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Verzweiflung und Entschlossenheit

Von Bianca Kronsteiner


Ich öffnete die Tür und trat in das kleine Wohnzimmer, die Rollos waren heruntergelassen worden, deshalb war es ziemlich dunkel. Selbst die Möbel hatten eine eher dunklere Farbe. Es roch nach Blut. Und da war es auch schon: Blut! Es breitete sich langsam am Boden aus, gleich neben dem Sofa. Wer auch immer da blutete, er lag hinter dem Sofa. Mit vorsichtigen Schritten trat ich näher an das Sofa heran. Fast schon wollte ich mich übergeben: Da lag ein Mann! Sein Haar und ein Teil seines Kopfes waren blutgetränkt, das Loch im Kopf stach mir erst nach ein paar Sekunden ins Auge. Obwohl mich Krimis nie interessiert hatten war mir klar, dass er erschossen wurde, wahrscheinlich mit einem Revolver.
Plötzlich hörte ich ein leises Weinen, ich lauschte um herauszufinden, woher das Geräusch kam. Da! In der Wand links von mir stand eine Tür, die ich bis jetzt noch nicht bemerkt hatte.
Ich erkannte die 16-Jährige nicht sofort, die den Revolver auf mich richtete. Ihr Gesicht war wutverzerrt, die schmalen, blassen Lippen zitterten leicht, Tränen, die einen blutroten Stich hatten, rannen ihr über die Wangen. Noch nie sah ich sie so verzweifelt und gleichzeitig so entschlossen.
"Lea?", noch immer war ich mir nicht ganz sicher, ob sie es tatsächlich war.
"Verschwinde, Nadja! Um unserer Freundschaft Willen! Verschwinde, du weißt ...", sie stockte. Ich kannte Lea lange genug, um zu wissen, dass sie niemals jemanden umbringen würde und schon gar nicht ihren eigenen Vater ...
"Lea, was ist denn bloß los mit dir? Schon seit Wochen benimmst du dich so komisch."
"Das hast du mich schon ein Dutzend mal gefragt und nie hab' ich dir geantwortet! Warum sollte ich es jetzt tun?" Die ansonsten immer ruhige und gelassene Stimme entwickelte sich langsam zu einer aufbrausenden, nicht mehr zu stoppenden Hysterie.
"Dein Vater ist schwer verletzt, wenn nicht sogar tot! Der Revolver ... in deinen Händen ... was ist hier bloß los?!" Ich spürte, wie Panik in mir hoch kroch, doch kämpfte ich sie tapfer nieder. Natürlich war mir klar, dass ich Ruhe bewahren musste, doch der Revolver, der noch immer auf mich deutete, hinderte mich daran.
"Nimm endlich das Ding da weg! Und dann erklärst du mir bitte mal, warum du mich vor einer Stunde angerufen hast." Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Lea den Revolver langsam und mit zitternden Fingern sinken ließ. Ich streckte den Arm aus, nahm den Revolver, nun atmete ich erleichtert auf. Die Waffe legte ich vorsichtig auf eine Kommode, die an der Wand stand. Noch immer weinte Lea leise, automatisch griff ich in meine Jackentasche, zog eine Packung Taschentücher heraus und reichte sie Lea. Die wiederum nahm, mit weiterhin zitternden Fingern, ein Taschentuch, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schnäuzte sich lautstark. Wenn nicht ihr blutüberströmter Vater ein paar Meter hinter uns gelegen hätte, wäre diese Situation ganz normal gewesen, doch so ...
Ohne ein weiteres Wort sank Lea, mit gläsernen Blick, zu Boden, das Gesicht hinter den Händen verborgen. Ich dachte gar nicht nach, sondern kniete mich neben sie und wartete. Wie so oft, wenn Lea wieder einmal der Verzweiflung nahe war.
"Ich wollte ihn gar nicht erschießen, ehrlich", begann sie endlich, ganz langsam, ganz leise. Ich hörte ihr nur zu. "Deshalb hab' ich dich ja auch angerufen ... damit du herkommst und mich davon abhältst, es zu tun." Doch ich bin nicht rechtzeitig gekommen, führte ich den Satz, in Gedanken, zu Ende.
"Warum?", war das Einzige was ich sagen konnte. Plötzlich kam mir etwas in den Sinn, das ich lieber nicht weiterverfolgen wollte: Bin ich vielleicht schuld, dass ihr Vater hinter uns auf dem Boden liegt? Tot?
"Vielleicht hätte ich es dir früher erzählen sollen, vielleicht wäre dann alles anders gekommen ...", durchdrang Leas Stimme die Stille. Fragend sah ich meine Freundin an. "Mein Vater arbeitet doch bei dieser großen Firma. Na ja, dort haben sie eine neue Sekretärin eingestellt ... eine Mitte zwanzig ... die hat sich total an ihn rangeschmissen." Wieder liefen ihr Tränen über das Gesicht, auch mir wurde ganz anders zumute. Den Rest ihrer Geschichte konnte ich mir schon denken ...
"Vor drei Wochen hat mein Vater seine Sachen gepackt und ist weg. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für mich bedeutete."
Ich nickte, Lea hat ihren Vater sehr geliebt.
"Mutter war völlig fertig ... ich konnte das einfach nicht mehr länger mit ansehen ... du hättest sie sehen müssen ... darauf hin hab' ich ihre Adresse ausfindig gemacht ... ich wollte auf sie warten und zur Rede stellen ... doch ich hatte eine solche Wut auf diese blöde Kuh ... den Revolver fand ich zufällig." Wieder stockte Lea. Ich wollte etwas sagen, doch fielen mir keine passenden Worte ein. So blieb ich still sitzen und wartete darauf, dass Lea weitersprach.
"Die Haustür stand offen ... ich wartete ... versteckte mich hinter dieser Tür ... und wartete ... dann hörte ich Schritte ... ich schlug die Tür auf und schoss einfach ... doch es war nicht sie ... es war ... es war ..."
"Dein Vater." Endete ich tonlos.



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