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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Alles Anders

© Daniel Stroux


Ein Mann hatte einen Job. Er ließ sich krankschreiben und ging Schi fahren.
Ein Mann war homosexuell. Er war einsam und ging zu einem Fußballspiel.
Eine Frau fühlte sich vernachlässigt.
Ein Mann hatte keinen Job. Er entschloss sich sein Leben entschiedener in die Hand zu nehmen.
Ein Mann hatte ein Drogenproblem.
Ein Mann musste sich immer übergeben.
Bei einer Frau klingelte das Handy.
"Hallo? ... Ja hallo Jürgen! ... Gut danke. Ich bin gerade am Schilift. ... Ja, ja ... Du nicht wirklich. Ich meine, vielen Dank für das Angebot, aber, wie gesagt, der Peter und ich möchten diesen Sommer gemeinsam was unternehmen, und, na ja, Du und der Peter, weißt eh ... ja ... aber das wird sicher lustig, ihr werdet's alle einen Riesenspaß haben ... ja ... lso trotzdem vielen Dank, gell. Ok, danke! Ciao!"
Susanne steckt das Handy zurück in die Innentasche ihrer dicken Winterjacke. "Das war Jürgen", sagt sie zu Peter, ihrem Freund, der neben ihr auf dem Doppelsessellift sitzt.
"Ja, ich weiß ... der mich nicht leiden kann", antwortet er grinsend.
"Als ob Du ihn leiden könntest." Sie zieht ihre Handschuhe wieder an.
"Immerhin bin ich nicht eifersüchtig auf ihn deinetwegen."
"So ein Blödsinn! Der Jürgen und ich sind nur gute Freunde. Schon seit immer. Und das wird sich auch nicht ändern."
Als ob mir das nicht egal ist, denkt sich Peter, sagt aber nichts und steigt aus dem Lift aus.
Er hat Susanne vor einem halben Jahr kennen gelernt und ist gleich mit ihr zusammengekommen. Eigentlich kann er ja alle ihre Freunde gut leiden, nur Jürgen eben nicht, aber das ist dessen Schuld. Und ihren Bruder Gerhard, den hat er noch immer nicht kennen gelernt.
"Auf geht's, stürzen wir uns runter!"
Gerhard hat ein Problem: Er ist homosexuell. Das Problem dabei ist, dass er keinen Partner findet. Den hätte er aber so gerne. Vor einem Jahr hat er sich Familie und Freunden gegenüber geoutet, aber das hat ihm auch nicht mehr Bekanntschaften eingebracht. Vor kurzem hat sein bester Freund Flo, heterosexuell, einen gleichaltrigen (jungen) homosexuellen Mann kennen gelernt, den er mit seinem Kumpel verkuppeln will. Der Mann heißt Andrej und liebt Fußball (was Gerhard gleich suspekt vorkam). Jetzt gehen die drei also zu einem Fußballspiel. Gerhard beobachtet Andrej, sieht wie dieser schreit, grölt, klatscht, rülpst und furzt (wahrscheinlich). Nach 90 Minuten ist das Spiel gelaufen, Andrej ist nichts für ihn. Obwohl, gut sieht er schon aus. Sie stehen schon bei der Straßenbahnhaltestelle und Gerhard mustert Andrej, Andrej starrt Markus an, Flo schaut zum lieben Herrgott, der liebe Herrgott grad woandershin. Markus bemerkt Andrej - nicht gut.
Markus, Grete, Richi, Bockerl, Nora, Sylvester und Johannes sitzen in einem Lokal. Sie kommen gerade vom Fußballspiel und sind schon ziemlich angeheitert, aber es soll noch weitergehen. Einige haben konkrete Pläne: Johannes, der heute eine Entscheidung getroffen hat, will Grete, Markus' Freundin, verführen; Sylvester weiß, er wird sich wie immer übergeben; die anderen haben hauptsächlich Bier, Wein und Koks im Sinn. Markus fängt gerade an, seinen unvergleichlichen Humor zum Besten zu geben: "Hey Sylvester! Wenn wir noch einen Nikolaus und ein Christkind hätten, wärt ihr das perfekte Trio!" Lautes Gelächter seinerseits und von Richi, der immer und bei allem mitlacht. Grete verzieht ihr Gesicht, was Markus noch mehr freut.
"Entschuldige. Erzähl weiter", sagt sie zu Johannes.
"Ja, ich bin also beim Jobinterview gesessen und war total nervös. Und ich glaub' deswegen hat's nicht hingehaut, weil von meinen Qualifikationen her hätte ich den Job bekommen müssen. Und ... ich habe mir dann nachher gedacht, dass ich von jetzt an direkter zu den Leuten sein werde, und ihnen sag', was ich mir denke, weil ... das heute war echt ein Scheiß, so was will ich nicht noch mal erleben." Er verwendet seine tatsächlichen heutigen Gedanken gleich als gute Taktik; Johannes hat immer eine Taktik um eine Frau zu verführen.
"Ich finde das gut, dass Du irgendwie positive Schlussfolgerungen aus dem Ganzen ziehst. Ich meine, Du hast Dich schon immer ein bisschen gehen lassen, ohne Job und so."
"Mm. Ja, ich weiß" (sagt er, und 'Hä?' denkt er).
"Dabei bist Du eh so gescheit."
Johannes antwortet mit einer bereits erprobten Verlegenheitsgestik. Er schaut, ob auch niemand zuhört.
Grete fragt ihn: "Willst Du nachher noch etwas zum Plaudern dableiben, wenn die Anderen zum Richi 'weißt-schon' gehen? Ich muss nicht immer dabei sein, wenn der Markus sich das Zeug reinhaut."
Zu perfekt. So was Ähnliches hat Johannes gerade selbst vorschlagen wollen. Nachher kann er dann den zweiten Teil seiner Taktik anwenden.
"Ja, sehr gerne!"
Er erschrickt wegen dem Lachen am Tisch.
Wieso er Gerhard noch nicht kennen gelernt hat, weiß Peter nicht. Susanne hat an und für sich intensiven Kontakt mit ihrem Bruder, aber etwas scheint seltsam. Erst einmal scheint sie sich irgendwie für ihn zu schämen. Peter vermutet, dass es damit zusammenhängt, was Gerhard (beruflich?) macht. Was das ist, weiß er aber gar nicht. Und zweitens scheint Gerhard selbst seltsam, er kennt ihn zwar nur von einem Foto, auf dem er recht sympathisch lächelt, aber irgendwas hat Peter an dem Gesicht verunsichert. Es ist irgendwie unschuldig, aber macht ihn doch bang. Nein, diese Empfindung muss mit dem komischen Verhalten Susannes hinsichtlich ihres Bruders zusammenhängen, er will gleich mal nach der Ursache fragen, will gleich fragen, was Gerhard mit seinem Leben eigentlich tut, gleich jetzt, so sehr bohrt ihn die Frage.
Das hätte Peter auch bestimmt gemacht. Wenn der Baum nicht in den Weg gekommen wäre. In seiner Geistesabwesenheit hat er während dem Schifahren ein Kind übersehen, konnte ihm gerade noch ausweichen und ist im Wald am Pistenrand gelandet.
So ein Dreck.
Jetzt liegt er nicht mit 40 Grad Fieber im Bett, wie sein Chef glaubt, sondern mit einem lächerlich verdrehten Fuß im Schnee. Wie das jetzt wird, zwei Stunden mit Schmerzen zurück nach Wien und dort in ein Krankenhaus zu fahren, um diesen Vorfall zu vertuschen, will Peter sich erst gar nicht vorstellen. Wenigstens hat er Zeit, um sich eine Ausrede zu überlegen.
Markus hat Andrej's Blick also bemerkt - sehr schlecht.
Betont stark verärgerte Frage: "Wieso starrst Du mich so an, Du blöde Schwuchtel?"
Gerhard schaut von Andrej zu dem Unbekannten, weiß zwar nicht, dass der ein Bastard ist, sieht aber, dass er ein unglaublich gut aussehender Bastard ist, und sagt, ohne es wirklich zu wollen: "Weil Du ein unglaublich gut aussehender Bastard bist!"
Zwei Sekunden später liegt er mit schiefer, blutiger Nase am Boden, Markus' Freunde ziehen diesen Vorwürfe machend weg, Andrej muss grinsend zu einem Termin, und Flo fährt Gerhard ins Krankenhaus.
Dabei lachen sie nur, weil Sylvester wie immer vor die Tür kotzen gehen muss. Kurze Zeit nachdem er rausgetorkelt ist verabschiedet sich auch der Rest der Gesellschaft, um sich bei Richi "die Nase zu pudern, haha!"
Johannes wartet nicht lange mit der Fortsetzung seiner Taktik: "Du, Grete, das habe ich ernst gemeint, dass ich ab jetzt den Leuten sagen will, was ich von ihnen denke. Und ... eigentlich will ich gleich bei Dir anfangen ... (Pause, tiefer Blick in die Augen) ... Du hast was Besseres als den Markus verdient ... Du bist so lieb, und attraktiv (sie lächelt!! sie lächelt wie die Sonne!! he, das ist gut ... ) ... und Dein Lachen ist wie die Sonne." Beide lachen. Noch mal ein gekonnter Blick in ihre Augen: "Ich stehe unglaublich auf Dich."
Grete ist nicht überrascht, tut aber ein bisschen so, und kurz darauf gehen sie sich umarmend und knutschend zu Johannes' Wohnung. Was Sylvester, der noch immer im Schatten neben den Stiegen zum Lokal in seiner Kotze liegt, sieht.
Sieht's, versteht's, geht zu Richi's Wohnung und verkündet es.
Zeit verändert. Also eigentlich verändert die Zeit selber nichts. Sie vergeht nur. Es ist erstaunlich in wie kurzer Zeit sich alles verändern kann; und wie lange wir manchmal brauchen diese Veränderungen zu akzeptieren. - Denn kein Spruch ist zutreffender als 'die Zeit heilt alle Wunden'. Die Zeit heilt sie. Immer. Man gewöhnt sich, passt sich an. Bewegung ist das Schlagwort.
Bewegen tut Peter sich nun nicht gerade. Er liegt mit dem Telefon in seiner Hand auf dem Bett, fühlt seinen gebrochenen Fuß und lächelt. Zur gleichen Zeit liegt auch Gerhard auf einem Bett, spürt wie das Blut in seiner bandagierten Nase pocht und freut sich. Der Grund der Freude der beiden ist tatsächlich, dass sie gemeinsam in einem Bett liegen.
Peter muss an den letzten Abend zurückdenken. Susanne war vom Krankenhaus gleich weitergefahren um die Schi nach Hause zu bringen, und er hatte im Aufnahmeraum der Unfallambulanz warten müssen. Da hatte er Gerhard erblickt. Trotz des Blutes im Gesicht und der witzlos schiefen Nase erkannte er ihn sofort. Sie schauten sich gleichzeitig an. Peter kam aus dem Staunen nicht heraus, dass er ausgerechnet der Person, wegen der er diesen Unfall eigentlich gehabt hatte, hier begegnete. Und Gerhard sah nur einen attraktiven Mann neben sich sitzen, der ihn ganz unverschämt anstarrte. Peter gingen tausend Gedanken durch den Kopf als ihm der Bruder seiner Freundin sanft einen Kuss auf die Lippen drückte. Er wollte ihn fragen, ob er verrückt sei, ihn beschimpfen, sei's drum, auch wenn's der Bruder seiner Freundin war, der Bruder Susannes! Susanne ... Susanne? Was war eigentlich mit Susanne? ... Sei''s drum? - auch wenn's ... der Bruder seiner Freundin war? In diesem Moment wurde ihm klar, was ihn an Gerhards Foto so fasziniert hatte; ja, was ihm die letzten Jahre oder vielleicht sein ganzes Leben lang immer gefehlt hatte, weswegen es nie ganz perfekt gewesen war, selbst in den schönsten Augenblicken. Gerhard genierte sich für den etwas seltsamen Gesichtsausdruck auf des anderen Mannes Gesicht, aber er küsste ihn noch einmal, und jetzt wurde sein Kuss erwidert.
Und Peter schmeckte das Blut auf Gerhard's Lippen, und Gerhard bekam eine unglaubliche Erektion, und die 52-jährige Krankenschwester seufzte auf.
Sie hatten es Susanne gleich gesagt. Sie hatten sich gefunden, und irgendetwas zu verschweigen oder zu verheimlichen hätte nur mehr Leid herbeigeführt.
Sie lächeln sich gegenseitig an. Das Telefon klingelt. Peter weiß, wer dran ist.
"Hallo?"
"Heeeeerr Sachrutin! Die Frau Gertrud hat mir schon alles erzählt, und ich glaub' Ihnen kein Wort!! Sie liegen mit 40 Grad Fieber im Bett und brechen sich dabei einen Fuß, oder? So einen Scheiß können Sie wem andern erzählen, und zwar einem neuen Chef, und zwar ab heute!!! Herr Sachrutin, Sie sind mit sofortiger Wirkung entlassen! Ich will Sie nur mehr einmal hier sehen, und zwar wenn Sie ihre Sachen holen!! Grüß Gott!!"
Damit legt der ehemalige Chef auf, überlegt kurz, und während er schon wieder eine neue Nummer wählt, hält Peter noch immer lachend den Hörer in der Hand.
"Bei Predereck."
"Guten Tag, spreche ich mit Herrn Predereck persönlich?"
"Ja."
"Schönen Tag, Herr Predereck! Hier spricht Mag. Keinfeld von der SEZN. Es geht um die Anstellung, um die Sie sich gestern beworben haben. Wir haben uns da geirrt, es ist noch eine Stelle frei und ich würde mich sehr freuen, Sie bei uns begrüßen zu können, Herr Predereck."
"Großartig! Sehr gerne!"
"Na, dann kommen sie gleich Montag nächster Woche mit allen Unterlagen vorbei ..."
Johannes kann es nicht fassen. Als ob der Abteilungsleiter seine Postinterview - Entscheidung, sein Leben entschlossener anzugehen, gespürt hat - die positive Stimmung. Er will sofort Grete anrufen, sie hat ihn frühmorgens verlassen. Es war eine tolle Nacht, und sie haben sich tatsächlich darauf geeinigt etwas Ernstes miteinander zu beginnen. Grete wird Markus also verlassen.
Johannes hat ihre Nummer schon gewählt. Nach langer Zeit endlich: "Ja?"
"Hallo Grete! Hier spricht Johannes! Stell' Dir vor, die Firma, bei der ich mich gestern beworben habe, hat ihre Meinung geändert, ich krieg' den Job!"
"Das ist super, Johannes. Ich ... ich kann nur jetzt gerade nicht wirklich reden." Na, begeistert klingt sie ja nun nicht gerade.
"Was ist denn los?"
"Es ist nichts, es ist ... der Sylvester hat uns gestern vor dem Lokal gesehen ... und hat das dem Markus erzählt, und ... und der hat sich umgebracht." Die letzten Worte hat sie nur noch mühsamst unter starkem Geschluchze hervorgebracht. - kurze Pause, dann: "Der Markus hat sich umgebracht?"
"Ja."
Johannes kann sich Grete vorstellen wie sie jetzt gerade verheult beim Telefon sitzt - und sie tut ihm Leid. Und er tut sich Leid. Da hat ihm Markus also tatsächlich noch reingeschissen.
"Wir müssen uns sofort treffen! Wo willst Du Dich treffen?"
"Nein! Die Polizei ist gerade hier, und sie haben Kokainreste entdeckt, und jetzt werden sie alle Bekannten vom Markus befragen ... es ist besser wir sehen uns nicht mehr ... überhaupt nicht mehr." Und damit legt sie auf.
Johannes kann es nicht fassen. Er presst die Hand ans Gesicht und schreit; springt auf und beschimpft die Wand. So nicht. Er hat sein Leben besser in die Hand nehmen wollen, und das soll jetzt auch funktionieren. Er nimmt sein Adressenbuch, sucht kurz darin, wählt dann eine Nummer - besetzt. "Scheißeeeee!!!" Er knallt den Hörer auf die Gabel. Sein Leben entschiedener in die Hand nehmen - so was kann man sich vornehmen, so was funktioniert aber nicht. Das Schicksal fickt einen immer wieder.
Der Grund, warum die Leitung besetzt ist, ist, dass Susanne gerade selber jemanden angerufen hat: "... ja, schön. Auf alle Fälle wollte ich Dich fragen, ob ich im Sommer noch mit Euch mitfahren könnte? ... Ja? ... Du gehst heute Nachmittag buchen, ok, super ... äh, alles anders ... ich ... äh, ja, ein anderes Mal, wenn's Dir recht ist ... Okay, danke Jürgen ... ja ..."
Ein Mann hat keinen Job. Er hat sich den Fuß gebrochen und ist deswegen homosexuell (oder umgekehrt?).
Ein Mann ist homosexuell. Seit er eine schiefe Nase hat, ist er nicht mehr einsam.
Eine Frau fühlt, dass sie jemanden vernachlässigt hat.
Ein Mann hat einen Job. Er wird sich in Zukunft sehr gehen lassen.
Ein Mann muss sich immer übergeben.
Eine Frau legt den Hörer auf.



Eingereicht am 23. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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