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UNDINE & CHARLY

Eine Weihnachtsgeschichte von schlagloch


Die Grenze ist offen. Man kann zwischen Österreich und Italien ohne Passkontrolle ein- und auszureisen. Seit der Grenzöffnung hat der österreichische Grenzort einiges von seiner Bedeutung und Betriebsamkeit verloren. In diesem Gebiet, wo vor zwei Generationen der große Krieg tobte, hat sich zwischen der Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze gegenseitiges Verständnis füreinander entwickelt. In der Vorweihnachtszeit kommen die Menschen von jenseits der Grenze zu einem Spaziergang auf die Adventmärkte in die mit Girlanden und Sternen geschmückten Städte diesseits der Grenze. Die Plätze sind erfüllt vom Duft nach Weihrauch, Glühwein, Bratwurst und dem Lachen der Südländer. Frauen, in elegante Pelzmäntel gehüllt, reden in einer wohlklingenden fremden Sprache.
Im österreichischen Grenzort halten die Südländer bei der Fahrt zu den Adventsmärkten nicht an, sie fahren mit überhöhter Geschwindigkeit durch den Ort. Am Marktplatz neben der Bundesstrasse steht eine Fichte mit einer Lichterkette. In den Geschäften des Ortes fehlt in den Schaufenstern der üppige Weihnachtsschmuck. Für mehrere Geschäfte sind es die letzten Weihnachten, bevor sie das Geschäft für immer zusperren. Der wenige Schnee ist für die Fußgänger eine Belästigung. Der Schnee verwandelt sich zu Matsch unter den Schuhsohlen. Der Schneematsch lässt keine vorweihnachtliche Stimmung aufkommen. Soviel die Bewohner auch vom Schnee reden, es will und will nicht ausgiebig schneien. Es ist wie in den vergangenen Jahren, es schneite im Westen, im Norden und hier im Süden nur ganz wenig. Von Norden blickt ein Gebirgsmassiv mit schroffen Felswänden auf das weitläufige Bahnhofsgelände. Vereinzelt rattert eine Verschub-Lok über die Geleise, wenige Waggons stehen zum Verschub bereit. Entlang der Bahngeleise stapeln sich Berge von Holzpaletten, die noch gebraucht wurden als hier Tag und Nacht Waren verzollt und verladen wurden. Der Güterverkehr wird jetzt in einem neu erbauten Großverschiebebahnhof abgefertigt. Hier halten noch die Regionalzüge. Dass die internationalen Reisezüge im Grenzbahnhof stehen bleiben, damit die Zöllner zur Passkontrolle einsteigen können, ist Schnee vergangener Jahre. Die meisten Signale stehen auf Rot. Aus einem angrenzendem Sägewerk steigt aus dem Schornstein weißer Rauch und ein Kran fährt über den Holzplatz.
In diesem Grenzort leben seit einigen Jahren Friedericke und Friedrich. Sie haben sich im Westen kennen gelernt. Friedericke kam aus dem Osten und Friedrich aus dem Süden. Seit acht Monaten haben sie zwei junge Katzen, Undine & Charly. Undine ist die elegante und schlanke Hausdame welche sich auf dem Heizkörper in der Küche ausstreckt, sich aufrichtet wie eine Sphinx und das Geschehen in der Küche beobachtet. Streichelt Friedericke Undine während des Liegen am Heizkörper, so fährt Undine ihr mit der Vorderpfote in das Gesicht und tippt mit der Pfote auf der Wange leicht an. Charly liegt eingerollt in einer Ecke der Küchenbank und schläft. Wird er am Hals gestreichelt, so hört man sein Schnurren in der ganzen Küche. Beim Ballspiel mit Friedrich sind die Katzen die Tormänner. Sie stoppen die Bälle mit der Pfote und schupsen die Bälle wieder zurück. Undine & Charly sind Wohnungskatzen welche am Morgen baden wollen. Sie springen nach dem Aufwachen in die Badewanne, blicken zum Wasserhahn, schimpfen und knurren so lange bis der Wasserhahn von Friedrich aufgedreht wird. Es herrscht Übereinstimmung zwischen den Hausbewohnern und den Katzen. Den Besuchern erzählen Friedericke und Friedrich gerne von ihren Erlebnissen mit den Hauskatzen. Dieses Jahr soll im Grenzort das erste gemeinsame Weihnachtsfest gefeiert werden. Der heilige Abend rückte näher, Kerzen, goldene Maschen und Blumengestecke schmücken die Wohnung. Sie sprechen über den Weihnachtsbaum, der nicht zu groß sein soll. Eine kleine Tanne würde für sie genügen. Friedrich muss daran denken, dass er Weihnachten schon öfters alleine gefeiert hat. Bei einer brennenden Kerze mit klassischer Musik und mit Lesen. Er hat sich eine Hauswurst erwärmt und sich an seine Kindheit auf einem Bauernhof erinnert. Er war dabei zufrieden gewesen, er hatte zu essen und es war geheizt. Es gab viele Menschen, die auch an diesem Festtag hungerten und froren. Bei anderen gab es am Weihnachtsabend Streit. Er war damals allein, aber nicht unglücklich gewesen. Die Erwartungen in den Heiligen Abend sind groß. Dieses mal kann er mit einem Menschen welchen er gerne hat feiern. Es sollen gemütliche Feiertage werden.
Ein Sohn von Friedericke lebt schon jahrelang allein in einer entfernten großen Stadt und ist zum Einzelgänger geworden. Er meidet den Umgang mit anderen Menschen und hält auch Abstand zur eigenen Familie. Über die Ursache weiß Friedrich wenig. Mit Friedericke hat er ihn schon besucht und kennen gelernt. Friedrich hat ihn so erlebt , dass er immer Recht behalten und in allem das letzte Wort haben wollte. Er hat Verständnis dafür, dass der Sohn zu Weihnachten nicht alleine bleiben soll. Der Sohn wird zu ihnen eingeladen. Einen Tag vor dem Heiligen Abend kommt er mit dem Zug in der nahen Stadt an und wird vom Bahnhof abgeholt. Die Fahrt führt zuerst in den italienischen Grenzort. Über der Straße leuchten die Neonsterne , aus den Geschäften fallen die Blicke der Verkäufer auf den Gehsteig. In der Mitte der Piazza ist eine lebende Krippe, der Atem der Tiere ist im Licht der Straßenlaternen sichtbar. Aus den Lautsprechern erklingt Weihnachtsmusik. Eine italienische Jause und ein Glas Wein sollen auf gemeinsame Weihnachten einstimmen. Bald kommt es zu einem Wortwechsel zwischen Friedrich und dem Sohn von Friedericke. Für Friedrich ist Weihnachten nicht nur Geschäftssache, er glaubt an das Weihnachtswunder. Für den Sohn existiert nur, was man mit Geld kaufen kann. Friedrich weiß, dass man Zuneigung oder Zufriedenheit nicht mit Münzen kaufen kann. Geld ist nur ein Teil des Lebens. Er ist davon überzeugt, dass das Leben im Großen wie im Kleinen nicht den Geldmenschen überlassen werden soll. Er fühlt sich von den Worten und Handbewegungen des Stiefsohnes verletzt. Die Auseinandersetzungen stimmen Friedericke traurig. Am Abend macht Friedericke Friedrich wegen des Wortwechsels mit ihrem Sohn Vorwürfe. Es ist kein Streit zwischen ihnen, sondern eine Missstimmung wegen des Sohnes. Friedrich kann nicht einschlafen, er dreht sich von einer Körperseite auf die andere und empfindet die Vorwürfe seiner Frau ihm gegenüber als ungerecht.
Nach einer Nacht zwischen Wachsein und Schlafen bricht für Friedrich der Morgen des 24. Dezember an. Undine & Charly toben nach dem Fressen durch die Wohnung und stoßen die Vase mit dem künstlichem Schnee um. Auf dem schwarzen Fell glänzt der Kunstschnee wie Silbersterne. Im Bauch von Friedrich nagen die Vorwürfe seiner Frau vom Vorabend. Die Arbeit lenkt ihn von seiner Kränkung ab. Der Himmel ist wolkenlos, niemand glaubt mehr daran, dass es noch weiße Weihnachten geben wird. Die Supermärkte werden von den Leuten gestürmt, es ist ein Gedränge und zu den Verkäuferinnen ist man ungeduldig. Die Menschen wünschen einander frohe Weihnachten. Beim Mittagessen schweigt Friedrich, eine große Müdigkeit breitet sich in seinem Körper aus. Die letzten Stunden vor dem Heiligen Abend sind gekommen. Friedrich fühlt sich in der Wohnung unwohl.
Er geht in das Freie und spaziert über den menschenleeren Marktplatz zum Bahnhof. Noch mehr Signale als sonst stehen auf Rot, das Bahnhofsgelände ist menschenleer. Er geht entlang der Bahnstrecke auf die nächste Ortschaft zu. Es ist kalt und still. Er entfernt sich immer weiter vom Bahnhof. Auf der einen Seite der Bahnstrecke ist eine Moorlandschaft mit Birken und Föhren, auf der anderen Seite ist ein bewaldeter Steilhang. Aus den Eisflächen ragt das Schilf. Sein ganzer Körper ist dem frostigem Wind ausgesetzt, die Kälte frisst sich in seine Ohren und Nase. Aus den Augen kommen ihm die Tränen, rollen über die Wangen und bleiben am Brillenrand hängen. Der Himmel wird dunkelblau, rosarote Wolken erscheinen im Westen, und im Osten beginnt es zu dämmern. Der Wald auf der Schattseite ist blauschwarz. Friedrich kommen immer die gleichen Gedanken, die sich im Kreis drehen. Er fühlt sich verletzt, aus der Wohnung verdrängt und in der Beziehung zurückgesetzt. Er denkt an Friedericke, welche inzwischen mit der Zubereitung des Festessen begonnen haben wird. In manchen Häusern wird man schon die Kerzen am Christbaum anzünden. Um ihn ist es still und dunkel. Der Weg macht eine Linkskurve und führt durch das Moor zum nächstem Dorf. Die Bahngeleise erscheinen ihm als ein Ort der Erlösung aus einer Umgebung der Zerwürfnisse. Als eine Stätte von unendlicher Ruhe für ein Leben um das er jeden Tag kämpfen muss. Der Erlenwald reicht hier bis an die Bahntrasse, Friedrich schreitet auf den Bahndamm zu. Er bleibt beim Gehen stehen, hat er nicht das Miauen einer Katze gehört? Er geht ein paar Schritte weiter, blickt in das Gebüsch und wieder glaubt er den Schrei einer Katze zu hören. Er bleibt stehen und beginnt nach der Katze zu rufen. Er bückt sich, schaut in das kahle Unterholz und kann dort nichts entdecken, keine Bewegung und keinen Laut. Es kommt ihm unwahrscheinlich vor, dass bei dieser Kälte und so weit von den Häusern entfernt hier eine Katze ist. Friedrich denkt an Undine & Charly. Haben sie ihn gerufen bevor er seine Schritee auf die Bahngeleise gelenkt hätte. Dieser Gedanke ist für ihn ein Signal zum Innehalten. Er macht kehrt und geht den Weg zurück.


Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.


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