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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Geschichte vom mädchen, das gelacht hat

© Anton Götz


Der flüchtige hatte die fremde wie eine beständig ferne zukunft aufgesucht.
Sanft waren ihre unsichtbaren brücken zwischen ihn und das gelegt, wie ihn sonst die welt umstellte. Die fremde ließ ihm alles schreckliche, wovon oft seine träume voll waren, als eine traurige armada verpanzerter schwarzer schiffe erscheinen, die blind im kreis fuhren. In verzweifeltem stolz starrten die mannschaften in die eigene dunkelheit, unaufhörlich bereit, die drohende todesangst niederzukämpfen. Denn weil sie von der welt nichts mehr sahen, erwarteten sie in jedem moment den sturz über deren rand hinab. Aber die fremde erbot dem flüchtigen eine ahnung, dass diese männer eines morgens wieder ihre augen öffnen könnten. Vielleicht würden sie sehen, dass der strudel im zentrum des sees sie erfasst hatte. Sie würden wohl über diesem tiefsten schreck darin untergehen wollen, aber vielleicht könnten sie sich auch fester darüber beruhigen und auf einer sanften welle endlich die ufer entlang und über das land blicken. Der flüchtige ließ sich diese geschichte soweit gefallen, als die fremde ihm riet, sie nicht zur wirklichkeit oder wahrheit zu fordern, denn dergleichen hatte doch all die jahre nichts genützt. Ja die fremde schien ihm sogar zu zeigen, dass sein zwang, die männer zu retten, deren blindheit und verlorenheit immer aufs neue festschrieb. Sie lieh ihm so etwas wie hoffnung, die er zwar nicht spürte, die ihn aber immer wieder ein stück begleitete.
Er befand sich seit einigen tagen in maribor, ohne eigentlich zu wissen warum. Immerhin lernte er diese entlegene sprache - vor ort am besten, wie es heißt - , aber gleichzeitig war er so aussichtslos auf sich, auf den unabsehbar langen schatten seines stillstands zurückgefallen, dass er auch hier bald nichts anderes mehr tun konnte, als was er woanders ebenso tat, nämlich sich unwillkürlich aufzuhalten. Irgendwann früher hatte der flüchtige nach etwas gesucht, hatte sich in die arbeit zerfließende jahre lang wie selbstverständlich für einen suchenden gehalten und sich als solchen ausgegeben. Allmählich hatte er aber nur noch immer angestrengter nach etwas suchen können, das er hätte suchen können oder wollen, seinetwegen auch müssen, und darüber hatte er, ohne davon richtiges zu bemerken, mit der suche aufgehört. Jetzt konfrontierte ihn die fremde mit dieser wahrheit, die ihn weniger erschütterte, als zu befürchten gewesen wäre. Der gedanke, dass alles, was er bislang ersonnen oder getan hatte, gewissermaßen unecht gewesen sein konnte, erheiterte beziehungsweise erleichterte den flüchtigen bisweilen nahezu freundschaftlich. Es war ihm eben nicht gelungen, unter die gerechten gezählt zu werden, die in gemeinsamen augen einfach sein konnten, was sie geworden waren. Nein, er galt nicht als einer jener braven, tüchtigen, tapferen, denen seit je die kleine oder große geschichte geschrieben wird. Er war tatsächlich immer nur von innen gegen die eigenen wände gerannt und er war damit in einem ausmaß gescheitert, unter dem er nun nur noch still und mühsam schmunzelnd den aufgeschlagenen kopf schütteln konnte.
In der preiswürdigsten pension der stadt, abseits hinter dem einkaufszentrum europapark, wo der drogenabhängige teil des entmachteten proletariats sich bereits zu raubüberfällen auf einsame nachtspaziergänger gezwungen sah, hatte der flüchtige ein zimmer bezogen, in das um die undichte balkontür schneeluft kroch, denn er traute sich nie sicher zu, wie lange zu bleiben war. Die sogenannten einfachen leute, die sie führten, hatten ihm bald wieder das alte lied voraus, demnach es sich mit dem eigenen möglichen soweit begnügen lässt, dass man ihm kontinuierlich das wenige abgewinnen kann, was wirklich bleibt. Das frühstückszimmer für die gäste, das wohnzimmer der familie und die rezeption waren ein raum, in den über einen fernseher, ein radio und einen computer abwechselnd oder gleichzeitig die welt draußen als verkaufsschlager hereinstrahlte. Über allerlei rotierender wäsche war das zimmerschlüsselbrett an die wand genagelt und im hintergrund zwischen die empfangstheke und einen mit medikamenten vollgestellten tisch fügte sich das bett mit dem spastisch gelähmten sohn, der gerne mit puzzlestücken der volksmusik aus dem radio sang. Wenn der familienvater einen scherz herumsprach - etwa anlässlich eines bevorstehenden ausflugs der pensionseltern nach venedig, demzufolge die gäste nach der rückkunft ein frühstück um ein uhr nachts zu gewärtigen hätten - und alle für den augenblick ergeben, und eben nicht für eine höflichkeit darüber lachten, winkte aus der spitzbübischen demut des beleibten schnauzbärtigen mannes, dessen gesicht vom wein lange dunkel gerötet war, was ein leben verschenken mag, wenn es sich nicht von überforderung vertrieben sieht. In seinem zimmer, im frühstücksraum, ja in ganz maribor schienen dem flüchtigen ungleichgroße prisen wein herumzuwehen, was ihn, der seine ängste und ohnmacht früher regelmäßig darin vertränkte, aber gar nicht mehr tiefer hinein verstören oder anwidern konnte. Er wusste, dass er sich von dieser gefahr niemals würde frei wissen dürfen, und das war die dankbarste sicherheit, die für ihn zu haben war. Die fremde erbot ihm hier keine - ohnehin stets übersättigende - genugtuung, aber mundwinkel und stirn entfernten sich doch dann und wann zu einem lidschlag diabolischer erheiterung voneinander, wenn er bedachte, dass er sich ausgerechnet in einer stadt eingefunden hatte, in deren jahrhunderthaltiger unterkellerung auf zwanzigtausend quadratmetern zwei millionen liter wein lagerten. Er versicherte sich dann knapp und ohne irgendein gefühl der abweisung: nein, ein laster genügt, es ist immerhin mehr als zu wenig und meinte damit das rauchen, das er im begriff war wieder anzufangen, weil er sich dafür weder
ernst- noch dauerhaft mehr verurteilen konnte. Die eine abhängigkeit hinzunehmen schien ihm erträglicher und wahrhaftiger als all die kämpfe um eine vollkommene, sozusagen endgültige enthaltsamkeit, von der er doch nicht wusste, welchem ziel sie entsprechen sollte.
Gleich bei seiner ankunft, als der pensionsvater ihn - ein glas wein hinstellend - an den tisch bat, sah er dort einen etwa fünfzigjährigen, ein wenig starr oder schüchtern wirkenden mann mit dickgläsriger brille sitzen.
John, wie er sich dem flüchtigen gegenüber erst an einem der folgenden tage nannte, lebte in einem wohnwagen in den vereinigten staaten. Ich bin ein tippelbruder, ein penner, bekannte der überaus höfliche, geboten zurückhaltende, ja feine mann, und der flüchtige hörte darin eine vermutlich zerbrechliche, aber ungebrochene selbstachtung. Er wird einmal sterben als einer, der auf der welt war, weil er kaum mehr oder weniger als seine einsamkeit gelebt hat, dachte der flüchtige unwillkürlich. Der amerikaner schaute meistens geradeaus und spitzte sein gesicht zu beständiger aufmerksamkeit, wenn sie und die pensionseltern beim frühstück einander die gespräche übersetzten, sodass ein reigen aus slowenisch, deutsch und englisch entstand, dessen wohlwollendem rhythmus alle beteiligten einmal sich froh erinnernd würden nachspüren können.
Der flüchtige hatte bei den über die tage verstreuten begegnungen erfahren, dass John davon lebte, von einem computer in seinem wohnwagen aus mit aktien zu handeln, womit er fünf bis sechs stunden jedes tages verbrachte. So sparte er das geld, immer wieder für einige wochen nach europa zu reisen, einige tage später wollte er mit einem billigen bus nach polen. Mit einer handvoll von amerikanern hatte er sechs jahre in spanien verbracht, wo er von englischkursen gelebt hatte. All das hatte den flüchtigen nicht fasziniert oder gar gerührt, wie es ihm vielleicht früher passiert wäre, ohne dass er gemerkt hätte, dass er sich damit nur die wohlfeile illusion von unter- oder überlegenheit gegönnt hätte. Jetzt legte die fremde ihre sanfte brücke dazwischen und empfahl ihm, den anderen einfach nur als einen anderen gelten zu lassen. So kamen sie sich nicht zu nahe, sondern zuletzt näher und ohne ein klima gegenseitiger verantwortlichkeit aus und überein.
Aus seinem zimmer, wo er in slowenischen grammatiken übersetzte, hörte der flüchtige mehrmals, wie John zur toilette ging, um sich zu übergeben. Der flüchtige kannte dieses geräusch, es war für ihn, was es war: ein zwanghaftes sich in die welt hinaus ausleeren, eine unvermeidlich wiederkehrende selbstauslöschung. Der flüchtige hatte damit selber jahrelang das weitergelebt, was der vater ihm - er war damals noch ein kind - unvergesslich vorgeführt hatte. Von seiner eigenen einsamkeit verschluckt hatte der vater den von einem ausflug heimkehrenden rest der familie mit einem riesigen, klumpigen see von erbrochenem auf dem wohnzimmerteppich empfangen. Viele wochen lang hatte der teppich danach gestunken, wie sich der flüchtige erinnerte, der vater hatte damit unwillkürlich klargestellt, was seine familie zu erwarten hatte, wenn sie ihn allein ließ. Aber dieser amerikanische alkoholiker hielt sich nüchtern genug, niemanden anderen für seine krankheit verantwortlich zu machen.
Ein gesichtspunkt an Johns erzählung freilich oder sagen wir besser der haltepunkt für ein erstes verständnis durfte den flüchtigen dann doch den begriff von faszination herauskramen lassen, denn der weg, auf dem John zum gitarrenspiel gekommen war, das ihm im weiteren die lehrtätigkeit für dieses instrument, eine eigene cd und regelmäßige konzerte in den usa und in europa erbrachte, dieser hergang einer lebensweichenstellung war so schön wirklich und gleichzeitig wirklich schön, dass selbst die fremde dem flüchtigen dieses eine mal den alten taschenspielertrick zugestand, demzufolge der postmoderne mensch sich immer häufiger an der stelle einer ausbleibenden gefühlsreaktion mit dem bloßen, konventionell verankerten signal für diese begnügt, um dann umso marktbewusster, selbstverständlicher die dramaturgie ihres äußeren ausdrucks, ihre praktischen symptome zu rekonstruieren. Man lernt heutzutage eben wieder gefühle zu zeigen, auch wenn man nicht mehr so genau weiß, ob man sie wirklich hat. Die fremde beließ mit ihrer sanften brücke natürlich das, was die erlaubnis für faszination bei ihm dann tatsächlich an sichtbarem zustande brachte, in verhaltenen grenzen, denn der flüchtige hatte während der monate vor der begegnung mit John in sich immer wieder einmal einen wink gespürt, dass lob und zuneigung oder eben auch faszination mitunter als mittel des angriffs oder einer kommenden demütigung aufgefasst werden und das insoweit dann auch tatsächlich sind. So hob der flüchtige lediglich periodisch die schultern und kniff die backen hoch und die unterlippe über die schneidezähne zu einem, vom schubhaften ausstoß des atems durch die nase auch akustisch, ja beinahe haptisch unterstützten, verwunderten lächeln, während der amerikaner berichtete, wie er zum gitarrenspiel gekommen war:
"Vor fünfzehn jahren ich habe in amerika gehört eine berühmte spanische gitarrist", begann er mit seiner in schlichten schmalen grenzen entlang fließenden stimme, "er spielte eine konzert im weißen haus..." - "Sie haben ihn dort gehört?", unterbrach ihn der flüchtige, insbesondere um in diese melodie einzustimmen, teils aber auch, weil er sich das gesagte im moment nur genauso vorstellen konnte, und wirklich nahm der amerikaner den fluss ein wenig launiger wieder auf: "Oh nein, ich hörte ihn nicht dort. Ich war nicht im weißen haus. Sie haben mich nicht eingeladen." In trockenem, feinem rhythmus lachten die beiden vor einander hin und der reisende erkannte darin die fremde, die ihm das missverständnis zu einer sanften brücke hatte gelingen lassen. "Ich habe ihn gesehen im fernsehen. Als erstes stück er spielte eine renaissancekomponist aus spanien, luis de narvaez. Dieses stück hieß guardame la vacas in spanisch..." - Der flüchtige schüttelte sich gespannt den kopf hoch: "Was bedeutet es...?" - "Oh, ich äh", der amerikaner schob seinen blick stirnrunzelnd schräg nach unten und schien dazwischen zu suchen, "ich weiß nicht, was es in deutsch heißt, in english es ist etwas wie guard me my cows." - "Was? Wirklich?" - als hätte es sich punktgenau getroffen und in gewissem sinn zeigte sich hier schließlich auch keinerlei zweifel mehr - "es heißt pass auf meine kühe auf!?" - "Ja, ja...", nickte John immer wieder schwerelos mit kurzen flügeln, erneut und erneut mit seinem zugespitzten gesicht die entwaffnendste aller lösungen spielerisch auf den boden tippend, solange die das wollte, um dann - sich geduldig beruhigend - auf sein instrument zu weisen: "Ich habe gehört dieses stück und dachte, ich möchte genau das auch spielen. Und so begann ich zu lernen gitarre." Der improvisation, die die beiden nun gegenseitig anstimmmten - die fremde schien dem flüchtigen geeignet für die neueinstudierung einiger konzertstücke, infolgedessen er seine flöten mithatte - dieser improvisation widmeten sich er und der amerikaner in gelassenen, handwerklichen schritten, ohne die sicherheiten der wiederholung zu scheuen, aber auch ohne sich in ihnen geborgen fühlen zu wollen. John setzte unverstellte, breit wegsame klettersteige über seine saiten, denen die genüge immer wieder wohl tat, er schlug nicht eigentlich mehr richtungen ein, sondern beließ das raumgefüge der drei akkorde als eine unbehelligte, mikrokosmische wanderwelt, die und der sich der flüchtige nahezu fraglos anverwandeln konnte, als könne er die gegenwart einmal als zwingendes ergebnis beschwichtigend beiseite lassen.
Seine miniaturen waren zuverlässig wie das allnachmittägliche atmen der gardine vor dem undichten fenster. Sie schlenderten gutmütig gegen künftige belanglosigkeiten auf und ab, versicherten sich einiger augenblicke in den kehren, hätten sich bald nicht einmal mehr dem gedanken an eine peripherie zu entziehen brauchen. Die beiden verspielten für einander eine halbe stunde ihres lebens auf eine weise, die alle von außen sich anbietende bedeutsamkeit mit einem achselzucken vorbeistreichen ließ, und weil sie deren gewicht nur allzugut kennengelernt hatten, beendeten sie ihre musik sicher, bevor jene sich hätte hereinbitten lassen.
Den vormittag vor Johns weiterreise nach polen hatten sie sich am frühstückstisch mit den herbergseltern verplaudert. Ernst hatte John mehrere gläser schnaps - eigenheimlich gebrannter, "reiner alkohol mit ein wenig wasser", wie dieser stirnlächelnd kapitulierte - nachgeschenkt, bis der amerikaner gleichmütig herumgab: "Ich habe verpasst den zug, aber ich werde eine andere nehmen um vier uhr." Der flüchtige glaubte um diesen moment begriffen zu haben, welche ausdauer john entwickelt haben musste, bis er sich über die lage gesetzt, den schmerz der wehrlosigkeit ins erträgliche hinein zu befrieden. Er hatte ihm deshalb angeboten, ihn mit dem auto zum ptujer faschingszug mitzunehmen und anschließend nach maribor zum bahnhof zu bringen. Vom straßenrand und dicht unter den leuten würden sie ein paar zoll respekt lang belächeln, wie das durchdringende kuhglockengebimmel der kurenten - zottelige tiermenschen mit gänse- und truthahnfedern auf den masken - angeblich das ende des winters einläutete.
Damit sie sich vor beginn der attraktion leiblich noch stärkten, betraten die beiden runde zwei stunden später die gegen den fuß des burgbergs gelehnte pizzeria zlatorog in ptuj. Der unsterbliche, goldgehörnte steinbock zlatorog konnte in der sage, indem er sich verletzte, die wunden der menschen heilen lassen. Er erlag allerdings der goldgier von jägern und hinterließ an den tod beraubt eine steinwüste. Der flüchtige fragte nun, obwohl im hintergrund noch einige tische ganz frei waren, ein nahe der theke sitzendes, etwa siebzehnjähriges mädchen auf slowenisch, ob sie sich ihr gegenüber setzen könnten. Die fremde schien ihn dazu einzuladen und dabei stieß er sich unter allem sicht- und merkbaren doch in eine art angekommensein mit dem freund. Allenthalben zwinkerte der horizont sicherheit. Man war gänzlich aufgeräumt darin, wie die letzten gemeinsamen sichten und erklärungen hingehen würden. Der flüchtige hatte sich mühelos im begriff der vorfreude darauf eingerichtet, wie er John zum abschied die cassette swingle singers mitgeben würde, die sie während der fahrt gehört
hatten: eine weiche spiegelscherbe, ein sich vorweg erinnern an angedeutete freundschaft. Und mit Johns frage, was er bestellen würde, wurde dem flüchtigen jetzt auf einmal doch wieder etwas zur gelegenheit. Ganz in der wohlwollenden zurückhaltung des amerikaners ausgelöst, zeigte er auf den "teller zlatorog" in der speisekarte: "Do you know zlatorog? It`s an animal, that lives in the moutains." Schon bei den ersten worten wandte sich das mädchen wie aus gebackenen pausenbroten lauernd neugierig zum flüchtigen herüber, musterte ihn auf und abschätzig, der wie identifiziert sich in der stimme zurückzog auf eine albern brüchige, verzweifelhafte abwehrstellung, und sofort war es wieder längst zu spät, denn eben deshalb, weil sie wimpernschnell abgespäht hatte, dass es für den keinen rückzug an irgendeinen sicheren ort geben würde, lachte sie einfach und hatte ihn damit rasch in schweigen geknipst. Allein gelassen von sich in einem nebel aus brandringen starrte er sie an, offen fassungslos an, die immer fettiger und ausgefreiter lachte, die auf seiner zu dumpfem flehen zerschnürten hilflosigkeit herumtrampelte, ja sportlings auf ihm herumtanzte, indem ihr frühlingsfleischig hellaufquellender körper immer großzügiger, bald bis zu volkstümlicher anmut hoch- und niederwippte, die ihn wiehernd blitzblank tranchierte und scheibchenweise ins schlammloch hinunterstieß, wo das geschlossene ende immer schon da war und ihn doch nicht erlöste, die fotze, die strunzdämliche fotze, was erlaubt sie sich, war er nicht mal instand zu denken, wo das doch in gestalt eines sauber und kompakt konfektionierten blicks gleichsam im mindesten reaktionsbereich gelegen wäre. An dessen statt bläst sie hirn und eier aus und er hält seine hypnotisierten offenen lippen hin, ihrem zynischen grinsen, als hätte es nur eines augenzwinkerns bedurft, eines schmetterlingsflügelschlags und sie hatte ihn unterworfen. Aber allso schüttete und stopfte sie dankesfroh hinein, was man und sie jemals bei ihr heraus oder abgewürgt hatten. "Did you live a time in england?", gluckste das mädchen launig über ihn her, ihn endgültig zur lächerlichkeit auseinandertreiben zu lassen, der sich nur feiertagsläufig und unter der hut der freundschaft aufs eis des englischen hinausverwagt hatte - denn er konnte ja praktisch überhaupt kein englisch, oder war er geschweige denn je im land gewesen, aber nichts mehr jetzt und niemand konnte da drin noch helfen, selbst mit unter diesen - unvorsichtigerweise hatte er sich das erhofft - nahezu idealen umständen war er plötzlich wieder vom lärm und schmerz der kriegsprügel verschluckt. Aber weil eben nichts und niemand half und helfen konnte und er ein für alle male bereits beschlossen hatte, dieses unsäglich elende leben, das er lediglich insofern als seines erachtete, als er es mit sich herumzutragen gezwungen war, immerhin so lange vergehen zu lassen, wie es das von ihm verlangte, eben und allein deswegen versuchte er zwischen sich und die unverfrorene, mordslustige slowenin ein schmales "ne, v nemciji" zu rücken, ohne dass derartig zögerliches freilich auch nur irgendwo bestanden hätte. Denn rein ins gegenteil hörte sie wie nach vorne instinktierend, dass er aus der selbstauslöschenden frage, warum sie lachte, niemals würde herausfinden können. Und hiervon umrauscht lachte sie weiter, frisch geschmiert, die frohgemütliche selbst- und drüberläuferin. Sie lachte über seine heillose unwissenheit, sie lachte über seine unheilbare hilflosigkeit, sie lachte über seine auswegslose flüchtigkeit. Sie streifte den letzten, glitzernden schmutzrandigen schaum ab und prustete ihn in sein gefängnis hinunter, lachte ihn sich selbst unter der sicherheit finalen triumphs gänzlich hingegeben dafür aus, dass es bei ihm für immer bloß zu zufälligen, verstreuten fluchtgedanken reichen wird, die ihn sich allein ab und an in seiner zelle umdrehen ließen. Sie hatte alle brücken abgesprengt, hatte die fremde in den flüchtigen zurückgebrochen zum dreckigen zähen strom, zum zeittoten tauben schrei geflutet, den kein tag mehr erreichen konnte.
Indem der flüchtige dem amerikaner die geschichte vom zlatorog endlich auf deutsch erzählte, begann sich das mädchen zu schämen - anzumerken wusste sie sonst auch nichts vergleichbar bedeutsames mehr - und verschwand überstürzt.
Die beiden fremden ließen damals unter regenkälte den faschingszug eine unversehene stunde an sich vorbeiparadieren. Während der rückfahrt bedankte sich John auf seine erwartungslose verbindlichkeit, es sei eine gute idee gewesen, ihn dorthin mitzunehmen. "Are you shure?", schob er seinen blick stirnrunzelnd schräg nach unten, als der flüchtige ihm zum abschied mit den worten "That`s my gift for you" die cassette an die schulter geboten hatte, und nahm sie. Er verstaute sie sorgfältig im rucksack. Vor dem eingang in die bahnhofshalle wendete er sich noch einmal behutsam zur straße hin, hob schwach eine hand und lächelte.
Der flüchtige hatte die fremde wie eine beständig ferne zukunft aufgesucht.
Sanft waren ihre unsichtbaren brücken zwischen ihn und das gelegt, wie ihn sonst die welt umstellte. Die fremde ließ ihm alles schreckliche, wovon oft seine träume voll waren, als eine traurige armada verpanzerter schwarzer schiffe erscheinen, die blind im kreis fuhren. In verzweifeltem stolz starrten die mannschaften in die eigene dunkelheit, unaufhörlich bereit, die drohende todesangst niederzukämpfen. Denn weil sie von der welt nichts mehr sahen, erwarteten sie in jedem moment den sturz über deren rand hinab. Aber die fremde erbot dem flüchtigen eine ahnung, dass diese männer eines morgens wieder ihre augen öffnen könnten. Vielleicht würden sie sehen, dass der strudel im zentrum des sees sie erfasst hatte. Sie würden wohl über diesem tiefsten schreck darin untergehen wollen, aber vielleicht könnten sie sich auch fester darüber beruhigen und auf einer sanften welle endlich die ufer entlang und über das land blicken.



Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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