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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Winnie darf bleiben

© Inge Borg

Ende September 2001 kam meine Nachbarin "Hanne", ganz aufgeregt, vom Gassi gehen mit ihrer Tessa zurück. Gerade hatte sie die große Runde mit ihrer Hündin gedreht - und: "Auf der anderen Seite vom Dorf wurde heute ein sehr kleines Kätzchen gefunden, im Dreck!" Da muss ich ja jetzt nicht weiter ins Detail gehen, oder?
Eine "Hand voll Katze" und meine Hand ist nicht groß. Jämmerlich miauend, die kleinen Äuglein quollen vor, diesem Winzling musste geholfen werden! Bei meiner Tierärztin wurde es ziemlich teuer, aber jetzt wusste ich, das Kätzchen ist ein ER und etwa drei Wochen alt.
ER ist schwarz/weiß, oder weiß/schwarz? Kommt ganz drauf an, ob er von unten oder oben betrachtet wird. Der Bauch, bis in die Seiten, ist weiß. Am Rücken hat er einen großen schwarzen Sattel. Schwanz und ein Teil des Gesichtchens sind schwarz. Das Weiß im Gesicht läuft mit einer Spitze zur Stirn aus. Sein rechtes Auge ist im schwarzen, das linke im weißen Teil. Die Augen sind gelb. Das rosa Näschen hat einen schwarzen Punkt. Hier und da noch ein paar schwarze Flecken an den Beinen, das ist seine ziemlich genaue Beschreibung.
Eigenartig, im Sommer hatte ich aufgehört zu arbeiten, hatte die "Rente durch", sagt man ja so. Damit ich mich jetzt um "Winnie" kümmern konnte? Hätte es einen besseren Namen für ihn geben können, für dieses kleine Etwas? - Soll ich, soll ich nicht, abgeben oder behalten?
Nein, nein viel zu gefährlich, wenn Blacky das winzige Kerlchen sieht wird er machen, was die ganze Zeit mit ihm, durch den bösen Dorfkater, passiert. Also, sobald die Leute von der "Katzenhilfe" wieder da sind, gebe ich Winnie ab!
Bis dahin musste ich ihn aber verstecken. Mein weißes Sweatshirt, mit dem engen Strickbund, gab eine wunderbare Bauchtasche ab. Winnie vor meinem Bauch, den Strickbund über ihn geschlagen, das Tages-Versteck war perfekt. Nachts kam der Kleine ins Gäste-WC. Mit kleinem Lichtchen, Streu im Deckel eines Schuhkartons, etwas Wasser und Futter. Übrigens, von Anfang an benutzte er sein Klo wie ein Profi. Hanne lieh mir ein Körbchen, eigentlich der Korb zum Pilze pflücken, für mein "Piepsstimmchen" dicke groß genug.
Das Abgeben des kleinen Katers verzögerte sich über eine Woche. So blieb es nicht aus, Blacky entdeckte Winnie! Blacky war so erschreckt, dass er fauchend zurückwich, bemerkte aber dann, es ist ein Baby. Das Baby wurde eingehend beschnuppert. Aber nun war meine Ängstlichkeit wieder da, immerhin ist dieses winzige Tierchen "schwarz/weiß", wie der Freche! - Schweren Herzens meldete ich Winnie bei der Katzenhilfe an.
Der Tragekorb stand schon an der Tür, die Abgabe sollte 15 Uhr sein. Dann lief alles ganz anders. Warum nur zweifelte ich so sehr an Blacky's Sozialverhalten?
Kurzfristig hatte ich Winnie nicht beobachtet und dort, wo er gerade noch spielte, war er nicht mehr. Erschreckt warf ich einem Blick auf Blacky, der in seiner Kuscheldecke auf der Couch lag - und bekam große Augen. Winnie lag bei Blacky auf der Decke. Blacky hatte ein Vorderbein schützend über ihn gelegt, so sahen sie mich beide an. Der eine "lass IHN bleiben", der andere "lass MICH bleiben". Meine Sprachlosigkeit musste ich erst einmal überwinden, dann telefonierte ich mit der Katzenhilfe: "Daraus wird nichts." Ein erleichtertes Lachen am anderen Ende, ein angekündigter Esser weniger.
So durfte Winnie bleiben! Bis heute rätsele ich immer noch, wie Blacky es geschafft hat, den Winzling zu sich hoch zu holen. Wie die Beiden das angestellt haben, keine Ahnung.
Inzwischen steht auch fest, Blacky versucht mit allen Tieren gut Freund zu werden, ob Hund, Schaf oder Katze. Aber wehe dem, der Winnie etwas tun will, dann wird der friedliebende Blacky zur Furie!
Meine Beiden vertragen sich gut. Wenn sich mal Streit anbahnt sage ich nur: "Es wird nicht gezankt!" Das kann ich aber im Jahr an einer Hand abzählen. Sollte es mal etwas ernster werden, habe ich immer noch die Blumenspritze. Beide wissen genau, was da drin ist. So brauche ich nur zu fragen: "Soll ich die Spritze nehmen?" Katzen können nicht lachen, stimmt. Aber schuldbewusste Gesichter machen - meine schon!
Ja, und jetzt möchte ich noch auf etwas eingehen, es ist wohl die Wirklichkeit.
Als Winnie einige Wochen bei mir war dachte ich so bei mir, wenn er Ende September drei Wochen alt war und ich zurück rechne, dann hat er mit mir Geburtstag. Also steht in seinem Pass, geboren am 7. September! Mein Sohn hatte dann noch einen weiteren Gedanken, er könnte ein Nachkomme des bösen Dorfkaters sein. (Der "Böse", der immer auf Krawall aus war, alle Katzen vernichten wollte). Winnie sieht nicht nur so aus, er ist auch genauso frech, weil er ständig beißen muss! Kurze Zeit danach gab es den Beweis:
Plötzlich kam der Böse zur offenen Terrassentüre herein, so selbstverständlich, als würde er zu uns gehören. Sah sich um, ging zu Winnie "Nasenstubsen", alles klar! Machte die Schüssel leer, "markierte" im Flur, schien das Zuhause seines Sohnes in Ordnung zu finden, warf mir einen langen Blick zu und verschwand.
Ob er mir seinen Winnie als Schmerzensgeld und Wiedergutmachung übermittelte, weiß ich nicht. Es ist aber schon merkwürdig, dass gerade ich dieses Katerchen bekam.
(Als Erklärung, falls sie die Geschichte "Blacky" nicht gelesen haben, der Böse hat nicht nur kleinere Katzen, sondern auch mich "angefallen" und verletzt).
Winnie habe ich die Beißerei mit viel Liebe und Geduld abgewöhnt, ohne Schimpfen, ohne Strafe (das gibt es ja bei uns nicht)! Dieser Zwerg, er liebte von klein auf, Musik. Setzt sich heute noch oben auf das Radio. Blacky schaut lieber Fernsehen und DVD's. Besonders interessieren ihn dabei aber immer noch die Kabel, die anscheinend irgendetwas mit diesen Geräten zu tun haben. Kluges Tier! Aber es gibt zur Abschreckung, und es schmeckt widerlich, Isolierband! Die Sache mit der Blumenerde war eigentlich auch ganz einfach, ihm abzugewöhnen. Weil - in jedem Baumarkt kann man Säcke voll schöner, größerer Steine kaufen. Es sieht sogar ganz nett aus, werden sie auf den Blumenkübeln verteilt.
Inzwischen sind wir umgezogen, nach dem Wiederverkauf unseres Hauses. Wohnen auch hier außerhalb der Stadt und, das ist wunderbar, hier gibt es keinen bösen Dorfkater!
Winnie war und ist ein Angsthase, ein Mamalämmchen! Wenn er draußen ist und sich auf dem Weg etwas bewegt, kann er gar nicht schnell genug in die Wohnung rennen. Kommen Gäste, läuft er ängstlich (beinahe am Bauch) in den Kleiderschrank im Schlafzimmer. Der hat Schiebetüren und Winnie kann sie öffnen, Blacky auch! So habe ich nachgegeben und eine Decke unter die "kurze" Kleidung gelegt, damit er sich in Sicherheit bringen kann. Winnie war längst über drei Jahre alt, da ist er tatsächlich erstmalig "mutig" auf die andere Straßenseite gelaufen. Das habe ich auf einem Foto festgehalten. Er ist sowieso verrückt aufs fotografieren. Brauche nur zu rufen: "Komm Winnie, Mama macht Bildchen", dann wirft oder setzt er sich in Pose.
Winnie und ich reden viel zusammen, er muss immer wissen wohin ich gehe. Begleitet mich überall hin, sobald ich ihn frage: "Kommst du mit?"
Und Blacky, er hat eine "große" Freundin; Bella. Genauso schwarz wie er und auch mit weißem Fleck auf der Brust. Bella ist eine Neufundländer-Hündin! Sie gehört zu dem Aussiedlerhof, nicht weit von hier. Blacky sah mich irritiert an, weil seine Freundin nicht mit in unsere Wohnung kommen durfte. Er bringt sie mit bis vor die Terrassentür und Bella bittet: "Wuff, wuff", mit ihrer tiefen Stimme. Das nutzt aber nichts, rein darf sie trotzdem nicht. Beiden sieht man die Enttäuschung an. Deshalb machte ich Blacky auf Bella's großen, buschigen Schwanz aufmerksam, "glaubst du, wenn sie sich einmal umdreht, da liegt noch was auf dem Tisch?" Inzwischen scheint Blacky öfter auf Bella's Hof zu sein, man riecht es. Auch wenn er, auf dem Nachhauseweg, durch die frische Luft ging, ein dezenter Stallduft haftet trotzdem noch in seinem Fell.
Meine Zwei haben eine Marotte; irgendwann mal saß Blacky zwischen Wand und Schrankseite, in dieser etwa 40x40 cm großen Mulde. Darauf aufmerksam wurde ich aber erst, als er "Laut" gab. Nun drehte ich mich zu ihm hin und "freute" mich, "Blacky sitzt im Eckchen, was macht der Blacky denn da?" usw. - Das habe ich aber nicht gekannt. Blacky drehte und wendete sich vor Wonne, so wie er es macht, wenn ich ihm ‚die Macht der Liebe' vorsinge. Er erzählte mir was (der Stille) und ich musste mich immer weiter freuen. Als er endlich damit fertig war, kam Winnie dran, genau dasselbe Getue. Nun weiß ich, wenn ich mich über etwas sehr freue, bekomme ich das täglich und mindestens drei Wochen lang vorgeführt.
Blacky streift dann und wann etwas länger durch die Gegend. Da kann es vorkommen, dass der vom Regen überrascht wird. Kommt dann meine "nasse Katze" nach Hause, muss sie natürlich abgetrocknet werden. Irgendwie habe ich ja den Verdacht er geht, des Abtrocknens wegen, gerne in den Regen. Und wie sollte es anders sein, Winnie macht es nach, nur mit einem Unterschied, er sagt: "na, na", um abgerubbelt zu werden, wobei er das -a- ganz kurz spricht. Selbstverständlich verstehe ich ihn, kann ja nicht auch noch verlangen, dass er die beiden -ss- sagt.
Musik und Singen sind für uns drei sehr wichtig. So kennen die Beiden ganz genau die große Stimme meines Lieblingssängers: Robert Zephiro Milla. Sie sind mit mir ganz Ohr, wenn er singt. Über eines seiner Konzerte habe ich eine DVD. Erwähnte ja schon, dass Blacky gerne "fern" sieht. Als ich zum ersten Mal diesen Film laufen ließ, habe ich gar nicht bemerkt, dass er zugeschaut hat. Es kam mir erst zu Bewusstsein, nachdem ich den Fernseher ausgeschaltet hatte. Ich hatte auch keine Ahnung, dass Blacky zwischen Tierfilmen im Fernseher und diesem Konzert, einen Unterschied machte. Robert ist weg! Blacky versuchte, ängstlich, hinter den Fernseher zu kommen - woher weiß dieser Kater eigentlich, wo der "Bühnenabgang" ist? Konnte mich gerade noch bremsen um nicht laut loszulachen, denn Tiere dürfen ja nicht ausgelacht werden.
In unserer dreiköpfigen Familie ist es nie langweilig, immer ist etwas los und manchmal, zum Glück nur manchmal, bekomme ich auch ein Mäuschen geschenkt, fertig zum Verzehr. Das lasse ich dann heimlich im Bodendecker (nebenan) verschwinden. Bin aber sicher, Blacky und Winnie freuen sich, weil es mir so gut geschmeckt hat. - Hoffentlich verrät mich niemand.



Eingereicht am 13. März 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.



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