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Heute ist uns ein König geboren...

Eine Weihnachtsgeschichte von Sara Puorger


Behutsam legte Josef das neugeborene Baby in die Krippe, die er vorher mit frischem Stroh zu einem Bettchen ausgestattet hatte. Maria saß müde in einer Ecke des kleinen Stalles, in dem sie Unterschlupf gefunden hatten. Ihre Glieder schmerzten noch immer von der langen und beschwerlichen Reise und sie war erschöpft von der Geburt. Gähnend kuschelte sie sich näher an den Bauch des Esels, der sie so tapfer den ganzen Weg nach Bethlehem getragen hatte. Sie war unendlich müde, doch schlafen wollte sie nicht. Ihre Augen hefteten sich an die zwei Menschen, die ihr das Liebste waren auf der Welt. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin, die ihrem Traumprinzen einen gesunden Thronfolger geschenkt hatte. Ihr Palast bestand aus einigen alten Brettern zu einem baufälligen Stall zusammengezimmert. Ihre Wachen waren die handvoll Schafe, die friedlich schliefen. Und ihr königliches Bett bestand aus altem, zertretenem Stroh, das sie mit ihrem Esel und einer dicken Kuh teilten. Es war ein trauriger Anblick, doch für Maria war es das Paradies.
Der kleine Jesus war eingeschlafen. Josef löste sich sanft von den winzigen Fingerchen, die seinen Zeigefinger umklammert hielten und setzte sich neben seine Frau. Liebevoll nahm er sie in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Na, wie fühlst du dich, Schatz?"
Maria schaute Josef mit strahlenden Augen an. "Weißt du, ich fühle mich so gut wie noch nie. Ich bin so glücklich, dass ich das Gefühl habe, mein Herz müsse vor Glück zerspringen. Ich wünschte wir könnten ewig hier bleiben."
"Na na na. Du willst doch unseren Sohn nicht in einem Stall aufwachsen lassen?"
Maria seufzte glücklich und schmiegte sich an Josefs Brust. "Für mich ist dieser Ort nicht einfach ein Stall. Es ist wundervoll hier. Wir haben alles was wir brauchen. Wir haben uns, wir haben den kleinen Jesus, wir haben unser Eselein, das uns wärmt und wir haben Gott, der über uns wacht. Hast du nicht den wunderschönen Stern gesehen, den er uns als Wächter über unserem Stall erstrahlen lässt?"
Josef schaute sie erstaunt an. "Welchen Stern?"
"Na, den mit dem langen Schweif. Hast du ihn nicht bemerkt? Geh raus und schau ihn dir an! Er ist wunderschön!"
Josef stand auf und trat an das kleine Fensterchen neben der Tür. Die Pracht des Sternes, den er dort draußen über ihrem Stall sah, verschlug ihm beinahe den Atem. Etwa fünf Minuten lang starrte er ihn schweigend an. Maria hatte Recht. Gott selbst bewachte diesen Stall und tauchte ihn durch diesen Stern in ein herrliches, warmes Licht.
"Guten Abend!" Eine tiefe Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken. Er hatte die Hirtenschar gar nicht bemerkt, die mit ihren Schafen den Hügel hinaufgestiegen waren und nun gesammelt vor dem Stall standen.
"Ist hier ein König geboren? Ein Engel verkündete uns heute Nacht, dass in diesem Stall uns unser Retter geboren wurde." Ein anderer Hirte hatte das Wort ergriffen und schaute Josef mit fragenden Augen an. Einen kurzen Moment lang wusste Josef nicht, was er antworten sollte, doch dann lächelte er. Er öffnete die Tür und winkte die Hirten hinein.
"Er liegt dort drüben in der Krippe. Aber seid leise, er ist gerade eingeschlafen."
Maria, die die Müdigkeit übermannt hatte, schreckte auf, als die Hirtenschar auf sie zukam. Für einen kurzen Augenblick ergriff sie panische Angst um ihren Sohn, doch als sie in die strahlenden, vom Wetter gegerbten Gesichter der Männer sah, wurde sie wieder ruhig. Freude und auch ein sanfter Stolz machte sich in ihrem Herzen breit. Diese Männer waren gekommen, um ihr Kindlein zu sehen, ja um es anzubeten. Jetzt erst dämmerte ihr, welch große Ehre ihr zuteil geworden war. Dieses Kind, das sie vor wenigen Stunden erst zur Welt gebracht hatte, war kein normales Kind. Es war Gottes Sohn. Gott selbst hatte ihn ihr geschenkt, ihn ihr anvertraut.
Ihr Blick schweifte zu Josef, wie er neben der Krippe stand und voller Stolz die Szene, die sich ihm bot, beobachtete. Es war nicht sein Sohn, der da in der Krippe lag und seine kleinen Händchen den Hirten entgegenstreckte. Oft hatte sie sich in den letzten paar Monaten Gedanken darüber gemacht, wie er mit dieser ganzen Situation fertig wurde. Doch wie sie ihn jetzt neben der Krippe stehen sah, voller Vaterstolz auf den kleinen Jesus herabblickend, waren all die Ängste verschwunden. Mit einem Gefühl der Geborgenheit schloss sie die Augen und dankte Gott für seine unaussprechliche Güte, dass er sie so reich beschenkte. Leise sagte sie: "Heute ist ein König geboren, der Retter der Welt."


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