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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Und sich dabei ins rechte Licht rücken

© Lothar Kowalke


"Der zieht immer eine Fresse, als würde die Welt untergehen. Ich habe ihm nichts getan!" Wütend schmiss Serkan die Schaufel beiseite. Er musste für den ewig grimmigen Robert eine Wasserwaage holen. Kulle, ein Vollblutpunk, begleitete ihn. "Warte! Ich werde gleich mal was nachschmeißen." Er bückte sich, trat zwei leere Kalksäcke handlich und suchte nach mehr Brennbarem. Serkan war schneller, er nahm die Reste eines gekürzten Schalbrettes auf. Sie schlenderten zum Bauwagen. "Früher war er nicht so. Da zog er mit uns um die Häuser. Jetzt hat er zwei Kinder. Vielleicht lässt ihn seine Olle nicht mehr so ran? Nimm es nicht persönlich!", tröstete ihn Kulle. Serkan stolperte. Seine Augen hafteten an einem vorbeigehenden Hintern, der nicht hätte perfekter pendeln können. Dieses besondere Etwas gehörte zu einer Blondine. "Ich werde zum Tier! Komm halte mich!" Serkans Hand krallte sich in Kulles Jacke. "Au, ja! Das versaut die Arbeitsmoral!", Kulle pfiff. Der Hintern bedankte sich, in dem er noch einmal heftig ausschlug.
Im Wagen war es angenehm warm, trotzdem legte Kulle nach. Serkan hielt zwei Wasserwaagen vor sich. "Die Lange? Ach, egal wie ich mich entscheide, der meckert so und so!"
"Hm, nimm beide mit!" Gemächlich näherten sie sich dem Rohbau. Robert schaute vorwurfsvoll. "Das hat ja gedauert!" Ihn biss der elende Qualm in die Atemwege. Kulle grinste. "Das hätte es bei dir auch, wenn du den Arsch gesehen hättest, den wir genießen durften." Seine Hände deuteten ein wohlgeformtes Gebilde an. Robert schüttelte den Kopf. Kindsköpfe, dachte er. So unbeschwert möchte ich auch gerne sein. War ich etwa auch einmal so ein Lahmarsch? Beim Eingestehen entwich Robert ein Lächeln, was Serkan nicht entging. Auf einmal sah der für ihn wie ein Mensch aus.
Polier Hannes, der von seinen Kollegen Henne gerufen wurde, beugte sich über die Brüstung und schaute sehnsüchtig nach dem Materialauto. Nichts. Die Zeit rann. Er musste in der Firma nachfragen. "Seid ihr sicher? Scheiße! Hm, danke." Henne ging zur Treppe, schaute nach der Ordnung und rief in den Bau: "Kommt mal alle in den Wagen!" Einer nach dem anderen betrat den Bauwagen. Der Kanonenofen glühte. "Ihr faulen Säcke!", dröhnte Franz. Mit 54 war er der Älteste. "Hier in diesem warmen Forzloch fühlt ihr euch wohl, was?"
Alle wussten, was anlag. "War's das?", fragte Robert. "Ja, heute wird es nichts mehr. Wir können ins Wochenende. Damit ist aber klar, dass es Montag und die folgenden Tage länger wird! Ist das angekommen?", mahnte Henne. Allgemeines Murren. Das kleine Fenster war von einer Sekunde auf die andere so beschlagen, dass sich die ersten Tropfen bildeten. Robert bückte sich und zerrte an seinen Senkeln, die nicht so wollten, wie er. Das in den Kopf steigende Blut färbte sein Gesicht tiefrot. Er haderte. Es war die Chance, endlich seinen Plan umzusetzen. Jetzt oder nie. Noch kopfüber, sagte er: "Ich würde mich freuen, wenn ich euch zu einem Bier oder Kaffee einladen könnte. Jetzt habt ihr doch Zeit, oder?" Von unten schaute er in die Runde. Zwar mürrisch wie eh, aber doch irgendwie herzlich. Schlagartig trat eine gespenstische Ruhe ein, wie es der betagte Bauwagen lange nicht erlebt hatte. Verwundert wanderten alle Augen von einem zum anderen. Dann zog Neugier und Glanz über ihre Gesichter. Schnell entledigten sie sich ihrer Sicherheitsschuhe. Henne, der noch sein Tagesprotokoll schrieb, fragte: "Was ist los? Ist Erika wieder schwanger?" Man grinste und lauschte gespannt. Keiner hatte vergessen, dass Robert bei seiner letzten Vaterschaft einen trockenen Rhabarberkuchen spendiert hatte. Diese Story machte auf jeder Baustelle die Runde. "Nein, ich wollte mal mit euch reden, nur so."
"Natürlich kommen wir alle mit", sagte Franz. "Oder?" Er umarmte Robert, dessen Aufgeregtheit nicht zu übersehen war. Für die anderen nicht hörbar fragte er: "Trinkst du wieder?"
"Nein!" Robert versuchte der väterlichen Art zu entkommen. Er bändigte mit seiner rechten Hand seine kräftigen Locken. "Lass! Aus reiner Gesellschaft, werde ich doch wohl ein Bier mit euch trinken dürfen? Ihr regt euch doch immer auf, dass ich mich absondere!"
"He!" Wieder versuchte Franz seinen Arm auf Roberts Schulter zu legen. "Reg dich ab! Man macht sich seine Gedanken, du hast dich in der letzten Zeit sehr verändert." Robert schob den Kopf nach hinten und schaute tief in Franz' Augen. "Wirklich?"
"Früher warst du immer der Erste, der mit in die Kneipe ging. Seit du mit Erika zusammen bist, sind wir Luft, da macht man sich seine Gedanken." Nun war es Robert, der seinen Arm auf Franz' Schulter legte. Seine Falten wurden freundlicher. "Ich weiß. Deine Kinder sind groß, die anderen haben keine. Erika arbeitet. Ich führe zwangsläufig ein anderes Leben als ihr. Sei mal ehrlich, habe ich früher wirklich so viel gesoffen?"
"Aber Hallo!" Beide lachten.
Man einigte sich auf den "Anker", eine Kneipe gleich an der nächsten Ecke. Dort konnte man auch etwas essen. Mann stellte zwei Tische zusammen. Robert hatte sich mit seiner Einladung automatisch in den Mittelpunkt gestellt. Alle erwarteten etwas. Aber auch er erhoffte sich einiges. Schon seit Tagen machte sich Wehmut nach den alten Zeiten in ihm breit. Dass diese nicht wiederkommen können, war ihm bewusst. Vor allem aber wollte er seine Kollegen für seine Sache gewinnen und sich dabei ins rechte Licht rücken, ins besondere bei den Jungen. Da war es auch nicht verwunderlich, dass er sich zu Serkan und Kulle setzte. Für sie schon, beide schauten sich verblüfft an.
Zuerst vertieften sich alle in die Speisekarte. Nur Franz nicht, der grinste über das ganze Gesicht und sagte: "Ich habe volles Vertrauen und nehme das, was du dir gönnst!" Robert schaute verwirrt. "Entschuldigt bitte! Ich kann nur die Getränke übernehmen."
"Ist doch klar Robert, lass dich doch nicht immer aufziehen!" Und zu seinem Nachbarn Henne: "Der Matjes ist hier ganz lecker und preiswert!" Serkan, der sich gerade die Titelseite des Kuriers reinzog, verschob seine Lippen, schüttelte erbost den Kopf und schmunzelte. "Diese Zocker müssen richtig gute Menschenkenntnisse haben, dass sie genau den richtigen Schiedsrichter, wie den Hoyzer anquatschen." Das geniale Thema war gefunden. Jeder hatte etwas beizutragen, außer Robert. Der wirkte abwesend, auch noch, als Kulle sich in seine Richtung erregte: "Bei der Christiansen am Sonntag, das war ja nicht auszuhalten! Zum Beispiel was der neunmalkluge Breitner von sich ließ. Der stellte die 1. Liga als perfekt hin, als die Elite, die sich für so was Schmutziges wie den Wettbetrug, nicht hergibt. Ha, die Zocker sind doch nicht blöde, die machen das Geld in der dritten Liga. In der Ersten, wo jeder jeden schlägt, wird strenger kontrolliert." Man nickte und blieb bei der Talkshow. "Mayer Vorfelder, lässt der sich eigentlich liften? Mir war so.", fragte Henne. "Genau, das war es! Ich hab immer überlegt, was mit ihm ist?" Zwischen dieser eifrig geführten Diskussion drang Robert mit leiser monotoner Stimme: "Hört mal zu! Mir gehen in der letzten Zeit so einige Dinge durch den Kopf." Alle schauten zu ihm und sahen, wie er auf die vordere Stuhlkante rutschte, seinen Oberkörper straffte und nach Worten rang. "Vielleicht leide ich unter ganz normaler Midlifecrisis? Ich habe das Gefühl endlich Nägel mit Köpfen machen zu müssen. Kurz gesagt, ich wollte euch fragen, ob ihr mitmacht, Bäume zu pflanzen?" Alle sahen zu ihm. Jedes geführte Gespräch verstummte. Mit allem hatten sie gerechnet, dass er eine neue Freundin präsentiert oder seine Scheidung bekannt gibt, aber so etwas Wirres nicht. Robert, ein Kerl wie ein Haus, faselte was von Bäume pflanzen. Was war mit ihm? Alle warteten. "Lisa, meine Große, hatte das Thema Baum in der Schule. Ich schaute mir daraufhin eine Baumsendung auf "arte" an. Ich sage euch, das hättet ihr sehen müssen! Es muss endlicht etwas passieren!" Robert würgte kurz mit seiner Spucke. "Ohne Bäume, können wir nicht existieren! Bäume sind unser Gedächtnis. Bäume sind die letzten Zeitzeugen zurück bis zu der Eiszeit! Ein Baum spiegelt unsere Welt wieder. Das Elbehochwasser und andere Katastrophen sind die Folgen einer Klimaveränderung. Habt ihr von den neuen Baumkrankheiten gehört? Glaubt mir, Bäume sind etwas Besonderes! Ohne sie sind wir nichts!" Robert holte kaum Luft. Er erzählte, was ein Baum alles leistete und wie gefährdet der deutsche Wald sei. Er erzählte, dass seine Eltern für jedes Kind einen Baum gepflanzt hatten und dass er diesen Brauch bei seinen zwei Töchtern weitergeführt hatte, dass dies aber nicht genug sei. Und er lud darauf seine Kollegen, nebst Anhang auf seine Datsche ein, dass sie es ihm gleich tun können. Nur eines sollte am Ende rauskommen, dass für jedes Familienmitglied des Teams ein Baum auf dieser Welt steht. "Das sind wir unseren Nächsten und unserem Nachwuchs schuldig.", schloss Robert seine Rede. Zweimal war die Kellnerin unterdessen an den Tisch gekommen, keiner hatte sie wahrgenommen. Franz, Henne aber auch Kulle und Serkan und die anderen saßen da, als habe man sie paralysiert. Alle waren gerührt. Brenner, dessen Namen von seinem Hobby, dem Schnapsbrennen, zeugte, grinste. Er konnte sich der Groteske nicht länger erwehren. Robert entging es nicht. "Brenner, was grinst du?"
"Ach, ich musste an unser früheren Zechgelage denken, wo wir weiß Gott andere Themen hatten. Ich muss feststellen, wir werden älter." Brenner, hatte das ausgesprochen, was einige in diesem Moment dachten. Auch Kulle schmunzelte. "Ja, alles schön und gut, meine Familie kennt ihr ja. Kann ich denn für meine Hündin Pukina auch ein Bäumchen pflanzen?" Die Stimmung war bestens. Robert, glücklich endlich sein Anliegen losgeworden zu sein, resümierte:"Wenn andere labern, handeln wir. Hier einen Baum zu pflanzen trägt auch zur Klimaverbesserung in Asien bei, das bringt mehr als Euros für die Tsunamie Opfer!" Jeder wusste was zu dem Thema Baum beizutragen. Serkan, der direkt neben Robert saß, sagte: "Mein Vater hat bei meinem Opa in der Türkei für meinen Bruder Deniz ein Feigenbäumchen und für mich einen Olivenbaum gepflanzt." Kulle schob sein Bier beiseite. "Wau, ihr im Islam macht das auch? Es ist doch ein rein christlicher Brauch, gerade der Feigenbaum, schon rein symbolisch!"
"Nur weil sich Adam und Eva damit ihre Genitalien abdeckten?", konterte Serkan.
"Im 1. Buch Moses der Genesis, Kapitel 1 in den Versen so um die 10 rum, wird davon gelabert." Gespannt hörte Robert zu. "Ich habe davon gehört. So hat euer Luther auch gesagt: Wenn er wüsste, dass die Welt morgen unterginge würde er heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!", verbluffte Serkan. Er und Kulle diskutierten auf einem Niveau. "Ist das Bäume pflanzen in der Türkei wirklich Brauch wie bei uns?", fragte Robert nach. "Warum nicht? Ich nehme es an. Wie gesagt,, mein Baum steht in der Türkei. Das hält mich nicht ab, einen zweiten hier zu pflanzen." Er nippte kurz an seinem Bier, wog seinen Kopf und fuhr fort: "Ansonsten habe ich wenig Ahnung von türkischen Bräuchen, genauso wenig wie von den deutschen."
"Aber mehr als ich", stand ihm Kulle bei. "Für mich spross in der Eifel ein Klarapfelbaum. Keine Ahnung, ob der noch existiert, glaube nicht."
"Wie alt wird denn ein Apfelbaum?", wollte Henne wissen. Robert, der in der letzten Zeit viel gelesen hatte, scherzte: "Älter als du auf jeden Fall." Alle lachten.
Robert hatte noch etwas auf dem Herzen. Leise wendete er sich an Serkan und Kulle: "Bitte, nehmt meine ewige Meckerei nicht so ernst! Glaubt mir, ich könnte mich selbst treten! Ich würde mich wirklich freuen, wenn ihr mit von der Partie seid!"
"Darauf kannst du einen lassen!" antwortete Kulle spontan und schaute seinen Kumpel Serkan an. Der nickte zustimmend, grinste und fragte: "Sag mal, gilt auch eine Hanfpflanze?"
"Wenn ihr beim Pflanzen eines Baumes einige Samen verliert, bin ich machtlos. Das Ernten allerdings, müsst ihr übernehmen!" Robert hob sein Bier und prostete ihnen zu.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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