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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Tür zu!

© Till Burgwächter


Zu Beginn dieses Textes möchte ich eine Erkenntnis verkünden, die sich zu den meisten Leuten schon herumgesprochen haben dürfte: Der Mensch als solcher ist nicht gerade die größte Erfindung der Weltgeschichte. Ja, schon gut. Selbstgeißelung ist spätestens seit dem Siegeszug der Stupid White Men wieder total angesagt, doch im folgenden Text geht es nicht um Kriege, Umweltzerstörung oder Präsidentschaftswahlen. Die Top Ten der beliebtesten Verfehlungen der menschlichen (Vorsicht, erste Stolperfalle!) Rasse, die ein korrekt ausgerichteter Industrienation-Mittelschichtler zu zitieren hat, bleibt völlig unangetastet. Also auch kein Wort über Lebensmittelskandale oder ethnische Säuberungen. Keine Silbe über die zehn Großkonzerne, die 84,5 Prozent des planetaren Gesamtkapitals besitzen oder kontrollieren (Quelle: frei erfunden). Selbst meine Markenturnschuhe, die in einem Land zusammengenäht wurden, wo sehr junge Menschen bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit sehr lange arbeiten müssen, sind im Moment leider nicht von Belang. Denn für die Ausgangsthese von der menschlichen Blanko-Inkompetenz reicht ein Blick vor die eigene Haustür. Wobei ich an dieser Stelle schon mal vorweg nehmen möchte, dass die Tür eine der großartigsten Erfindungen der Weltgeschichte ist. Sie sorgt für Ruhe, hält Einbrecher, Ungeziefer sowie die Verwandtschaft vom Betreten der Privatgemächer ab und kann sehr dekorativ sein. Okay, wir Menschen können mit Türen nicht richtig umgehen, aber das ist unsere eigene Schuld. Um zu erklären, wie es dazu kommt, muss der Bogen allerdings ein wenig weiter gespannt werden.
Es beginnt wie immer mit dem Fernsehen. Als Mann bin ich (genetisch bedingt) begeisterter Fan von Dokumentationen jeglicher Art und im Rahmen einer solchen habe ich Folgendes gelernt: Der Mensch unterscheidet sich neben seiner Fähigkeit, ansatzweise logisch denken zu können, vom Tier vor allem dadurch, dass er ein Ich-Bewusstsein besitzt. Ich Mensch, du Hund. Das reicht für den Titel Krone der Schöpfung des Monats. In der erwähnten Dokumentation wurde außerdem gesagt, dass Elefanten uns in dieser Hinsicht noch am nächsten kommen. Blickt Gevatter Dickhaut in einen See, so erkennt er, dass ihm da kein Artgenosse aus dem feuchten Nass zuwinkt, sondern er selbst. Das vermuten zumindest die Macher der Dokumentation, die natürlich auch nur Menschen sind. Gerne würde ich diesen Faden jetzt weiterspinnen und allumfassend darlegen, warum genau der Elefant und nicht der Affe und überhaupt, aber leider wurde just in diesem Moment umgeschaltet. Zur Erklärung: Ich lebe mit einer Frau zusammen und als eine solche hasst sie (genetisch bedingt) Dokumentationen und liebt Serien wie "Friends" oder "Sex And The City". Aufgrund dieser andauernden Unterbrechungen sind meine Kenntnisse über jedwede Thematik lückenhaft, was zwar ärgerlich ist, diesen Text jedoch merklich strafft. Kurz zusammengefasst, wir haben ein Ich-Bewusstsein und auf dieser Grundlage entwickelten wir irgendwann nach der großen Eiszeit den Wunsch nach Individualität. Wir erfanden erst die Haus- und später gar die Wohnungstür, während Nashörner oder Kohlmeisen weder die eine noch die andere Errungenschaft zu schätzen wissen. Gut gedacht, schlecht gemacht, denn was sehen wir bei einem Blick aus dem Fenster? Glückliche Menschen, die über den Bürgersteig flanieren und vor jeder Tür dankbar innehalten? Nein, wir erkennen Nachbar Nolte von oben drüber, der dieses Wunderwerk der Technik schon aus großer Entfernung mit missmutigen Blicken traktiert. In der einen Hand trägt Nolte drei voll gestopfte Einkaufstüten, die andere balanciert einen Sixpack Bier. Nun stehen zwischen dem wohlverdienten Spätvormittags-Pils und dem gestressten Mann nur noch je eine verschlossene Haus- und Wohnungstür. Warum stellt er die Einkäufe nicht einfach vor der Tür ab und fingert dann in der viel zu engen Hosentasche nach dem Schlüssel? Warum kennzeichnet er die beiden Schlüssel, die sich so ähnlich sehen, nicht mittels Klebeband oder Eisenfeile, damit er in brenzligen Situationen schnell den passenden Öffner zur Hand hat? Warum versucht Nachbar Nolte, das Schicksal herauszufordern, obwohl er genau weiß, dass er jämmerlich verlieren wird? Weil er ein Mensch ist und keine Kohlmeise. Menschen lassen sich, zumindest so lange sie vor einer verschlossenen Tür stehen, in fünf Gruppen einteilen und mein Nachbar Nolte hat sie mehr oder minder alle durch. Deshalb tragen die nun folgenden Kategorisierungen seinen Namen.
Nolte 1: Der Spieler
Wahllos probiert er einen der beiden Schlüssel aus. Ergebnis: Entgegen der Wahrscheinlichkeitsrechnung wählt Nolte grundsätzlich den Falschen. Dafür ist er live dabei, wenn sich seine Einkäufe, unter anderem frische Eier, einige Becher Joghurt (Kiwi-Banane) und das klebrige Brauereiprodukt, zu einem schmackhaften Eintopf vermengen und sich fröhlich gluckernd in Richtung Rinnstein verabschieden.
Nolte 2: Der Clevere
Mit einer schier unmenschlichen Geistesleistung versucht er, sich an ein Geschehnis zu erinnern, das er mit dem einen oder anderen Schlüsselkandidaten verbindet. So etwas nennt man verknüpftes Denken. Beispiel: "Hatte ich letzte Woche nach der Hodenkrebsdiagnose nicht den minimal kleineren der beiden Schlüssel angeschaut, ihn verflucht und dann die Haustür aufgeschlossen?" Ergebnis: Nolte kommt ins Grübeln, es wird Winter und er erfriert, bevor der Hodenkrebs so richtig ausbricht. Ein weiterer Vorteil: Das Vanilleeis in der Einkaufstüte hält sich so noch eine ganze Weile.
Nolte 3: Der Vergessliche
Obwohl er eigentlich genau weiß, dass seine Ehefrau noch für zwei Wochen auf einer Schönheitsfarm in Sachsen-Anhalt weilt, versucht der verzweifelte Mann, den Zeigefinger der linken Hand irgendwie an den drei Einkaufstüten vorbei auf den Klingelknopf zu dirigieren. Der ist aber ein Stück zu weit entfernt, weshalb sich Nolte mit seinem Oberkörper nach vorne lehnt. Die in einem komplizierten Zufallsschichtsystem gestapelten Waren können der Erdanziehungskraft nichts entgegensetzen und purzeln aus der Tüte. Nolte erinnert sich in diesem Moment an die Abwesenheit seiner Frau Hildegard und daran, dass sie keine Kinder oder Untermieter haben. Trotzdem ruft er einmal laut den Vornamen der Gattin, was zwar sinnlos ist, aber befreit.
Nolte 4: Der Gläubige
Im Angesicht der verschlossenen Tür tritt der sonst eher atheistisch veranlagte Nolte in den Dialog mit Gott. Das machen viele Atheisten so, wenn sie in eine ernsthafte Notlage geraten. Das Pack fängt regelrecht zu feilschen an. "Wenn du mich jetzt den richtigen Schlüssel wählen lässt, geh ich Sonntag in die Kirche", oder so. Doch Gott, sofern vorhanden, lässt sich auf solche Kungeleien natürlich nicht ein. Hinter einer Wolke versteckt, schnippt er einmal mit dem Finger, und selbst wenn Nolte jetzt den richtigen Schlüssel wählt, so hat Gott doch schnell die Schlösser ausgetauscht. Für weitere Erläuterungen siehe bitte: Nolte 1
Nolte 5: Der Kompromisslose
Nach einigen wenigen Versuchen (gerne auch verbunden mit Nummer 1 oder 2) tritt er die Haus- und wenige Sekunden später die Wohnungstür ein, klatscht die Einkäufe mit voller Wucht Richtung Rehpinscher und macht sich 'ne Flasche Billigpils auf. Ergebnis: Als Einziger das Ziel erreicht. Allerdings wird die Miete auf Dauer gesehen etwas teuer und so etwas sieht das Sozialamt nicht gerne.



Eingereicht am 20. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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