dem Heimweg vor ihrer Mutter hin und her. Erst zu Hause fiel ihr wieder ein, dass auch sie gleich eine Kleinigkeit bekommen würde und wieder stieg ihre Aufregung.
Sie putzten sich alle heraus. Mutter brachte Tee und Kaffee herein und zur Feier des Tages hatte sie auch noch für jeden ein paar Festtagsplätzchen. Besinnlich saßen alle beisammen. Danach setzten sie sich alle in einen Kreis auf den Fußboden - Bescherung.
Anni war ja so gespannt.
Pepe fing an: "Für Dich, meine Kleine Schwester!"
Er überreichte ihr ein buntverziertes Kuvert. Aufgeregt entfernte Anni den Umschlag: zum Vorschein trat eine selbst gebastelte Weihnachtskarte, in der stand: Dies ist ein Gutschein für meine kleine Schwester. Hiermit schenke ich dir 20 Spielabende, nur wir beide und einmal Eisessen. Alles liebe zu Weihnachten. Pepe.
Anni strahlte überglücklich, doch nun war Vater dran, sein Geschenk zu übergeben. Er überreichte Pepe eine kleine Schachtel, um die liebevoll eine Schleife gebunden war. Hastig öffnete Pepe: in der Schachtel befanden sich ein kleiner Zettel und zwei alte Angelblinker. Pepe lass aufgeregt den Zettel: "Mein lieber Sohn, eine moderne Angel kann ich dir zwar im Moment nicht bieten, aber ich habe noch zwei alte Blinker von Großvater und etwas Angelsehne. Wir schnitzen uns gemeinsam eine Angel, suchen uns Köder und gehen den ganzen Sommer angeln. Dein Vater."
Überglücklich fiel Pepe seinem Vater um den Hals. "Vati, das ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe. Und ich freu mich schon, dass wir dieses Jahr viel Zeit miteinander verbringen werden, nur wir beide!" Dem Buben stiegen die Tränen in die Augen vor Freude.
Nun sollte Vater von Mutter sein Geschenk bekommen. Mutter zog ein kleines verschnürtes Päckchen hervor. Rasch packte der Vater aus. In dem Päckchen befand sich Vaters Ring. Es war ein Erbstück von Großvater gewesen. Vor zwei Jahren hatte sich der kostbare Stein gelöst. "Ich habe Herrn Brauer von nebenan gestern Abend gefragt, der kennt sich mit Schmuck aus, ob er so etwas reparieren kann und es war nicht viel Mühe für ihn. Nur einen Kuchen hat er gewollt, den bekommt er dann auch. Ist das nicht das schönste Weihnachtsfest, was wir je erlebt haben?"
"Aber Mutti, nun kommt doch noch dein Geschenk!", sagte Anni. Sie holte ein Stofftuch hervor und verband der Mutter die Augen. Dann wurde Mutter ins Auto geführt und zu einem geheimen Ort gebracht. Als sie die Augenbinde abnahm, sah sie eine festlich geschmückte Kirche. Die Kirche füllte sich und ein Krippenspiel und ein nachfolgendes Musikkonzert begann. Während die Musik vorgeführt wurde, schaute Anni rüber zu Mutter, sie hatte Tränen der Rührung in den Augen. Seit Jahren war dies Mutters Wunsch gewesen, doch es hatte bis jetzt noch nie geklappt.
Alle fanden, als sie auf dem Heimweg waren, dass dies der gelungene Abschluss für dieses Weihnachten sei und dass es zu Weihnachten nicht um Geld oder Geschenke ginge, sondern um die Fähigkeit, anderen eine Freude zu bereiten und sich an die Geburt Jesu zu erinnern. Das ist Weihnachten.


Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.


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