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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Rudi

© Barbara Gold


Plakate ragen in die Luft - "Nieder mit dem Schah", "Gegen Verletzung der Menschenrechte in Persien", getragen von einem animalischen Sprechchor mit Tausenden von Beinen.
Ich stehe ihm gegenüber, spüre förmlich die Wut, den Protest, der von ihm ausgeht.
Das alte, mir zur Genüge bekannte Gefühl der Angst ergreift mich langsam.
Betreten senke ich den Blick, schaue an mir hinunter. Wie ich diese grüne Uniform hasse, Polizist - etwas Dümmeres war mir anscheinend damals nicht eingefallen. Gut, es war der letzte Wunsch meines Vaters gewesen meinen Zwillingsbruder und mich im Dienste der Polizei zu wissen, aber trotzdem ...
. Ich hätte mich nicht getraut anders zu handeln, Rudi, mein Bruder, hatte sich wie immer auch diesem letzten Anliegen widersetzt und angefangen, Germanistik in Berlin zu studieren. Seit über einem Jahr hatten wir uns nicht mehr gesehen, was er wohl gerade macht?
Komisch, dass ich genau jetzt an all das denken muss, während meine Kollegen und ich vor der deutschen Oper Tausenden von Demonstranten gegenüberstehen und warten, warten auf die Ankunft des Schahs von Persien.
"Er kommt" - unsanft werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Das Schah-Ehepaar geht abgeschirmt von Polizisten auf die Oper zu - betritt sie schließlich. "SA-SS-Schah" - Ohrenbetäubendes Geschrei bricht los, Farbbeutel, Mehltüten, Tomaten fangen an zu fliegen. Die Aggressionen sind groß, zu viel hat sich in den Minuten des Wartens aufgestaut. Kalter Angstschweiß bildet sich langsam auf meinem Rücken, nur zu gut weiß ich, was nun passieren wird. Ich weiß um die vom Staat bezahlten Schah-Anhänger, gekauft, um die Demonstranten - "mal ordentlich in die Mangel zu nehmen".
"Lebst du noch?"
"Was?" Erschrocken blicke ich zu dem Kollegen neben mir.
"Ich hoffe, sie werden diese Möchtegernweltverbesserer mal ordentlich in die Mangel nehmen."
Ich nicke nur stumm - Gewalt habe ich schon immer gehasst.
Es passiert: Die Schah-Anhänger stürzen sich brüllend in die Menge. Atemlos schaue ich zu, während sie die Demonstranten mit allem nur Erdenklichen - Dachlatten, Schlagringen, Eisenstäben - verprügeln. Minutenlang geht das so, heulen könnte ich vor Wut, eingreifen zu wollen, aber nicht zu dürfen, Wut über meine Feigheit, Wut über die Wut.
"Jetzt dürfen endlich wir ran", vorfreudiges Grinsen breitet sich auf dem Gesicht meines Kollegen aus, am liebsten würde ich mit meiner Faust sein dämliches Lachen zerschlagen.
Vor mir eine Menge aus hasserfüllten Augen und geballten Fäusten, hinter mir Reihen von schlagstockschwingenden Kollegen. Ich fühle mich bedroht - ausweglos. Ich gehöre hier nicht hin, weder zur einen noch zur anderen Seite, bin kein gewaltbereiter Polizist, kein revolutionierender Student.
Ich bin Ich, verloren in diesem Chaos, meinem eigenem Chaos. Hilflos, wütend, allein.
"Du altes Bullenschwein" - Er boxt mir unvermittelt in den Bauch - ich drehe durch. Trete blitzschnell zu, knüpple ihn nieder, meine gesamten Aggressionen entladen sich. Blind für alles um mich herum wird dieser Demonstrant zum einzigen Gegenstand meiner Wut. ER ist an allem schuld, ER hat es verdient, meine Fäuste versinken bei jedem Schlag förmlich in seiner Magengrube, genussvoll lasse ich Schlagstockschläge auf seine Sturmmaske prasseln. "noch-mal, noch-mal, noch-mal, noch-mal, noch-mal, noch-mal" dröhnt es in meinem Kopf im Rhythmus meiner Schläge, es ist wie im Rausch.
Ich will ihm alle Knochen brechen ...
Er stöhnt - es motiviert mich.
Ich sehe Rot -
- rotes Blut das ihm aus der Maske läuft und erstarre. Schock - kann nicht glauben was ich getan habe. Meine Wut ist weg, hat sich in Entsetzten verwandelt. Er liegt regungslos da, habe ich ihn soeben erschlagen? Zitternd ziehe ich ihm seine Maske aus.
Ein Schrei aus meinem Mund: "RUDI"



Eingereicht am 20. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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