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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Zwischen uns

© Tobias Lagemann


Vor zwei Jahren habe ich dich noch geliebt. Die große Liebe ist es nicht gewesen, nach zwanzig Jahren Ehe gibt es die wohl einfach nicht mehr. Aber ich habe dich irgendwie doch geliebt, noch immer. Und ich bin mir sicher gewesen, auch du hast mich geliebt. Das hat mich glücklich gemacht. Ich weiß, es klingt verrückt, dass ich auch nach zwanzig Jahren Ehe noch so gefühlt habe. Aber um uns herum sind so viele Ehen und Beziehungen zerbrochen. Unsere besten Freunde hatten sich gerade scheiden lassen, eine sehr schmutzige Scheidung ist das gewesen. Sogar deine Eltern hatten sich scheiden lassen, diese von dir lange Zeit so bewunderten Vorbilder an ehelichem Glück. Und wer sich nicht trennte, der stritt sich ständig oder lebte nebeneinander her. Da musste ich einfach glücklich sein, dass zwischen uns Liebe war.
Heute weiß ich, ich habe mir damals etwas vorgemacht. Ja, ich habe dich noch geliebt. Und vielleicht hast auch du mich geliebt. Aber ich habe dich auch schon gehasst. Ja, ich habe dich damals schon gehasst. Abgrundtief ist dieser Hass gewesen. Es hat lange gedauert, bis ich das begriffen habe. Und dabei hätte ich diesen Hass doch sehen können, beinah jeden Tag.
Du hast ja schon bei unserem Kennenlernen diese Angewohnheit gehabt, unter alles ein Postskriptum zu setzen. Die Briefe von damals habe ich nicht mehr, sie sind bei irgendeinem Umzug verloren gegangen. Aber ich erinnere mich an deine hastig darunter geschriebenen Liebesbekundungen. Mal hast du es mit Worten gesagt, mal hast du mir etwas gezeichnet. Lachende Sonnen, rote Herzen, einander haltende Hände. Mal auch hast du nur einen Aufkleber neben das PS geklebt, Blumen, Schmetterlinge, unsere Initialen.
Mit diesen kleinen Zeichen der Liebe hast du mich auch nach unserer Heirat weiter verwöhnt. "Wie ein Strauß Blumen ist jedes Postskriptum, wie eine Schachtel Pralinen, wie das Frühstück am Sonntag, das du mir ans Bett bringst", hast du mir mal gesagt.
Ich weiß gar nicht, wann dann dieses erste Postskriptum unter einem Brief gestanden hat, in dem du mir nicht auf eine deiner ach so wundervoll vielen Arten gezeigt hast, wie sehr du mich liebst. War es in unserem zweiten Jahr der Ehe? Als wir nicht zusammen in den Urlaub fliegen konnten, weil ein Kollege erkrankt war und ich ihn vertreten musste. Ich habe dich dann noch zum Flughafen gefahren, morgens um vier, und als ich dann zuhaus die Betten gemacht habe, habe ich diesen Brief von dir unter meinem Kopfkissen gefunden. Da hast du es bedauert, dass ich nicht mitgekonnt habe. Und du hast dich auf unseren nächsten gemeinsamen Urlaub gefreut. Über diese hastig dahingekritzelten Zeilen habe ich mich sehr gefreut. Das PS habe ich dann nicht wirklich verstanden. Du hast geschrieben: Musste dein Kollege gerade jetzt krank werden? War das ein Bedauern, war das eine Anklage? Was war es, dass du mir mit dem Satz hast sagen wollen?
Ich habe dich nie danach gefragt. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Ich hatte es mir ja vorgenommen für unser Gespräch am Abend. Aber dann ist da deine Stimme gewesen, so fern und doch so nah. Und in den zehn Minuten haben wir über ganz andere Dinge geredet als dieses Postskriptum. Du hast mir von dem Sonnenuntergang vorgeschwärmt, den du erlebt hast. Und du hast es bedauert, dass ich da nicht an deiner Seite habe sein können. Dann hast du mir die Leute beschrieben, die beim Abendbrot an deinem Tisch gesessen haben. Und dann haben wir uns leise und zärtlich ein gute Nacht gewünscht. So fern bist du mir gewesen und doch so nah an jenem Abend am Telefon. Da ist dein Postskriptum mit einem Mal nicht mehr wichtig gewesen.
Ich frage mich inzwischen, ob es nicht schon vorher so ein Postskriptum fern der Liebe gegeben hat? Es kann nicht sein, sage ich mir, dass zwischen uns auch nach der Heirat noch mehr als ein Jahr alles in rosarote Wolken getaucht gewesen ist. Das Leben nimmt keine Rücksichten auf die Liebe, der Alltag kann so hart sein. Zahnpastatuben liegen, Pfannen haben keinen Deckel, Handtücher sind ungebügelt, Hosen sind zu weit. Aber mir will kein Postskriptum einfallen, das so anders gewesen ist als all deine anderen aus jenen Jahren. Während uns die liegenden Zahnpastatuben geärgert haben und die ungebügelten Handtücher, hast du mir weiter mit einem PS deine Liebe versichert.
Oder ist alles ganz anders gewesen? Hast du mir nur unter beinah alles dein PS gesetzt, weil du mich hast in Sicherheit wiegen wollen? Im dritten Jahr unser Ehe ist dann ja das mit dem Kollegen von dir passiert. Nach einer Betriebsfeier hat er dich nach Hause fahren wollen. Ihr seid dann im Wagen sitzen geblieben, eine Seitenstraße von unserem Haus entfernt. Ihr hättet nur geknutscht, hast du mir später versichert. Und unter all deinen Briefen und Notizen sind rote Herzen gewesen und Worte der Liebe. Aber warum hat dein Kollege dann immer wieder bei uns angerufen? Diese Frage hast du mir mit deinem "Tut mir leid, tut mir wirklich schrecklich leid, mein Schatz, bitte, glaub mir das, du musst mir glauben, denn ich liebe doch nur dich" nicht wirklich beantworten können.
Ich habe dir damals dennoch geglaubt, denn du bist schwanger gewesen. An dem Tag, an dem ich dich ins Krankenhaus gefahren habe, hast du mir dann vor dem Kreißsaal diesen Briefumschlag in die Hand gedruckt. In dem Umschlag war ein Bogen Papier, ganz oben stand "Mein liebster Schatz" und dann kam nichts mehr. Auf der Rückseite stand dann "Tausend Küsse, deine Melanie." Und darunter stand dann das unvermeidliche Postskriptum: "Ich freue mich auf dieses Kind der Liebe."
Dieses Kind der Liebe sieht mir wirklich ein wenig ähnlich, deshalb ist das Kind meine Tochter. Die Hebamme hat mir das mit dem roten Haar ja schon in deinem Zimmer erklärt. "Blond und Schwarz, das wird manchmal rot." Und dazu hast du mich so glücklich angelächelt. Ich habe sie dann auch halten dürfen, diesen Beweis unserer Liebe. Ganz sanft habe ich mit meinen Lippen den flaumigen Kopf unserer Tochter liebkost.
Nach der Geburt unseres zweiten Kindes hast du mir acht Monate kein Postskriptum geschrieben. Ich habe das auf unser Schreikind geschoben, er hat uns beiden so viel Kraft gekostet. Wir haben uns abgewechselt mit den Nächten, du hast im die Brust gegeben, ich ihm die Flasche. Damals sind wir im verflixten siebten Jahr gewesen, vor der Schwangerschaft hat es gekriselt in unserer Ehe. Dir haben meine Fortschritte im Beruf nicht gereicht, ich habe dich gefragt, was du eigentlich den ganzen Tag zuhause machen würdest. Mit unserem Sohn ist dann alles anders geworden. Wir haben deine Schwangerschaft genossen. Wann immer ich Zeit gehabt habe, habe ich dir das Frühstück ans Bett gebracht. Ich bin mit dir ins Kino gegangen, ich habe dich am Arm durch Museen geführt, du unsere Tochter an der Hand gehalten. Es war eine schöne Zeit, auch wenn es dir sehr schlecht gegangen ist. Manchmal hast du eine ganze Woche im Bett verbringen müssen, weil dein Rücken so geschmerzt hat. Aber wir haben das geschafft, du und ich. Und auch diese acht Monate mit unserem eigentlich immer schreienden Sohn haben etwas wundervolles mit uns gemacht. Wir haben begriffen, dass wir zusammen alles schaffen können, aber auch wirklich alles. Was habe ich da ein Postskriptum gebraucht? Unser Sohn, so klein er als 7-Monats-Kind auch war, war für uns das Zeichen unserer Liebe. Ein anderes Zeichen haben wir nicht gebraucht, du und ich.
Während unsere Kinder herangewachsen sind, mit allem was dazu gehört, Kindergarten und Grundschule, Freunde und Feinde, kleine Diebstähle und tolle Zeugnisse, hast du mir weiter PS unter deine Briefe und Mitteilungen geschrieben. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mich all die vielen Gelegenheiten, zu denen du damals ein Postskriptum darunter gesetzt hast, nicht gefreut haben. Du hast eben an mich gedacht, so habe ich das empfunden. Du hast noch an mich gedacht, nachdem du deinen Namen unter einen Brief an mich gesetzt hast. Für mich ist das wie ein Versprechen gewesen. Es geht weiter, hast du mir mit jedem Postskriptum gesagt. Es geht weiter mit uns...
Mit den Jahren aber hat sich das verändert, was du unter den Doppelpunkt nach dem PS geschrieben hast. Aus deinen hastig darunter geschriebenen Liebesbekundungen, sind mahnende Worte geworden. Aus deinen mit schnellen Strichen gezeichneten lachenden Sonnen und roten Herzen sind Wegbeschreibungen und Bastelanleitungen geworden. Und statt Blumen, Schmetterlingen und unseren Initialen hast du mir Ausrufungs- und Fragezeichen hinter dein Postskriptum geklebt.
Heute weiß ich, ich habe dich damals schon gehasst. Anfangs ist der Hass etwas nebensächlich gewesen, eine leise warnende Stimme nur. Denn ich habe dich noch geliebt, noch vor zwei Jahren habe ich das. Und auch du hast mich da vielleicht noch geliebt. Aber mein Hass ist gewachsen, unbemerkt von mir. Abgrundtief ist dieser Hass geworden. Erst jetzt sehe ich das so. Aber auch erst jetzt hast du dein letztes Postskriptum geschrieben. Mit vier Sätzen hast du mir geschrieben, dass du mich verlässt. Du hättest einen anderen. Das Haus dürfe ich behalten, bis alles geklärt sei. Und du würdest dich melden, wenn ich etwas Abstand gewonnen hättest. Und als PS steht da: Zwischen uns ist es schon lange aus.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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