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Frohes Fest

Eine Weihnachtsgeschichte von Julia Lorenz


Dies hier wird keine Weihnachtsgeschichte, denn ich mag Weihnachten nicht. Dieses ganze Rührselige, alle zusammen unterm Baum, mit Liedern, Klein Max spielt was auf der Blockflöte, Vati trinkt den fünften Glühwein und Mutti läuft immer zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her, immer darauf bedacht , es "schön zu machen", und alle rufen "Mutti, jetzt setz dich doch mal, heut ist Weihnachten". Ich mag kein Weihnachten. Und das hat nichts damit zu tun, dass mich meine Frau letztes Jahr im Winter verlassen hat, mit Klein Max. Ich mochte es auch schon vorher nicht. Also, Plan für diese Jahr: Keinen Baum, keinen Schmuck, keine Lieder, keine Familie, aber Glühwein.
Ich treibe mich bis um halb drei in der Stadt herum, solange haben die Läden auf. Solange die Geschäfte auf haben, ist alles gut. Überall drängen sich die Menschenschlangen, auf der Suche nach dem Lastminute-Weihnachtsgeschenk. Sie rempeln, pöbeln, haben es eilig. Schneematsch klebt an ihren Hosen und die Verkäufer zwingen sich zu einem Lächeln, wegen des Trinkgeldes. Schön, schön unweihnachtlich. Ich kaufe mir eine Tiefkühlpizza, zwei Flaschen guten Rotwein, Chips und scharfe Salsa. Ja, hört sich nach einem Junggesellen-Essen an, ich kann damit leben. Nach halb drei wird's dann weihnachtlich. Die Straßen leeren sich, die Menschen werden entspannter, haken sich beieinander ein, wegen des Matsches. Ich hau ab.
Im Treppenhaus treffe ich Willi, den Frührentner. "Frohes Fest", sagt er. "Ja", sag ich. "Was gibt denn bei Ihnen, Frank?" "Oh, Rotkohl mit Gans, und dazu Familie", sag ich. "Oh, schön. Tschüß dann."
Ich weiß nicht, warum Willi Frührentner ist. Aber die chronisch rote Nase und das gedunsene Gesicht lassen Böses erahnen. Willi läuft mir immer im Treppenhaus über den Weg, jeden Tag. Ich werde kein Frührentner.
Pizza ist im Ofen, die erste Flasche Wein geöffnet, sehr guter Tropfen. Lege Marvin Gaye auf und nehme mir ein Buch. Danach hab ich noch ein Paar Akten vor mir, die ich mit nach Hause genommen habe. Welch ein schöner Abend. Bin mir sicher, dass all die Familienväter gerne mit mir tauschen würden. Keine schreienden Kinder, kein Weihnachtsbaumschmücken, kein Liedersingen, kein Weihnachtsspaziergang im Nieselregen.
Es klingelt. Nein, ich öffne nicht, nicht heute, das ist mein Tag. Es klopft. Verdammt. "Hallo, wollt Ihnen nur ne Flasche Wein hochbringen." "Oh, danke, Willi." "Schön haben Sie es hier, war ja noch nie hier bei Ihnen." "Danke." Ich bin kein höflicher Mensch, falls hier der Eindruck entstanden sein sollte. Ich bin nur feige und versuche nicht unangenehm aufzufallen. Willi schiebt sich an mir vorbei in die Wohnung. Und hier sind ein paar Plätzchen, hab ich selbst gemacht. Ich muss notgedrungen grinsen, hoffentlich sarkastisch genug. "Sie können backen?" Willi lächelt nur und antwortet nicht. Komischer Kauz, wie werde ich ihn jetzt nur wieder los?
"Wissen Sie, meine Familie müsste jede Minute kommen, Willi." Wir haben wirklich nichts gemeinsam, dieser mitleiderregende Säufer und ich. Willi schiebt sich einen von seinen Keksen in den Mund. Es klopft wieder an der Tür. Draußen hört man Gekicher, von Kindern. Willi geht zur Tür und öffnet. Bin ich eigentlich nicht in der Lage, einmal durchzugreifen? Draußen steht eine Horde lauter, lärmender Kinder, in Kostümen. "Ah, ihr seid doch die Holtenstett-Bande, was?", ruft Willi lachend. "Süßes oder Saures", wird er angebrüllt. Mir platzt der Kragen." Spinnt ihr, heut ist doch nicht Halloween!" rufe ich aus 5 Metern Sicherheitsabstand. Willi dreht sich zu mir um und fängt an zu lachen. Er lacht mich aus, schießt es mir durch den Kopf. Willi, der Frührentner, lacht über mich! Er kramt in seiner Hosentasche und drückt dem ältesten Kind was in die Hand. Das war ein 5-Euro-Schein. "So, dann noch viel Erfolg für euch, ne, und frohe Weihnachten." "Danke, Herr Schneider, Ihnen auch!" Willi schaut ihnen hinterher, wie sie kreischend weiter zur nächsten Wohnung ziehen und schließt dann lächelnd die Tür.
Ich stehe dumm da. Ja, tatsächlich, Willi hat die Führung übernommen. "Kommen Sie, Frank, jetzt machen wir es uns gemütlich." Er geht in die Küche, ich hinterher. Er nimmt die Rotweinflasche, ich gebe ihm den Korkenzieher. Das erste Weihnachten alleine, was? Woher weiß dieser Mensch das? Ich will auch Frührentner sein und alles über die Leben meiner Nachbarn wissen. Ich nicke.
"Meine Frau ist vor 3 Jahren gestorben, ich bin in diesen Tagen nicht gern allein, wissen Sie, aber wenn ich störe, gehe ich natürlich." Was ist nur mit mir los? Das ist die Gelegenheit! Ich halte ihm zwei Gläser hin und er schenkt sie voll. Ich werde Willi so schnell nicht gehen lassen. Wir setzen uns ins Wohnzimmer und Willi öffnet die Tupperdose mit den Keksen. Ich beiße in einen Mürbeteigkeks mit bunten Zuckerkugeln und Willi schaut zum Fenster. Es hat angefangen zu schneien.


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