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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Todesangst oder Lumine naturali?

© María del Carmen González Gamarra


Als ich zum ersten Mal in die deutsche Schule ging, war ich neun Jahre. Ich verstand kein einziges Wort Deutsch und wurde in die Erste Klasse gesteckt. Die Lehrerin reichte mir befremdenderweise die Hand zur Begrüßung, sprach einige Sätze, die ich nicht verstand und deutete mit dem Zeigefinder auf einen leeren Stuhl hinter einem Pult mit zwei Sitzen in der letzten Reihe, wo ich mich dann hinsetzte.
Wenige Tage nach der Einschulung hatte ich nachts einen Traum. Ein Mann mit weißer "Uniform" kommt auf mich zu und sagt, wenn du dich nicht impfen lässt, wirst du sterben. Du wirst sterben, sterben, sterben … wiederholte er immer wieder eindringlich. Bis ich, von Todesangst gepeinigt, aufwachte und leise zum Badezimmer ging, damit ich keinen um drei Uhr Nachts weckte. Im Bad auf dem Fensterbrett stand ein weißer Blumentopf mit unzähligen rosaroten Tränenden Herzenblüten, die ich zu zählen begann. Eins, zwei, … 26, …, 97,…152, … 203, … Langsam wurde es durch das milchige Fensterglas hell und ich musste sofort ins Bett gehen, bevor meine Mutter von meiner Eskapade etwas bemerkte. Seitdem blieb die Todesangst so viele Jahrhunderte fest in meiner Erinnerung, wie die Zahl der gezählten Tränenherzen in dieser Nacht.
Als meine Mutter am nächsten Morgen aufstand, traute ich mich nicht sofort zu ihr zu gehen, um ihr von dieser "komischen" Angst zu erzählen. Doch dann tat ich es bei der nächsten Gelegenheit. Ich erzählte ihr von diesem "komischen" Gefühl, das ich als Todesangst bezeichnete. Worauf sie prompt antwortete: Du bist noch zu klein. Am Sonntag gehen wir in die Kirche. Dann ist Deine Angst weg. So kam zu meiner Todesangst das Gefühl hinzu, nicht verstanden zu werden. Nicht einmal von der eigenen Mutter.
Einige Tage später war es Sonntag. Meine Mutter machte mich und meine Schwester schön, wie sie zu sagen pflegte und wir, Eltern und Töchter, gingen in die Kirche, wo sich damals die ersten Spanier des Dorfes versammelten. Auf dem Weg dorthin wurde die Todesangst stärker. Denn ich verstand nicht, wer mir in der Kirche die Angst nehmen könnte. Alle Erwachsenen unterhielten sich nur untereinander und die Kinder selbst standen still daneben. Und Gott? Auch das wollte ich im Innern meines Herzen nicht glauben, dass er mir helfen könnte. Denn ich hatte bereits einige Male die Erfahrung gemacht, dass Gott mich gar nicht so oft hört, wie ich ihn um etwas bitte. Doch das hatte ich meiner Mutter nicht erzählt. Du erzählst ihm alles und dann geht es dir besser, sagte mir meine Mutter immer wieder, wenn ich mit Fragen zu ihr kam, auf die sie keine Antwort wusste. Oft hatte ich ihr "Rezept" ausprobiert. Doch nicht immer trat ein, was meine Mutter mir versprochen hatte. Meine Ängste hingegen blieben weiterhin in mir lebendig. So wurde ich bereits als kleines Mädchen, nicht nur von den Erwachsenen und besonders von meiner Mutter, sondern auch vom "lieben Gott", wie meine Mutter ihn nannte, enttäuscht.
Als wir an dem Sonntag die Kirche verließen, war es wie befürchtet. Ich hatte dem "lieben Gott" zwar alles erzählt, was ich geträumt hatte und ihn auch ganz eindringlich gebeten, mich von dieser Todesangst zu befreien. Doch auf meine Bitte hatte er nicht reagiert. So ging ich den ganzen Nachhauseweg schweigend neben meiner kleinen Schwester, mit der ich sonst alles besprach. Statt der Erfüllung meiner Bitte kam noch eine Angst hinzu. Jetzt musste ich meiner Mutter auch sagen, dass die Todesangst immer noch bei mir sei und wächst. Und dass der "liebe Gott" mir dieses "komische" Gefühl nicht genommen hatte. Davor hatte ich Angst. Denn meine Mutter würde daraufhin mit mir streiten, wie so oft und mir vorwerfen, ich hätte bestimmt etwas falsch gemacht in meiner Bitte an Gott. An diesem Sonntag ging ich meiner Mutter aus dem Weg - in einer Ein-Zimmerwohnung mit Küche! Was nicht so einfach war. Doch da wir Besuch hatten, meine Mutter mit dem Zubereiten von Speisen sehr beschäftigt war und sie sich auch mit den Gästen unterhalten wollte, hatte sie keine Zeit für mich. Den ganzen Sonntag bat ich den "lieben Gott" in Gedanken, er solle dafür sorgen, dass meine Mutter mich nicht fragt, ob die Angst noch da ist. Und siehe da, Gott hatte mich diesmal erhört. Der Tag ging gut für mich aus. Doch bei Einbruch der Nacht war sie wieder da. Die Todesangst. Dieses erstickende "komische" Gefühl. Ich traute mich nicht ins Bett zu gehen. Versuchte etwas in meinen neuen Schulbüchern zu lesen. Doch hier fand ich keine Ablenkung, da ich kein einziges Wort verstand. Im Gegenteil. Die Todesangst wurde stärker. Als ich mich nicht mehr davor drücken konnte ins Bett zu gehen, da mein Vater auf mich wartete, um das Zimmerlicht für alle auszuknipsen, gab ich nach und ging mit schrecklichen Ängsten ins Bett, das ein schmales Kanapee war. Meine Schwester war gleich eingeschlafen und ich durfte mich gar nicht so oft hin und her bewegen. Denn sie durfte nicht geweckt werden, hatte mir meine Mutter gesagt und ich durfte mich auch nicht sehr bewegen, damit die Schwester nicht vom Kanapee herunter fällt.
Die seit einigen Tagen gewohnte Dunkelheit im neuen Domizil verwandelte sich von einem Tag zum anderen plötzlich in eine undurchdringbare grauschwarze schwere Wolke, die unerwartet den ganzen Tag meine Gedanken verfolgte. Panik brach in mir aus. Besonders bei Dunkelheit. Doch du musst ruhig liegen bleiben und schlafen, sagte mir meine innere Stimme nachts.
Das durch das Schlafzimmerfenster eindringende Laternenlicht, an das ich mich mittlerweile etwas gewöhnt hatte, wenn es an der vom Kanapee gegenüberliegenden Wand und Decke tanzte und witzige Figürchen bildete und mir manchmal zulachte, schien in dieser Nacht unbegreiflicherweise, wie aufgelöscht zu sein. Sogar die Sterne, die das ganze schmale Zimmer zuvor wie mit einem sanften Laternenlicht erhellten, schienen ihre Leuchtkraft für mich verloren zu haben. Eine verdächtige und tiefbedrohliche Dunkelheit durchdrang das Zimmer, machte sich an der schrägen rosafarbenen Decke breit und wanderte an der beigen Wand entlang, als wolle diese eindringliche Dunkelheit zu mir kommen und mich wie ein Tintenfisch aufsaugen. An der Schräge der Decke gegenüber dem Fenster trafen sich jetzt kleine nebelartige und suspekte Formen. Zuerst schienen sie unbedeutend zu wirken, dann wurden sie größer und nahmen feste Konturen an, je intensiver ich versuchte, hinzusehen, wer sie waren und was sie wollten. Manchmal wanderten diese leichten und dunkelgrauen Wolkenmassen, die sich plötzlich in aggressiven Gestalten verwandeln konnten, an der Wand entlang von der Decke runter bis zum Boden. Als wollten sie zu mir ans andere Ende des Zimmers kommen und mich ersticken. Dann schloss ich schnell die Augen und drehte ganz langsam meinen Kopf zur Wand mit dem Gedanken, nicht all zu viele Bewegungen zu zeigen. Denn die Schwester durfte nicht wach werden. Ich hätte zwar gern mit ihr über meine Angst geredet. Doch ich hatte wiederum Angst, dass ich sie verängstigen könnte. Also versuchte ich an schöne Dinge zu denken. Doch kaum drehte ich mich in Gedanken mit dem Blick zur Decke, Wand und Boden, begannen die ominösen Gestalten sich agil zu bewegen. Als hätten sie darauf gewartet, dass ich mich wieder zu ihnen umdrehe. Sie wurden größer, überdimensional, sprangen von der Decke zum Boden, erhoben ihre schweren Körper durch die Lüfte und bevor ich mich versah, roch ich ihre Körperwärme in meiner Nähe. So nahe sind sie mir bereits gekommen, dachte ich. Mit jeder Bewegung der Gestalten auf mich zu, erstarrte ich ein Stück weiter der Körperlänge nach für "Jahrhunderte lang", wie es mir vorkam. Meine Knochen schmerzten. Mein Blut gefror. Mein Geist konnte nicht mehr denken, mich ablenken und die schwerfälligen und voluminösen Gestalten rückten dem Kanapee ein Stück näher, sobald ich mich wieder ihnen zugedreht hatte. Meine Bettdecke wurde schwerer. "Sie" werden sich auf uns legen, diese undefinierbaren Gestalten und uns unter sich begraben, befürchtete ich.
Gern wäre ich aufgestanden in diesem tödlichen Augenblick. Aber ich befürchtete, "sie" verfolgen mich, wenn ich das Zimmer verlasse und dann ist keiner da, der mir helfen kann. Also blieb ich wieder Jahrtausende im Bett liegend, zur Salzsäule erstarrt, denn jeder Versuch, mich leise im Bett von der einen Seite auf die andere zu bewegen, scheiterte und verursachte noch mehr Ängste. Mein Körper bewegte sich nicht mehr. Regungslos lag ich da. Die Angst um meine neben mir schlafende Schwester nahm zu. Bis die Angst, vor den größer werdenden Gestalten an der Decke und Wand, mich wieder ins Bad jagte. Hier machte ich sofort das Licht an und stellte fest, "sie" waren mir zum Glück nicht ins Bad gefolgt. Ich konnte aufatmen. Doch wie sollte ich wieder ins Bett zurückgehen können, ohne dass "sie" mich wieder in das Zimmer reinkommen sehen und verfolgen? Denn im Bad konnte ich nicht bleiben. Meine Mutter würde am nächsten Tag sofort fragen, was ich da gemacht habe und nachdem ich ihr alles erzählt hätte, würde sie mir sagen, ich hätte dem "lieben Gott" nicht richtig meine Bitte vorgetragen. Also blieb ich auch die zweite Nacht im Bad bis zum Tagesanbruch. Wieder zählte ich Tränenherzen und hatte Angst, ins Bett zurückzukehren, Angst vor der nächsten Nacht, der übernächsten und jeder weiteren Nacht, die bestimmt noch kommen würde, wie diese dubiosen Gestalten. Als das Tageslicht wieder einmal durch das Fensterglas den Tag ankündigte, überlegte ich mir, wie ich schnell und leise in das Zimmer und ins Bett schlüpfen könnte. Ich schlich mich bis an die Schlafzimmertür heran. Machte diese so leise wie ich nur konnte auf, und schlich mich auf Zehenspitzen bis zum Kanapee, ohne auf die gegenüberliegende Wand einen einzigen Blick zu werfen. Erschöpft musste ich wohl eingeschlafen sein. Und geträumt hatte ich diesmal nicht.
Am Tag danach ging ich müde und ängstlich zur Schule. Ich setzte mich wie immer dorthin, wo die Lehrerin mit einem Finger zeigte, falls der Schüler oder die Schülerin vom gestrigen freien Stuhl heute da war. Bis ich eines Tages einen festen Sitzplatz bekam. Heute redete die Lehrerin etwas, auf das sich alle Kinder erhoben und zum Schulhof liefen. Ohne Aufforderung ging ich wie immer hinter ihnen her, die nie mit mir sprachen. Auf dem Schulhof angekommen, sahen wir, dass da ein großer weißer Wagen mit einem Roten-Kreuz stand, der nicht wie die gewöhnlichen Autos auf der Straße aussah, sondern so wie ich bis dahin noch nie ein Autor gesehen hatte. Aus dem Auto stieg ein Mann mit einer weißen "Uniform" aus und kam auf uns Kinder zu. Aus seiner Handbewegung entnahm ich, dass wir uns hinter der Wagentür in einer Reihe aufstellen sollten. Dann nahm er das erste Kind mit in den Wagen und als dieses wieder herauskam, sagte er etwas zu dem nächsten vor der Wagentür stehenden Kind, das dann durch die Wagentür rein ging. So ging es eine Weile. Bis ich dran kam. Als ich den Wagen betrat, erzählte mir der Mann mit der weißen Uniform etwas, was ich nicht verstand. Das merkte er und zeigte mit einer Handbewegung auf meinen linken Pulloverärmel: hochziehen. Ich gehorchte wortlos und bekam eine Spritze in den Oberarm.
Zuhause angekommen konnte ich nichts von dem Ereignis in der Schule erzählen. Denn ich hatte nie zuvor ein derartiges Erlebnis gehabt. Ich ging davor in ein Kloster für Mädchen, bis wir in dieses Land kamen, wo ich keinen Menschen verstand und jeder bald das Reden mit mir aufgab, weil ich auf kein einziges Wort etwas erwiderte. Ein tiefes Schweigen breitete sich über mein kleines Leben aus, das noch so unsichtbar war.
Die Jahre vergingen. Viele Träume kamen und gingen. Sie verursachten mir Angst.
Als mein Onkel 16 Jahre später im Sterben lag und ich gerade dabei war, meine Reisevorbereitungen zu treffen, träumte ich in der Nacht vor der Abreise, zwischen ihm und mir ist ein riesiges Feuer. Die Pyrenäen brennen und hinter den hohen Flammen winkte er mir hastig zu mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ich sage laut, damit er mich hört, dass ich auf dem Weg zu ihm bin. Er solle auf mich warten. Denn ich kann nicht durch das Feuer gehen. Als ich am Morgen nach dem Traum mit meinem Reisekoffer in der Hand die Wohnungstür abschließen wollte, klingelte das Telefon. Meine Mutter ist war es: Du musste nicht mehr zum Onkel fliegen, er ist diese Nacht gestorben.
Die Jahre vergehen. Träume kommen und gehen immer noch. Sie treiben manchmal auch zum Zweifeln.
Vor 20 Jahre lese ich zum ersten Mal, wie auch der Französische Philosoph Descartes in seinen Schriften erzählt, er habe einen Traum gehabt und im Traum hat ihm eine Stimme befohlen, den Traum aufzuschreiben. Er gehorcht, schreibt seinen Traum auf und gibt ihn den Titel: MEDITATIONEN de prima philosophia. Mit dieser Arbeit legt Descartes seine Promotion ab, die damals als "unwissenschaftlich" abgelehnt wird und bis heute nicht anerkannt worden ist. Doch genau mit dieser (Traum) Schrift schreibt Descartes Geschichte in der Philosophie.
Descartes ist nicht der einzige "Träumer". Auch nicht in der Philosophie. Platon, Augustinus, Hegel, Goethe, Hölderlin, Jung, Freud sind nur einige von den zahlreichen "großen" Träumern, auch wenn jeder von ihnen auf seine Art träumte - und seine Träume in seinen Arbeiten einbaute.
Descartes träumte, jeder Mensch besitzt eine lumine naturali. Ein "geistiges Auge" nennt er diese Kraft. Oder es wird auch als "natürliches Licht" übersetzt. Jeder Mensch, so Descartes, ist im Besitz dieses "natürlichen Lichts". Nur dass bei einigen Menschen das "natürliche Licht" ganz verschüttet ist, bei anderen ist es weniger verschüttet und bei wenigen Menschen kaum verschüttet oder es ist sogar vorhanden. Wie bei ihm selbst, sonst hätte er diesen Text nicht verfassen können, so Descartes. Descartes bringt zahlreiche Erklärungen für dieses Verschüttetsein des "natürlichen Lichtes" vor. Denn es kann möglich sein, dass über Zeiten hindurch, das "natürliche Licht" verschüttet worden ist und Descartes erläutert auch unterschiedliche Wege, um das verschüttete "natürliche Licht" wieder freizusetzen.
Seine kuriose und stark verkürzte Lehre besagt nämlich: das was, das natürliche Licht mir zeigt, kann keinesfalls zweifelhaft sein. Wenn ich in der Lage bin, so Descartes, ohne Zweifel - etwas mit dem natürlichen Licht zu sehen, was Descartes klar und deutlich nennt, und er diesen Begriff auf circa 80 Seiten fast 200 Mal einsetzt, dann ist es wahr. Übertragen wir Descartes "Erkenntnis" einschließlich der formalen Logik samt Termini (Entweder-Oder, Wenn-Dann) auf unsere Träume, erhalten wir eine bemerkenswerte Theorie: wenn ich klar und deutlich träume, ich werde geimpft, dann werde ich geimpft.
Warum, so Descartes, träume ich etwas klar und deutlich, wenn es nicht wahr ist? Denn wenn es klar und deutlich ist, dann ist es wahr und wenn es wahr ist, dann ist es klar und deutlich -und Göttlich, von dem wir das "natürliche Licht" besitzen. Zum Göttlichen kommt Descartes mit einer einfachen (formalen) Logik, wie wir sie aus der Platonschen Philosophie kennen. Den Anfang dieses Gedankenkonstrukts macht Descartes mit dem Zweifel; er zweifelt über sich selbst, das heißt über sein Dasein, über seine Umgebung und die Welt, in der er, wir und Gott leben. Woher da alles wohl kommt? Wer hat alles, einschließlich seiner Person, erschaffen? Descartes versucht diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Denn es muss einer ihn erschaffen haben, denkt Descartes, sonst wäre er nicht da. Doch wenn er sagen kann, ich bin ich, dann muss diese Grundlage eine Ursache haben, glaubt Descartes. Und es kann nur die Kraft ihn, Descartes, erschaffen haben, die er, Descartes, selbst durch das Denken erkennen kann. Weil er, Descartes, die Fähigkeit erhalten hat, seinen Schöpfer (wieder) zu erkennen, gibt es diesen Schöpfer. Doch erkennen kann er, Descartes, den Schöpfer, ihn, das Göttliche, nur, wenn er klar und deutlich, also wenn Descartes mit einem natürlichen Licht ausgestattet ist. Entweder kann er klar und deutlich erkennen, wer sein Schöpfer ist, der ihm das "natürliche Licht" implantiert hat, oder Descartes kann ihn nicht erkennen, dann besitzt er, Descartes, nicht diese "göttliche" Kraft. Da Gott ihn bestimmt nicht reinlegen wollte, so Descartes, muss er davon ausgehen, das Göttliche wollte, dass Descartes ihn erkennt, womit er, Descartes selbst, mit diesem göttlichen Licht ausgestattet ist. So kann er das Göttliche klar und deutlich erkennen, womit das Göttliche wahr ist, oder er erkennt es nicht klar und deutlich, dann ist es nicht wahr - also nicht Göttlich. Ein Gott, der nicht will, dass er, Descartes, ihn klar und deutlich erkennt, kann ihn mit diesem "natürlich Licht" nicht ausgestattet haben, denkt Descartes. Denn welcher Gott würde so etwas wollen? fragt Descartes, ihm nicht die Fähigkeit mitzugeben, Gott zu erkennen? Also….
So setzt Descartes klar und deutlich sein Gedankengebäude in Gang mit einer Unmenge von Wenn-Dann und/oder Entweder-Oder. Bis er bewiesen hat, was von ihm erwartet wurde, so eine Interpretation in der Philosophiegeschichte über die Cartesianischen Meditationen.
Wir wissen mittlerweile sehr gut, dass es mit der Formalen Logik möglich ist, "Wahrheiten" zu verifizieren, die wir nicht akzeptieren können oder wollen, - auch wenn uns ein Sachverhalt immer mit einer (formal)logischen Entwickelung dargestellt und erklärt wird, weil wir das Gefühl haben, "irgendwie gefällt mir das nicht". Doch kaum einer traut sich dieses "trotzdem glaube ich es nicht" laut zu formulieren und die uns servierte und oft einleuchtende "Logik" zu verneinen. Nur das Gefühl, dass "die Sache nicht stimmt", bleibt im Raum schwebend. Wie dem auch sei.
Mit einem einfachen (oder göttlichen) Traum und den gängigen (oder logischen) Begriffen der Platonischen Logik revolutionierte Descartes die Philosophie, auch wenn sich bis heute viele Menschen über dieses (Traum) Denken lustig machen, weil es, so wird argumentiert, Descartes trotz klar und deutlich nicht gelang, seine Todesangst zu überwinden. Im Gegenteil, er ist sogar relativ jung gestorben und er hat seinen Tod anscheinend einige Jahre vorher "gespürt". Doch eines wird dabei immer wieder außer Acht gelassen. Descartes erreichte mit seiner "dekonstruktivistischen Methode", wie diese genannt wird, zwei elementaren Faktoren des menschlichen Dasein zu verknüpfen, so dass keiner seiner Logik widersprechen konnte: auf der einen Seite die "metaphysische Konstruktion" im Menschen, der Glaube, es existiert ein Gott mit der anderen Seite, die der "logischen Struktur" der abendländischen Philosophie, womit der Mensch eine Möglichkeit erhält, zum vernunftbegabten Wesen zu avancieren, wenn er so denkt, wie Descartes das logische Denken darstellt. Mit dieser Methode erlangte Descartes - zumindest für sich selbst - einen Ausweg aus dem Sisyphosdasein.
Nichtsdestotrotz hinterließ Descartes uns mit seiner "Denkkonstruktion" der bestehenden Welt, seines Daseins, als Individuum und der Ursachen alles Daseins, die er mit dem Zweifel zu dekonstruieren begann, klar und deutlich letztendlich den Zweifel, gegen den er doch ursprünglich losgezogen war abzubauen; den Zweifel, ob hinter unseren Träumen doch noch ein "natürliches Licht" existiert, das wir von einer "göttlichen Kraft" erhalten haben, womit Descartes, die Existenz Gottes als bewiesen dachte, damit wir klar und deutlich heuten den Morgen erkennen, indem wir den Morgen bzw. die kommenden Ereignisse träumen, und wir uns am Morgen nach dem Traum fragen müssen: welche Kraft steht hinter diesem "Traum"? Oder war es vielleicht nicht einmal ein Traum? Warum träume ich etwas, was, so wie ich es träume, eintritt und ich keine Macht habe, trotz meines "Wissens" es zu verhindern? Und überhaupt, warum träume ich das Morgen klar und deutlich, wenn es sowieso bereits feststeht und unveränderbar zu sein scheint? Und hat Descartes vielleicht doch recht behalten mit dem "natürlichen Licht" aus göttlicher Kraft? Denn, wenn Menschen existieren, die mit einem "natürlichen Licht" ausgestattet sind, heißt das, dass wir dann die Existenz Gottes affirmieren müssen?
Das kleine Mädchen von damals wusste nichts von dem heutigen Wissen. Nur von der Todesangst getrieben, bewegte sie sich durch die neue Welt, die sich als stumm und oft als feindlich entpuppte. Mit dem ersten Traum in ihrem Leben lernte sie die Todesangst kennen und mit dem fremden Land das Schweigen über die Todesangst auszubreiten. Mit der Gewissheit über die Todesangst bleibt die Ungewissheit, der Cartesianische Zweifel bestehen, über das eigene Dasein und einige Frage offen: Auch wenn Descartes recht gehabt hätte mit der Annahme der Existenz Gottes, was hätten wir damit erreicht? Was hätten wir an Wissen gewonnen, das wir als Erklärung und Rechtfertigung für unser Dasein benutzen könnten?
Wird der Schnee vor meinem Fenster anders, wird sich seine Farbe verändern, seine Konsistenz umwandeln, seinen Sinn verwandeln, wenn ich weiß, dass es einen Gott gibt? Der weiche weiße Schnee wird er mit dem Wissen eines Gottes seine Wirkung auf mich, auf die Straßenbahn, auf das alte Brot in meinem Schrank so beeinflussen, dass ich deswegen mein Leben - grundsätzlich - ändern würde, müsste, könnte? Wozu brauchen wir das Wissen der Existenz Gottes zum Leben oder zum Sterben? Damit wir "ruhig" leben und nicht über den Tod nachdenken zu brauchen, müssen? Was macht dieses (Gottes) Wissen mit uns? Und mit der Welt? Und mit der Todesangst? Zwingt dieses Wissen uns zur Demut oder gibt das Wissen der Existenz Gottes uns Sicherheit, die wir sonst nicht füllen würden, könnten?
Hören wir auf, Fragen "durcheinander" zu stellen und setzen wir unsere Fragen in die Struktur der formalen Logik ein, wie Descartes es tat, bewegen wir uns umgehend in einem "sicheren" Bereich, der dem "gefährlichen" Terrain, das in uns Angst freilegt, außer Kraft setzt. Wir "beruhigen" ein Gefühl von scheinbar menschlicher Unzulänglichkeit, die Angst vor dem Tod, und wir ersticken die Frage nach dem Sinn des Daseins in dieser einen und heutigen Welt aus dieser einen Angst von gestern heraus, die die Kraft für das Morgen nimmt.
Ob es Menschen gibt, die über das "natürliche Licht" verfügen, scheint nicht unwesentlich, sowohl für diese Menschen wie für die Welt zu sein, wenn wir Descartes ernst nehmen. Denn diese Menschen haben der Welt eine Botschaft zu vermitteln. Doch auch wenn sie "ihre" Botschaft nicht dechiffrieren könnten, wären sie mit dem Glauben ausgestattet, ihr Dasein hat einen Sinn, der Beruhigung dieser Todesangst ein Stück näher gekommen. So kann die individuelle Todesangst zum allgemeinen "Schlüsselerlebnis" werden.



Eingereicht am 27. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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