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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Martha

© Ursula Stenger


Martha lebte zufrieden in ihrem kleinen Häuschen. Der Mann war schon vor vielen Jahren gestorben und der einzige Sohn wohnte mit seiner Familie weit weg.
Martha war dankbar, dass sie noch rüstig war, wenn auch die morschen Knochen manchmal schmerzten. Sie konnten ihren Haushalt alleine versorgen und grub sogar in ihrem liebevoll gepflegten Garten das ein oder andere Beet um, was ihr allerdings die Schelte der Nachbarn einbrachte, die sie sehr mochten und oft anboten ihr zur Hand zu gehen. Doch Martha pflegte dann nur schmunzelnd zu sagen: "Selber groß!" Jeder wusste, was sie damit meinte, denn sie hatte allen erzählt, dass ihr Sohn Heinz dies als kleiner Junge sagte, wenn er keine Hilfe wollte. Auch die Nachbarkinder besuchten sie oft und gerne, denn Tante Martha konnte so spannende Geschichten von früher erzählen und der kleine Heinz spielte darin meist die Hauptrolle.
Wehmütig dachte Martha an früher, als Heinz mit seiner Frau und den drei Kindern alle paar Wochen zu Besuch kam. Tagelang vorher wienerte sie die Wohnung auf Hochglanz, kochte die Leibgerichte ihrer Lieben und backte die verlockendsten Köstlichkeiten, denn die Kinder sollten sich wohl bei ihr fühlen. Aber die Besuche wurden immer seltener. Heinz schaute zwar ab und zu mal kurz bei ihr vorbei, wenn es geschäftlich in seiner Richtung lag. Doch die Schwiegertochter und die Enkelkinder ließen sich kaum noch blicken. Ja, die Nachbarn hatten es gut, die wohnten meist mit ihren Kindern in einem Haus und sie konnten das Zusammensein mit ihren Enkeln nach Herzenslust genießen. Martha war zwar dankbar für ihre nette Nachbarschaft, dennoch ärgerten sie die gut gemeinten aber taktlosen Fragen wie: "Ihr Sohn war auch schon lange nicht mehr da. Wollen Ihre Kinder nicht endlich mal wieder nach Ihnen schauen?"" Es war ihr einfach peinlich, dass die anderen mitbekamen, dass ihre Familie sich nicht um sie sorgte und kümmerte. Um das Desinteresse ihrer Kinder zu überspielen, erzählte Martha dann allen wie sehr ihr Sohn im Beruf gefordert war, wie gescheit und fleißig die Enkelkinder seien und wie tüchtig die Schwiegertochte das große Haus führte. Ja, die Kinder hatten es weit gebracht, aber manchmal erschauerte Martha über die Kälte mit der sie von Ihrer Familie behandelt wurde und sie fragte sich: "Was habe ich falsch gemacht?"
Dann hatte Martha ihren 93. Geburtstag gefeiert. Viele Nachbarn waren zum Gratulieren gekommen und hatten Kuchen und Salate mitgebracht. Es war eine schöne Feier gewesen. Der einzige Wermutstropfen war, dass die Kinder wegen des starken Schneefalls nicht kommen konnten. Martha, der die Sicherheit ihrer Kinder über alles ging, hatte großes Verständnis gezeigt und sie freute sich einfach auf Weihnachten, dann würden sie sich ja alle wiedersehen. Um so enttäuschter war sie, als einige Tage vor dem Heiligen Abend die Schwiegertochter anrief und Martha erzählte, das sie nicht kommen würden, schließlich hätte Heinz viel gearbeitet und sich einen Urlaub in Florida verdient. Sie würden sich im neuen Jahr wieder melden.
Martha wollte nicht eigensüchtig sein, aber es schmerzte sie, dass ihr Sohn nicht die Größe hatte selbst anzurufen. Die Tränen rannen ihr übers Gesicht und sie ließ sich hemmungslos ihrer Traurigkeit hin. Doch plötzlich beschlich sie ihr schlimmster Gedanke: "Was werden die Nachbarn sagen, wenn die Kinder zu Weihnachten nicht kommen?" Sie spürte schon deren mitleidige Blicke und erstarrte. Sicherlich würde die ein oder andere Familie sie sogar zum Christfest einladen. Aber einige würden sich nicht scheuen und in ihrem Beisein über ihre unbarmherzigen Kinder herziehen. Sie überlegte hin und
her: "Was mache ich nur?"
Langsam kam wieder Leben in Martha und sie wusste was sie zu tun hatte, um sich das Unverständnis und die Barmherzigkeit der Nachbarn zu ersparen. Am nächsten Tag verkündete Martha allen Nachbarn freudig, dass sie in diesem Jahr das Weihnachtsfest bei den Kindern verbringen würde. Zufrieden sah sie, wie die Nachbarn sich mit ihr freuten, wies jedoch dankbar alle Hilfsangebote zurück. Nein, es bräuchte sie niemand zum Bahnhof fahren, denn Heinz würde sie mit dem Auto abholen und es müsste auch niemand nach dem Haus sehen, denn schließlich sei sie nur zwei Nächte weg. Die Nachbarn bedrängten sie Gott sei Dank nicht lange, denn jeder hatte vor den Feiertagen genug mit sich und seinen Lieben zu tun.
Und dann kam Weihnachten - Es wurde das schlimmste Christfest das Martha je erlebt hatte. Um Ihre Nachbarn im Glauben zu lassen, sie sei verreist, verbrachte sie drei Tage in ihrem Haus bei heruntergelassenen Rollläden. Sie wagte sich nicht einmal das Licht oder den Fernzuseher anzuschalten, aus Angst man könnte bemerken, dass sie zu Hause sei. Drei Tage lebte sie in Dunkelheit und völliger Abgeschiedenheit und dies alles nur um den Nachbarn vorzuspielen, dass ihre Familie sie liebt.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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