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Vaters Tod

© Greta Jencek


Sein Keuchen und Seufzen wurde immer intensiver und lauter. Er klang, als ob er nach Luft rang, und gleichzeitig keine Kraft mehr zum Einatmen vermochte. Es war sein letzter Kampf. Der Tod siegte. Und wir schauten hilflos zu.
Da lag er nun, mein Vater, leblos, auf einmal kreidebleich geworden, und nur langsam gewann sein Gesichtsausdruck entspanntere Linien. Sein bis auf die Knochen abgemagerter Körper glich einem Fremden. Und dann dieser schwere Duft. Ich zündete eine Kerze an und öffnete das Fenster, obwohl draußen ein eisiger Wind heulte. Jetzt fror er wohl nicht mehr. Die plötzlich eingetretene lautlose Stille erregte einerseits Gottesfurcht, doch gleichzeitig Hoffnung. Das konnte doch nicht das Ende gewesen sein. Einfach so?
Beklommen saßen wir an seinem Bettrand: sein jüngster, auf einmal erwachsen gewordene Sohn, seine Frau, jetzt erschütterte Witwe, und ich. Alle benommen, sonderlich ruhig und tränenlos.
Wie lange wir wohl so saßen, kann ich heute nicht mehr sagen. Dann fasste Mutter den Mut und schickte uns aus dem Zimmer. Sie zog ihn ein letztes Mal aus und wusch ihn lange. Das Anziehen schaffte sie dann doch nicht mehr alleine. Mit jeder Minute war sein Körper steifer und schwerer und kälter. Auf seine ruhende Brust legten wir Zyklamenblüten. Er mochte sie am liebsten. Er bekam sie vor einem Monat von seinen Enkelinnen zum 60. Geburtstag geschenkt.
Dann begann das Telefonieren. Zuerst den Arzt. Er wollte sehen, ob er vielleicht doch nicht eines gewaltsamen Todes gestorben war. Dann seine zurückgelassenen Geschwister. Sie brachen schon am Telefon in Tränen aus. Danach die nächsten Nachbarn. Sie wollten sich gleich noch ein letztes Mal von ihm verabschieden kommen. Und zuletzt die Bestattungsanstalt. Der Bestatter war gleich da. Er kam alleine.
Der Sarg, den er mitbrachte, passte nicht ganz durch die Haustür. Da stellte er ihn hin, in den Flur hinein, soviel es eben ging, der andere Teil ragte zu den Außentreppen hinaus. Das Schlafzimmer, in dem Vater sein letztes halbes Jahr Ruhe finden versuchte, war weit. Jedenfalls kam es mir so vor, als wir ihn in sein Betttuch wickelten und in sein vorletztes Lager trugen. Ich hoffte, er konnte uns da, wo er jetzt wohl war, nicht zusehen, denn der Anblick auf seine Entsorgung hätte ihn bestimmt zutiefst verletzt. Auch wenn er die letzten Monate tapfer und klaglos alles über sich ergehen ließ.
Worüber er wohl in der Zeit nachdachte, frage ich mich heute noch oft. Acht Monate ohne eine einzige Frage zu stellen, dass muss man sich erst mal vorstellen. Wir waren früher wie eine sizilianische Familie, laut und cholerisch. Besonders er fand oft ein Haar in der Suppe und sein Dickkopf war fast schon sprichwörtlich. Was ist also in ihm vorgegangen, als er schwieg?
Es kam auch kein Gejammer. Keine einzige Klage. Die Schmerzen, die er wohl gelitten hatte, verschwieg er ebenso wie seine Ängste. Er war nur noch Liebe, ein stiller Beobachter von allem, was er schuf und was ihm Wert war. Er war Vergebung und Versöhnung. Er war Frieden, Ruhe und Harmonie. Er war all das, was er bis jetzt noch nie gewesen war.
Wenn ich heute nach einem Monat mit den Kindern an seinem Grab stehe und die Buchstaben seines Namens in den Grabstein geschliffen sehe, wenn die Kerzen auf der noch feuchten Erde brennen und frische Blumen daneben liegen, fasse ich Gottes Plan immer noch nicht. Diese irdische Endlichkeit, dieses andauernde Abschiednehmen, dieses Leiden. Wozu? Dann kommt der Entschluss: ich leiste Widerstand. Ich widersetze mich den haltlosen und unverständlichen Regeln des Allmächtigen, indem ich Vater einfach weiter leben lasse. Zumindest in meinem Herzen.



Eingereicht am 25. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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