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Heiner, der Streuner ... von den Toten auferstanden

© sowo

Vor etlichen Jahren hatten wir uns eine Katze zugelegt. Dies war eher ein Zufall als ein tatsächlicher Wunsch. Aus einer Annonce in der Tageszeitung war zu entnehmen, dass eine Katzenmutter Junge bekommen hatte und das nicht zu wenige. Katzen waren schon immer unsere Lieblingstiere gewesen, weshalb wir die Katze besichtigten.
Beim Ansehen der putzigen, kleinen und lebhaften Familie waren wir sofort Feuer und Flamme, weshalb es gar keine Frage mehr gab ... ja, die Katze musste her.
Sie durfte dann im Auto mitfahren, was ihr weniger gut behagte. Das Klettern über unsere Köpfe hinweg, war nicht nur für sie ein Abenteuer, nein, auch für uns. Weshalb wir nach dieser fürchterlichen Schwitzaktion doch recht froh waren, alle heil zu Hause angekommen zu sein.
Wir gaben dem kleinen Familienmitglied einen Namen, er hieß fortan Heiner. Ein Name, der zu seiner ruppigen Art einfach passte. Er sah aus wie ein kleiner Tiger, hatte vier weiße Pfoten und ein weißes Gesicht mit einer braunen Stupsnase. Die Farbe des Fells war schwarz, grau und weiß gemustert, getigert.
Heiner war ein sehr lebhafter kleiner Bursche, weshalb er auch gerne seine Freiheit genoss, was heißt, er liebte es, waghalsige Klettertouren zu absolvieren, die uns jedes Mal das Blut in den Adern gefrieren ließ, wenn wir mitbekamen, wie er die Balkonbrüstung an der äußersten Ecke zielgerade, Pfote vor Pfote setzend, millimetergenau ausgeklügelt bis zur Spitze der Waghalsigkeit am Ende des Balkongeländers und ... eine Wendung vollzog, die kein Seilkünstler wohl nachahmen konnte.
Heiner begehrte immer mehr seine Freiheit, weshalb wir uns entschlossen, dem Freiheitsdrang unseres kleinen Tigers nachzugeben und ihn am Morgen, wenn wir zur Arbeit gingen auch mitnahmen. Heiner ging sehr schnell seine eigenen Wege, indem er sich gleich einer Katzendame anschloss, die ihn - dem jungen Springinsfeld - offensichtlich Mutter, Schutz und gleichzeitig auch Freundin sein wollte. Eine Freundin in jeglicher Beziehung. So konnten mit miterleben, wie die Katzendame unserem Heiner das Überqueren der viel befahrenen Straße beibrachte. "Mama Katze" hatte sich unter den parkenden Autos versteckt und "Klein-Heiner" machte es ihr nach. Wenn die Katzenmutter nun die Straße vorsichtig - zuerst nach links und rechts spähend - überquerte, folgte ihr sofort Heiner auf den Fersen.
Recht schnell hatte er die Gefahren erkannt und war schnell Herr in seinem Gebiet. Des Abends stand er auch meist an der Haustür und begehrte Einlass. Er kannte offensichtlich die Tageszeiten, an denen seine Menschen heimkamen. Denn er saß tatsächlich immer auf der Treppe, wenn einer von uns um die Ecke bog und nach Hause kam.
Heiner neigte sehr zur Faulheit, weshalb wir mit der Zeit mitbekamen, dass Heiner offensichtlich keine rechte Lust hatte, jedes Mal die ganzen Stufen bis in unser viertes Stockwerk mit hochzuklettern, so dass er schon in der zweiten Etage Einlass begehrte.
So kam es auch des Öfteren vor, dass unser lieber Heiner sich schon anderswo sein Futter holte und kurz grüßend, schauend und miauend an uns vorüberzog, während wir dachten, Heiner hatte uns heute versetzt. Nein, dem war absolut nicht so, Heiner war schlichtweg zu faul auf uns zu warten.
Ein wenig waren wir traurig, dass unser kleiner Stubentiger sich so selbständig entwickelt hatte, dennoch waren wir auch mit ihm glücklich, dass er ein schönes selbständiges Katzenleben gefunden hatte, eins, das ihn zufrieden machte und uns somit auch.
So kam es auch vor, dass Heiner mal tagelang außer Sicht war und wir ihn fast nicht mehr zu Gesicht bekamen. Meistens wenn er uns dann aussuchte, als seine Menschen, und er seinen Besuch bei uns machte, in den vierten Stock hochmarschierte, ja, dann schlief er auch des Nachts bei uns, was den Anschein machte, als wäre es ein Freundschaftsbeweis. Am darauffolgenden Morgen ging er dann freudig und bereitwillig wieder mit uns weg und seine eigenen Wege, die wir natürlich nicht kannten.
Ein sehr selbständiger Kater war er geworden, unser Heiner!
Dann kamen aber Tage, an denen es immer und fortwährend geregnet hatte. Regen, Regen und nochmals Regen ... ohne Ende. Heiner hatte jedoch seine Gewohnheiten und ging morgens mit uns weg, kam auch abends wieder wie ausgemacht an die Haustür, so dass wir miteinander nach oben gingen.
An einem dieser lang anhaltenden Regentage kam Heiner jedoch nicht, auch nicht am nächsten und am übernächsten. Wir machten uns große Sorgen. Immer wenn wir abends um die Ecke kamen, die Haustüre in Sicht, sahen wir geistig schon unseren Heiner davor sitzen und uns freudig miauend begrüßen. Aber Heiner saß auch am vierten Tage nicht dort.
Da wir seine Gepflogenheiten kannten und meinten, er wäre eventuell zu anderen Leuten "umgezogen", redeten wir uns ein, es wäre auch dieses Mal so. An einem Sonntag dann, am Morgen, läutete es bei uns an der Wohnungstür. Die Hausfrau stand dort und war sehr aufgeregt. Unten beim Eingang lag eine tote Katze, vom Regen durchnässt und sie sieht aus wie unsere. Wir zogen uns sofort an und gingen mit der Hausfrau nach unten, um zu sehen, ob es stimmte, was sie sagte.
Der Regen prasselte unaufhörlich und es schüttete wie aus Eimern. Als wir die Haustüre öffneten lag tatsächlich ganz nahe an der Hauswand eine tote Katze. Sie war durchnässt und sah unserem Heiner so sehr ähnlich, dass wir auch meinten, es wäre unser Kater.
Wir weinten fürchterlich und holten eine Plane, um Heiner nicht im Regen liegen zu lassen. Nach einiger Überlegung beschlossen wir, ihn zu beerdigen. Da wir keinen Garten besaßen, haben wir unseren Heiner dann außerhalb der Stadt zu seiner letzten Ruhe begeben. Wir luden ihn eingehüllt in eine dicke Wolldecke in unser Auto und fuhren hinaus aufs Land. Mein Mann kannte eine gute Stelle, an der bestimmt niemand auf die Idee käme, dass dort ein Grab zu finden sei. Diese Stelle war am Ende einer Gartenanlage, entlang eines Bahndammes. Wir fuhren also in strömendem Regen hinaus, gruben mit einer Schaufel ein entsprechend großes Loch und legten unseren Heiner zu seiner letzten Ruhe. Oben auf das Grab setzten wir ein kleines Holzkreuzchen, das wir aus zwei Stöckchen gebunden hatten, weinten fürchterlich, denn wir hatten unseren Streuner furchtbar lieb und waren sooo stolz auf ihn gewesen, dass er so ein selbständiger Kater geworden war. Heiner war gerade mal ein halbes Jahr alt geworden und so ein junges Leben musste so schnell beendet werden. Ein Leben, das zu unserem dazugehörte, fast wie ein Kind, denn wir hatten damals noch keins.
Wir fuhren tränenumströmt nach Hause und weinten noch viele Tage. Zwei Wochen sind dann vergangen und wir hatten es inzwischen einigermaßen eingesehen, dass Heiner nie mehr vor der Haustüre auf uns warten würde, nie mehr mit uns in den vierten Stock hoch kommen würde, nie mehr sein freudiges Miauen und sein wohliges Brummen vernehmen. Nie mehr !!! ... nie mehr!!!
Inzwischen schien der Himmel wohl genug zu haben, vom ewigen Schütten, so dass es wieder anfing, schöner und auch freundlicher zu werden. Eines abends, wir kamen wieder um die Ecke, aber nicht mehr darauf wartend, unseren Heiner zu erblicken ... hörten wir ungläubig ein freudiges Miauen, jemand saß an der Haustüre, jemand, den wir sehr gut kannten ... es war unser Heiner !!!!
Wir konnten es nicht glauben, Heiner war wohl aus dem Katzenhimmel aufgestanden, denn er schien es tatsächlich zu sein. Seine weißen Pfoten, seine braune Stupsnase, seine Spitzbübigkeit ... Heiner lebte!!!
Wir lachten und weinten, alles durcheinander. Unser Kater war gar nicht tot. Es war also nicht unser Kater, den wir vor zwei Wochen am Bahndamm beerdigt hatten, es war eine vollkommen fremde Katze gewesen, die wir nicht erkannten, da der Regen das Fell so durchnässte und es so jede Katze hätte gewesen sein können, was ja auch so war.
Heiner lebte und wir waren sehr, sehr froh!
Vielleicht war dieses Erlebnis auch ein böses Omen, wir wissen es nicht, jedenfalls hatten wir ihn nach etwas mehr als einem Jahr aus den Augen verloren und ihn dann tatsächlich nie wieder gesehen ... auch nicht tot.



Eingereicht am 04. April 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.



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