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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Menschenkinder

© Ingrid-Marie Tauscher


Morgens, der Regen prasselte gegen die Fensterscheibe, mein erster Blick aus dem Fenster verriet mir, dass ich auch diesen Tag in einem tristen Grau verbringen würde. Langsam bewegte ich mich aus meinem Bett, zog meinen Morgenmantel an und stellte die Espressomaschine an. Während die Maschine warm lief, schaute ich auf die Menschen, die unterhalb meines Fensters die Straßenkreuzung überquerten. Wieder ertappte ich mich dabei, in Gedanken darüber nachzudenken, ob ich lieber dieses Leben oder das eines anderen leben wollen würde. Wiederum kam ich zu dem Entschluss, dass mein Leben, das bessere wäre. Denn andererseits kannte ich mein Leben und wusste vorauf ich mich einließ. Hingegen mit einem anderen das Leben tauschen, wer weiß wo ich da hinkäme, positiv wie negativ betrachtet. Die Espressomaschine blubberte und verriet mir, dass sie nun bereit wäre, für eine doppelte Portion Espresso Kaffee. Leider sah mein Brotkasten genau so leer aus, wie sich mein Magen anfühlte und das Knurren meines Magens ließ verlauten, dass ich mich um ein ausgiebiges Frühstück kümmern sollte. Also schlupfte ich schnell in meine Jeans, zog ein T-Shirt über, knüllte meine Haare zu einem Dutt zusammen und warf als letztes meinen Anorak über. Blitzschnell durchfuhr mich der Gedanke noch schnell den Müll zusammen zu packen und dann ab wie nichts zum Bäcker um die Ecke. Die Haustür fiel ins Schloss und ich stand mitten im Regen. Es war kein kalter Wintertag, eher einer von diesen klammen, niesseligen und nebligen Tagen, die einen dazu veranlassten den lieben langen Tag im Bett zu verbringen. Bepackt mit dem schweren Müllsack ging ich zu den Müllcontainern. Auf meinem Weg kam mir eine Mutter mit zwei Kindern entgegen. Erstaunt über die stattliche Größe der Frau, sie war ca. ein Meter Neunzig groß, blieb mein Blick heften an ihrem älteren Sohn.
Während die Mutter das jüngere Kind in einer Karre schob, machte sich ihr älterer Sohn daran, der Mutter den letzten Nerv zu rauben. Er warf das Brötchen, welches seine Mutter ihm vorher gegeben hatte, inmitten der Hecke, die zwischen den Müllcontainern stand und grinste seiner Mutter unverblümt ins Gesicht. Wie frech, dachte ich und vor allem schon in dem Alter. Der Größe nach zu vermuten, war der Junge vielleicht höchstens drei Jahre alt gewesen. Eben seitdem es diverse Sendungen über Hilfsmütter im Fernsehen gab, war mir klar, dass nicht jedes Kind ein Sonnenschein war und dennoch vertrat ich die Meinung, wie der Herr so sein Geschirr. Normalerweise sagte man so etwas natürlich nur von Hunden und seinen Haltern, doch auch ein neugeborenes Kind, lernt zuerst von seinen Eltern. Langsam ging ich die Straße hinunter an meinem Haus vorbei, über die große Hauptverkehrskreuzung, weiterhin zum Bäcker. Dort kaufte ich mir und vor allem meinem mittlerweile brüllenden Magen, die wohlverdiente Portion Frühstück, die mich aus dem Haus getrieben hatte. Wieder an der Kreuzung angekommen, sah ich dieselbe Mutter mit ihren Kindern, mir entgegenkommen. Ich musste über die Mutter schmunzeln. Ob ich wohl auch ein Nervenbündel meiner selbst sein werde, wenn ich Kinder besäße?! Die Frage war mir schon oft durch den Kopf gegangen, doch bisher konnte ich sie klar mit Nein beantworten. Na klar, unbeteiligt war man ja oft schon schlauer gewesen, bis man selber die Erfahrung gemacht hatte. Ich war immer noch verblüfft. Nicht über die Mutter. Nein, über ihren Sohn. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich diesen kleinen Bengel, für einen Schabernack-gütigen Kobold gehalten. Ich war begeistert! Dieses kleine Menschenkind hatte doch tatsächlich schon so etwas wie einen gereiften Geist, zumindest kam es mir so vor, als sich unsere Augen trafen. Ich überquerte die Kreuzung und die Familie auf der anderen Seite, tat es mir gleich. Der Junge hielt in seiner Hand ein Fahrradschloss, welches er in der Luft hin und her wirbelte. Meine Augen trafen seine und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, er würde mir das Fahrradschloss um die Knie schleudern. Seine Augen trafen meine und als hätte er meine Gedanken lesen können, verzog sich sein spitzbübisches Lächeln zu einem unschuldigen, das aussagte, er könne keiner Fliege etwas zu Leide tun. Ich war parallelisiert. Wie konnte dieser kleine Mensch, schon soviel Ausstrahlung und Witz besitzen. Der Tag der so trist und grau anfing, hatte für mich an diesem morgen eine eigenartige Bedeutung. Fragen, wie vorher kommen wir und woher die Seele eines Menschen stamme, sprudelten, während dieser kurzen Begegnung auf der Kreuzung, durch meinen Kopf. Während ich langsam und mit einem breiten Grinsen, an dem kleinen vorbei ging.
Herausgerissen aus meinen Gedanken, durch einen gellenden Schrei, sah ich im Blickwinkel, wie die Mutter des Jungen sich umdrehte und ihn aus Leibeskräften anbrüllte. Sie hatte genug von seinen Eskapaden. Während ich eben noch geschmunzelt hatte, über die Charakterzüge des dreijährigen, überkam mich jetzt ein gemischtes Gefühl. Einerseits tat mir die Mutter aufrichtig Leid, sie schien schier überlastet und auch ihr brüllen, schien ihr emotional keine Erleichterung zu verschaffen. Sie sah noch verzweifelter und frustrierter aus als vorher. Die Augen des kleinen Jungen weiteten sich genauso vor Schrecken, wie meine eigenen vor Erstauen des emotionalen Ausbruchs der Mutter. Ich kam auf der anderen Seite der Straßenkreuzung an und dachte noch eine lange Zeit an diesem Tag über die Begegnung mit dem kleinen Jungen und seiner Mutter nach. Waren wir eine kinderfeindliche Gesellschaft, die Interessen der Mütter nicht wahrt und sie mit der Belastung alleine stehen ließen? Hatten wir es nicht anders verdient, als von sensationslüsternen Medienanstalten, Erziehungstipps in Sachen Kindererziehung zu erhalten? Wie sollte ein kleiner Mensch lernen, was individuelle Entfaltung ist, wenn im Vordergrund ein funktionierendes Gesellschaftssystem stand, das von einem erwartete den gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen… Wie gesagt, lange dachte ich noch darüber nach und kam letztlich zu dem Schluss, dass wir alles Menschenkinder sind. Und lernen müssen, dass auch die Integrität eines einzelnen genauso wichtig war, wie unsere eigene. Denn wie sagt ein Sprichwort: Man erntet, was man säht. Ich habe mir an diesem Tage vorgenommen, genau darauf zu achten, was ich an meine Kinder weitergebe, denn es wird genau das sein, was sie mir wieder geben werden.
Das und nicht mehr.



Eingereicht am 23. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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