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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Art brut

© Toria Burkert


Im Gegensatz zu uns gibt es sie noch, denkt Paul. Sie, die ihm gegenübersitzen, sprachlos, fassungslos.
Wieso überhaupt die Lüge brechen, hatte er gedacht, als die Kellnerin die leeren Teller abräumte und Tani einen Espresso brachte. Sie hatten ihm geglaubt, er hatte Sarah entschuldigt, sie fühle sich nicht gut, käme aber vielleicht noch nach. Er gab sich keine Mühe, so zu tun, als hörte er Lars zu, der irgendwas erzählte, sondern beobachtete Tani, die sich an der winzigen Tasse die Finger wärmte und durch Sarahs Abwesenheit hindurch auf das Aquarium hinter ihm sah, in dem große gefleckte Fische schwammen. Dann das Unnötige. Lars fragte etwas und Paul antwortete nicht, sondern sagte den Satz, einfach so. Tani stellte ihre Tasse ab, sah von den Fischen zu Paul und Lars fing nicht wieder an zu sprechen. So war das.
Er hatte keine Reaktionen erwartet, kein Nachspiel, nichts. Er hatte einfach nur den Satz gesagt, weil er gesagt werden musste, früher oder später.
Jetzt sitzt er vor diesen Gesichtern, die er nicht wollte, die ihn anstarren, wortlos und in die er denkt, lasst gut sein, es ist gesagt, vorbei, ein für allemal, jetzt bitte vergessen und dann weiter wie bisher, ja?
Lars steht auf, ungeschickt, bleibt mit irgendwas an seinem Stuhl hängen, sagt zu Paul, "Ich lad' dich ein", und geht zur Theke. Wie blöd, denkt Paul.
Lars' Einladung klingt nach Trost, aber es ist kein Trost, es ist unsinnig, genau das Gegenteil, denn bisher haben sie immer paarweise oder getrennt bezahlt. Und jetzt das.
Er bedankt sich durch ein leichtes Nicken und sieht Lars nach, der vor der Theke steht, mit dem Rücken zu ihnen, die Kellnerin erwartet.
Das kann nicht passiert sein, dass sie nichts gesagt haben, dass sie einfach so dagesessen sind, so kann es nicht gewesen sein, denkt er, da nimmt Tani seine Hand, zieht sie zu sich, hält sie fest zwischen ihre Hände, reibt ihre Daumen über seinen Handrücken. Sie sieht ihn eindringlich an, mitleidlos, ernsthaft, weit entfernt zu weinen, aber doch so, als wünsche sie es sich, für Paul weinen. Sie fragt zögernd, leise, viel zu schnell, "Bist du sicher, dass es endgültig ist?" und Paul zuckt zusammen und nickt, senkt seinen Blick auf die Hände, Tani hat schöne Hände, denkt er, und was heißt das schon, endgültig.
Lars hat bezahlt, ist zurück am Tisch, setzt sich nicht, sondern steht vor Pauls Stuhl und Paul steht auf, schiebt den Stuhl mit den Kniekehlen nach hinten und Lars umarmt ihn, drückt ihn fest an sich, "Scheiße Mann, tut mir leid, Mann".
Paul schließt die Augen. So ist es, aus Tanis Händen zu gleiten. So ist es, beobachtet zu werden, wenn man getröstet wird, obwohl man keinen Trost will.
Vor dem Restaurant steckt sich Lars eine Zigarette an, Tani umarmt Paul, löst sich schnell wieder, "Ruf uns an, ja?" Paul nickt, sie sagt noch was zum Abschied, hakt sich bei Lars ein, dann trennen sie sich.
Endlich, denkt Paul. Jetzt einen sicheren Ort finden, um sich in aller Ruhe die Wunden anzusehen, ausloten, was wirklich schlimm ist.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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