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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Ausgelutscht

© Guido Rademacher


Traumatisch angeschlagen und wie tot, von der Nacht gewittrig in den Tag geboxt, lag der Morgen noch unter einem Nebelschleier und wartete duselnd auf den Tag. Die Tiere in den Gehegen hatten eine schlimme Dunkelheit hinter sich, den Donner, die Blitze noch im Fell und im Gefieder, die Gefangenschaft als Ausdruck ihrer angeblichen Natur, in den Käfigen ein Antlitz ihrer Qual. Kaum zu sehen, die Vielfalt der Arten, nur zu erwarten das tägliche Füttern, wenn der Wärter wie immer kommt und der Nebel mal wieder geht. Gerade noch den Schock aus den Knochen geschüttelt, die Augenpaare rot und grün versteckt hinter der feuchten Gardine verzwinkert, brach plötzlich, mit geblähtem Segel und steilem Bug, Frau Dumdey durch den Nebel. Ihr weiter Mantel flatterte vom flotten Schritt geblasen und ihr Busen wippte vom schwankenden Kreuz getragen durch den noch ungeöffneten Zoo.
Frau Dumdey war so schön, wie ein regennasser Tag. Ihre Haare klatschten die Wangen so speckig, wie Robbenflossen den Fisch bejubeln, und ihre Hüften streiften die Ufer, wie das Nilpferd ein Rinnsal durchschwimmt. Frau Dumdey war tatsächlich so schön, dass es den Tag schon mal gerne Nacht werden ließ, bevor sich der Abend ästhetisch und charmant in die Dunkelheit übergeben konnte. Aber trotzt ihrer Schönheit war Frau Dumdey mit dem doch äußerst unattraktiven und nonchalanten Affenwärter Polomski befreundet, der sie jeden Morgen im Nebel seiner Lust- und Pflichtvergessenheit heimlich in den Zoo einließ, während die Makaken zum Beispiel noch auf ihren Gesäßschwielen saßen und von einem Stuhlgang in die Freiheit träumten. Mehr oder weniger war die Freundschaft, die Bekanntschaft mit dem Wärter Polomski, den Frau Dumdey schon seit zehn Jahren zum Kaffee in das Zoorestaurant verführen wollte, bei dem es aber seit Jahren immer nur zu einer Banane gereicht hat.
Ganz nonchalant und uniform hatte er ihr jeden Morgen eine Banane geschält und gestohlen zwischen den Gitterstäben durch in den Mund gesteckt, bevor sie ihr Verlangen nach männlichem Geschlecht auch nur äußern, bevor sie ihm den genuin weiblichen Wunsch nach Gespräch mit Mann und Kaffee auch nur verständlich machen konnte. Kaum war sie vom Wärter heimlich eingelassen, kaum wollte sie ihn auf ein Tässchen nur, ein gemütliches Gespräch, in die vertraute Umgebung einladen, da hatte sie schon eine Banane im Mund, da war ihre Sehnsucht schon zwischen den Affen und Amoretten verschwunden, da konnte sie den Polomski am Morgen nicht mehr von den Primaten am Abend unterscheiden. Und so saß Frau Dumdey Tag für Tag auf ihrer Bank vor dem Freigehege und wartete auf den Moment, da sich die törichten Affen in charmante Polomskis verwandeln würden, der Wärter mit den Bananen im Sack in einen Gentlemen mit Rosen im Arm. Ein Märchentraum, den Frau Dumdey dem tierischen Mythos der Umgebung entzog, wartend auf den Augenblick, der sich ewig hinter ihren Blicken verbarg. Und die Minuten im Tag waren Frau Dumdey so wie die Fische im Meer, ein Schwimmen ohne Unterlass, manifest ein Gleiten und Treiben in die selbe Richtung, ohne dass ein Tropfen über die Stunde schwappte.
An diesem Morgen aber war alles anders. Schon der Wärter, der sie am Hintereingang durch das Tor eingelassen hatte, war nicht ihr Polomski gewesen, sondern ein seltsam kräftig kleiner Mann, der sie mit einem bärtigen Kuss auf die Hand und ganz bananenlos charmant zu ihrer Bank begleitet hatte. Im Nebel hatte sie ihn kaum sehen können, war sich aber aufgrund dieser freundlichen Geste ganz sicher, dass das nicht ihr Polomski gewesen war, der sie da so galant am Arm geführt und ihr die feuchte Bank sogar noch mit seinem etwas zu weiten und schlotternden Jackettärmel trocken gewischt hatte. Leider war dieser Gentlemen genauso schnell wieder verschwunden gewesen, wie ihr Affenwärter Polomski, wenn der am Morgen zwischen den Lianen und Bananen plötzlich unsichtbar geworden war, ohne Abschied und Gruß, so war der bucklige Mann mit Manieren dann leider auch, ohne Konversation und Kaffee, im Nebel abgetaucht. Frau Dumdey war es schließlich so vorgekommen, als sei der nette Herr sogar vor ihr geflüchtet und direkt durch Nebel und Gehege auf den nächstbesten Baum geklettert. Doch diese Sicht der Dinge, und deren Interpretation, wollte Frau Dumdey dann doch lieber ihrem Doktor überlassen, der sich mit Sofa und Sophismen auf solche Geschichten spezialisiert hatte.
Und so saß Frau Dumdey nun da, ein wenig nach vorn gebeugt, in Nebelschwaden getaucht, die Handtasche auf dem Kopf und die Arme über den Knien verschränkt. Sie musste den Kopf ganz still und gerade halten, damit ihr die Tasche nicht runterfiel. Das wäre noch die passende Sensation und Katastrophe an diesem Tag gewesen, wenn ihr schon am Morgen die Handtasche auf den Beton geschlagen und dabei womöglich das teure Fläschchen mit Rosenwasser zerplatzt wäre, das ihr den Tag im Zoo schon seit Jahren immer so erfrischend erträglich gemacht hatte. Ohne Rosenwasser hätte Frau Dumdey die langen Tage im Zoo niemals ertragen, so allein und darauf wartend, dass ihr der Affenwärter endlich mal mehr als nur die obligatorische Banane schenkt. Frau Dumdey schob ihren Rock ganz vorsichtig mit beiden Händen soweit die Schenkel hinauf, dass der Nebel langsam und zärtlich unter ihren warmen Verstand kriechen konnte, so glatt und gleitend in den feuchten Tag, dass sie die Fütterung kaum noch erwarten wollte. Ihre Fingerspitzen klebten wie kaltes Blut auf den Nähten und ihr Kopf eregierte die Tasche wie Stahl, ganz steif die Augenblicke auf den Wärter gewartet, der irgendwo war und sobald nicht mehr kommen würde. Und trotzdem dachte Frau Dumdey, wenn ich die Handtasche so lange wie möglich auf dem Kopf trage, dann wird mich der Polomski schon irgendwann bemerken, dann muss er mir applaudieren und ein Nüsschen oder ein Apfelstück zuwerfen, damit ich ihm wenigstens dankbar die Mütze lecken kann. Doch der Wärter ihrer Träume blieb an diesem Morgen gänzlich im Nebel. Nichtmal die Banane heute und auch kein Nüsschen der Hoffnung, kein Apfelstück durfte Frau Dumdey ihrem Rock so hoch geschoben unter den Saum geleiten. Sie schlug mal das eine Nylonbein über das andere, zupfte sich die Strümpfe zurecht, besah sich ihre glänzenden Schuhspitzen und kratzte sich dann immer wieder mal, ganz plötzlich und wie wild, mit beiden Händen unter den Achselhöhlen und die Rippen runter bis zu den Hüften, wobei sie schon fast artistisch geschickt die Handtasche auf ihrem Kopf zu balancieren wusste. Aber leider war es immer noch viel zu früh am Morgen, als das Frau Dumdey mit ihrem Kunststück jemand anderen als den Affenwärter hätte erfreuen können. Selbst die Affen schienen die Bühne noch nicht betreten zu haben. Der Orchestergraben war dampfend leer und hinter dem Schleier waren die Requisiten der tierischen Oper nur skenenhaft zu erkennen. Allein aus dem Hintergrund konnte Frau Dumdey manchmal einen summenden Papageno oder eine schallende Papagena hören, die sich probend aus dem Schlaf in die Gefangenschaft des Tages sangen, hinein in die gaffende Opernmeute, zum Publikum am Rande des wahnsinnigen Frohsinns.
Frau Dumdey war sich nicht sicher, ob der Tag jetzt noch zum Leben, oder ob er nicht schon längst für immer zum Sterben war. Ihr Füße standen wie Eis in den Pumps, die Handtasche lag ihr schwer wie ein Krokodil auf dem Kopf und der Duft von frischen Früchten und feuchtem Fell lag entfernt im Gedächtnis versteckt, zwischen den Fingern des ersehnten Polomski, der sich noch immer nicht blicken ließ. Statt dessen aber kam plötzlich durch den sich langsam lichtenden Nebel ein Herr geklettert, den Frau Dumdey hier noch nie gesehen hatte. Sehr elegant und äußerst sportlich balancierte der Herr über einen Baumstamm, der wohl in der Nacht vom Blitz gefällt über den Graben gefallen war, direkt in die Richtung der Bank, wo Frau Dumdey wie immer vom Liebeskummer erschlagen auf ihrer Hoffnung saß. Sie traute sich kaum aufzuschauen, sah mal auf ihre Schuhspitzen, rückte sich dann wieder die Handtasche auf dem Kopf zurecht und blickte verstohlen durch die Trageriemen zu dem Gehege rüber, ob der Herr auch tatsächlich auf dem Weg zu ihr, oder ob er vielleicht nicht doch auf dem Weg zu den Giraffen oder Nashörnern war.
Frau Dumdey war sich ihrer Konkurrenz nur allzusehr bewusst. Neben den Affen waren auch die Damen mit dem langen Hals und die Herren mit dem Horn im Gesicht schon immer äußerst beliebt und mit ihrem sintflutartigen Charme unschlagbar gewesen. Da hatte es Frau Dumdey nie leicht gehabt, allein mit der Banane im Mund und ihrer Handtasche auf den Knien. Darum trug sie die Handtasche heute auch mal auf dem Kopf, damit man sie von den Affen und Giraffen endlich mal unterscheiden, damit sich der Polomski endlich mal für sie und nicht für die Schimpansin mit der flotten Zunge begeistern konnte.
Der Mann aber, der mal ganz aufrecht und vornehm ging, und sich dann wieder auf den Handflächen wie gestolpert abstützen musste, der kam tatsächlich direkt auf Frau Dumdey zu und setzte sich ohne Zögern mit einer leichten Verbeugung und einem freundlichen Gruß neben sie auf die Bank. Er starrte auf ihre bestrumpften Beine, sah dann wieder etwas verwirrt in den vernebelten Himmel und kratzte sich schließlich verlegen die Stirn, und den Kopf und die Arme, den Bauch und die Füße, und die Achselhöhlen mit beiden Händen.
Entschuldigen Sie bitte, aber das ist ein Trieb, von dem ich nicht lassen kann - Adam mein Name, einfach Madam ohne M, sagte der Herr und reichte Frau Dumdey lächelnd und mit langem Arm seine Hand. An dem schlabbernden Jackettärmel, dem haarigen Handrücken, erkannte Frau Dumdey jetzt den Mann, der ihr eben noch sehr galant und charmant das Tor am Hintereingang geöffnet hatte. Doch je mehr der Nebel jetzt hinter den Bäumen und künstlichen Felsen verschwand, sich die Sonne in die vermoderten Wassergräben und verrosteten Käfige stürzte, desto sicherer war sich Frau Dumdey, dass sie den Mann neben ihr auf der Bank schon oft hier im Zoo gesehen hatte. Und als der Herr Adam ihr jetzt mit breitem Lächeln seine strahlend weißen Zähne zeigte und dabei seine schlanken langen Finger über ihr Bein spazieren ließ, da war ihr klar, dass das der Herr aus dem Gehege der Orang-Utans gegenüber sein musste, der ihr aus der Hängematte heraus tagtäglich immer so freundlich zugewunken hatte.
Frau Dumdey schob die Hand energisch aber nicht unfreundlich beiseite und untersuchte sofort ihre Strumpfhose auf Laufmaschen. Diese Finger waren ihr dann doch etwas zu männlich und aufgeraut und viel zu hoch die Oberschenkel raufgeklettert. Der Herr Adam aber bat sofort mehrmals sehr höflich und beschämt um Verzeihung und entschuldigte sich wieder mit seiner tierischen Libido, die er leider noch nicht unter regelmäßiger Kontrolle habe, worauf Frau Dumdey so verständnisvoll mit dem Kopf nickte, dass ihr nun leider doch die Handtasche auf den Boden fiel. Mit einem leisen Klirren zerbrach sofort ein starker Rosenduft die Morgenluft, überschwemmten weit geöffnete synthetische Knospen die tierischen Gerüche, das Heu und die Früchte der ersten Tagesfütterung. Frau Dumdey konnte ein leises Seufzen nicht vermeiden und wollte sich gerade enttäuscht nach ihrer Tasche bücken, als der Herr Adam niesend und schnaubend und wie vom Affen gebissen von der Bang aufsprang. Auf allen Vieren galoppierte er, ohne sich zu verabschieden, auf sein Gehege zu und war plötzlich nicht mehr zu sehen, gerade als sich die ersten Zoobesucher bemerkbar machten, mit dem lauten Eis im Gesicht und dem genuin geschnatterten Erstaunen für gekaufte Natur.
Frau Dumdey hielt ein paar feuchte und duftende Scherben in ihrer Hand, versuchte den Herrn Adam zwischen den Zoobesuchern, den Lianen und Bäumen zu entdecken, und sah schließlich nur den Affenwärter Polomski, der ihr aus dem Gehege eine vergessene Banane zuwarf. Eine faule und braune Frucht, die vor ihrer Bank matschig zerplatzte, die aus der Schale gequollen breit und banal auf ihre Strümpfe spritzte. Das Publikum lachte und klatschte, warf begeistert Futter und Fanatismus hinterher, worauf Frau Dumdey den Zoo zum ersten Mal seit vielen Jahren schon am Morgen verlassen wollte. Doch gerade als sie den Hinterausgang erreicht hatte, da wurde sie von dem Affenwärter Polomski mit einem Netzt eingefangen und in einen Käfig gesteckt. Frau Dumdey war sich sicher, dass das nur ein Versehen, eine dumme Verwechslung gewesen war, die sich schon bald wieder aufklären würde, so dass sie sich ihrem Schicksal ergab und den Moment nutzen wollte, um sich bei den vielen Besuchern und Angestellten des Zoos nach dem Herrn Adam zu erkundigen. Doch als sie am Abend immer noch in ihrem Käfig saß und ihr selbst der Affenwärter Polomski nicht erklären konnte, wo der Herr Adam geblieben war, und nicht verraten wollte, warum sie in seinem Käfig saß, da legte sich Frau Dumdey wieder ihre Handtasche auf den Kopf und zerkaute genüsslich die Scherben ihres Rosenwasserfläschchens, die sie seit dem Verschwinden ihres neuen Geliebten nicht mehr aus der blutenden Hand gelegt hatte.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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