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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Krisenmacher

© Jutta Lauer


Als ich ihn kennen lernte, kam er mir ganz normal vor. Vielleicht gab er sich ein bisschen zu betont leger. Seine Haare waren einen Hauch zu lang, seine Jacke eine Idee zu abgewetzt, aber es stand ihm. Es gab ihm sogar ein gewisses Flair. Eigentlich gefiel es mir. Also erwiderte ich sein Lächeln und unterhielt mich mit ihm. Das Gefallen schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen - er tauchte in den nächsten Tagen immer wieder in meiner Buchhandlung auf. Ohne jemals etwas zu kaufen allerdings. Auch das gefiel mir, er tat eben nichts aus reiner Höflichkeit, nur um des guten Benehmens willen.
Ein gute Woche später kam neuer Schwung in unsere junge Bekanntschaft: Er fragte mich, ob ich Lust hätte, mich mit ihm zu treffen. Ich hatte Lust, oh ja. Die Gespräche mit ihm hatten mir von Anfang an Spaß gemacht. Er war intelligent und auf eine etwas sarkastische Art witzig - außerordentlich attraktiv. Also verabredeten wir uns für den Samstagabend.
Wir wollten uns vor meinem Laden treffen, da waren wir schon mitten in der Stadt. Ich überlegte ziemlich lange, was ich anziehen sollte. Eher locker, dachte ich zuerst. Wahrscheinlich würde er ja auch nur in T-Shirt und Jeans auftauchen. Schließlich zog ich dann doch mein schwarzes Lieblingskleid an, ich gefiel mir darin und ich hatte keine Lust, wie Aschenputtel neben ihm herzulaufen, falls er seine Outfit-Gewohnheiten von Zeit zu Zeit änderte.
Aber schon von weitem sah ich, dass er eben das nicht tat - dieser Mann blieb sich selbst treu! Nur trug er dieses Mal auch noch eine etwas verblichene Baseballkappe.
Zuerst liefen wir ein wenig durch die Stadt und ich genoss das interessante, witzige Geplänkel zwischen ihm und mir. Bald waren wir beim "du" angelangt. Ein wenig später fragte er mich, ob ich vielleicht Hunger hätte. "Ja", sagte ich und freute mich darauf, mit ihm ein gutes Essen und ein Glas Wein zu genießen. "Isst du gern griechisch?", wollte er wissen. "Und ob", antwortete ich.
Er führte mich in die Geschäftspassage und da es erst kurz vor acht war, hatten die Läden noch geöffnet. Auch das griechische Feinkostgeschäft. "Warte hier, ich bringe uns was Leckeres mit!", versprach er und ging zielgerichtet darauf zu. Ich stand vor dem Reisebüro und genoss den Anblick der Palmenstrände auf den Prospekten im Schaufenster bis er wieder neben mir stand. In der Hand hielt er eine Serviette mit Oliven mit Knoblauchfüllung und mit Scampi-Häppchen. Jedes hatte einen kleinen Piekser, fertig zum Zugreifen. Ich fand es etwas ungewöhnlich aber auch ganz interessant. Mit Appetit verspeiste ich die Hälfte der Häppchen, als eine laute Stimme an mein Ohr drang. Der sonst immer so nette Besitzer des Ladens sprach in ungehaltenem Ton mit zwei Frauen, die vor seiner Theke standen. Dabei hielt er den leeren Teller hoch, auf dem immer die Probierhäppchen für seine Kunden standen. Ob die beiden Damen etwa einfach alles aufgegessen hatten? Was es so alles gab! Jetzt schaute er in unsere Richtung. Ich nickte ihm freundlich zu, schließlich gönnte ich mir ab und zu etwas Gutes bei ihm.
"So, das war die Vorspeise", lenkte mein Begleiter mich ab. "Ich hätte jetzt Lust auf was Italienisches."
Also verließen wir die Einkaufspassage und peilten meinen Lieblingsitaliener an, zwei Straßen weiter. Es begann langsam zu dämmern, wir schlenderten an zwei Straßenmusikanten vorbei, die russische Lieder sangen und dazu Balalaika spielten und ich fühlte mich richtig wohl. Im Restaurant setzten wir uns an einen Tisch für zwei in einer gemütlichen Nische. Wir plauderten, aßen und tranken dazu Rotwein. Die Zeit verging wie im Flug und wir beschlossen, an diesem schönen Abend noch einmal ein wenig spazieren zu gehen. Doch vorher verschwand mein Begleiter - wie ich glaubte - in Richtung Toilette. Ein paar Tische weiter rief jemand nach dem Kellner um zu zahlen. Daraufhin hörte ich eine vertraute Stimme, beugte mich vor und spähte neugierig um die Ecke. Ich traute meinen Augen nicht: Mein interessanter neuer Bekannter stand mit einer Serviette über dem Arm vor einem der Tische und nannte dem Paar, das da saß, eine beeindruckende Summe, die er kassieren wollte. Ohne darüber nachzudenken, was ich tat, sprang ich auf, riss ihm den Geldschein, den er gerade bekommen hatte, aus der Hand und gab ihn seinem rechtmäßigen Besitzer zurück. Dann zog ich meinen unkonventionellen "Freund" hinter mir her aus dem Restaurant. Im Vorbeigehen warf ich einen 50-Euro-Schein auf unseren Tisch und war froh, an der frischen Luft und der peinlichen Situation entflohnen zu sein.
Draußen schien er sehr zerknirscht. Er hätte im Moment nicht so viel Geld, hätte mich aber doch eingeladen. Sobald er wieder bei Kasse wäre, würde er seine Schulden sofort bezahlen.
Wir vertraten uns sozusagen noch einmal die Beine, ich ging im Sturmschritt voran, er lief hinter mir her und entschuldigte sich. Ich spürte, wie es in mir brodelte. Ich würde mich in mein Auto schwingen, nach Hause fahren und das ganze so schnell wie möglich vergessen. Vorbei der schöne Abend.
Als wir an den Straßenmusikanten vorbeikamen, um die einige Zuhörer standen, hielt er mich an der Schulter fest und sagte leise: "Warte."
Unglücklicherweise blieb ich tatsächlich stehen. Was dann geschah konnte ich kaum glauben: Er nahm seine Mütze ab, platzierte sie ein Stückchen vor dem Hut, den die beiden jungen Russen für ihre Einnahmen aufgestellt hatten, stellte sich daneben und sang ziemlich falsch einen selbst erdachten Text zu der romantischen Balalaikamusik. Tatsächlich waren zwei Passanten dumm genug, einige Münzen in die Baseballkappe zu werfen. Die Musik verstummte und ich vernahm unfreundliche russische Worte, deren Bedeutung ich zu meinem Pech zufällig verstand. Schnell schnappte der falsche Russe seine Kappe, packte mich an der Hand und zog mich davon. Zwei Ecken weiter blieb er stehen und hielt mir seine Einnahmen entgegen. "Hier", sagte er. "Das ist die erste Rate. Lädst du mich jetzt noch auf einen Kaffee bei dir ein?" Ich hörte mich selber unfreundliche deutsche Worte schreien, die mit Sicherheit jeder um uns herum verstand. Dann warf ich ihm sein Kleingeld ins Gesicht und rauschte davon.
Während der nächsten Wochen mied ich die Einkaufspassage und verkniff mir die griechischen Leckereien. Ich scheute davor zurück, auch nur an dem italienischen Restaurant vorbeizugehen. Die russischen Straßenmusikanten hatten sich zum Glück einen anderen Platz gesucht. Ich stürzte mich in meine Arbeit, verbrachte während der nächsten Monate noch mehr Zeit in meinem Laden als sonst.
Eines Morgens hatte ich Besuch von einem Verlagsvertreter, der mir einige aktuelle Neuerscheinungen vorstellte. "Dies hier ist ein potentieller Bestseller", hörte ich ihn sagen. "Sehr interessant und obendrein noch unterhaltsam und witzig. Der Mann ist herumgereist und hat ganz verschiedene Menschen in die unmöglichsten Situationen gebracht. "Krisenexperiment" nennt man so was im Fachjargon. In dem Buch erzählt er davon und analysiert die Verhaltensweisen der Leute."
Ich nahm das mir dargebotene Exemplar zur Hand, drehte es um, um den Klappentext auf der Rückseite zu lesen und schreckte geradezu zurück: Mit einem fröhlichen Grinsen blickte mich von einem Foto mein ungewöhnlicher Begleiter jenes unbeschreiblichen Abends an! Ich rang möglichst unauffällig um Fassung als ich begriff, was mir passiert war: Ich war Teil der Recherchen zu diesem Buch gewesen. Sonst nichts.
Ich lauschte halbherzig den Ausführungen des Vertreters und sehnte das Ende seines Besuchs herbei. Als ich ihn schließlich an der Tür verabschiedete kam mir ein Gedanke. "Kann man den interessanten Herrn mit diesen Krisensituationen vielleicht für eine Autorenlesung gewinnen?", fragte ich den arglosen Vertreter. "Aber ja, so was macht er richtig gern", kam die freundliche Antwort.
Kein Zweifel, ich würde ihn einladen. Aber nicht nur ihn - auch den griechischen Feinkosthändler. Und den Inhaber meines ehemaligen italienischen Lieblingsrestaurants. Es würde schwierig sein, die russischen Straßenmusikanten ausfindig zu machen, aber wer weiß? Und dann, dachte ich voller Vorfreude, dann würden alle Anwesenden einige hochinteressante Einblicke in das Verhalten erfolgreicher Buchautoren in ungeahnten Krisensituationen gewinnen. Dafür würde ich sorgen.



Eingereicht am 23. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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