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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Maske

© Jürgen Buscher


"Mr. McCain, bitte zur Maske! Mr. McCain, bitte!" Der so Aufgerufene entschuldigte sich bei den Journalisten, dankte seinen zahlreich anwesenden Fans und ging in den Masken- und Schminkraum.
Ben genoss jedes Mal diese Zeit, diese kleine Zeremonie. Die Finger strichen und tippten routiniert über sein Gesicht. Es war wie ein Formen seiner ganzen Person für einen bestimmten Anlass, es war faszinierend und gleichzeitig beruhigend. Es entspannte ihn. Wenn er aufstand, fühlte er sich bereit für alles.
Etwas riss und zerrte kurz in seinen Haaren. Ben verzog das Gesicht. Diese Frau heute war nicht besonders geschickt. Er würde sich hinterher bei den Veranstaltern beschweren.
Nebenan rasierte sich jemand. Mit sonorem Brummen rasselte der Apparat über die Stoppeln. Er schloss die Augen. Seine Gedanken waren schon weit entfernt, flogen unwiderstehlich zurück zu jenem Tag.
Sie waren zu acht an diesen See gefahren. Die Anderen machten einen Heidenlärm - er musste lächeln bei diesem Wort -, spritzten, balgten, kreischten und tobten im und am Wasser. Er stand da. Das Wasser lauerte ockerfarbig zwischen den Schatten am Ufer, glitzerte stahlblau in der Sonne und hielt seine Beine bis zu den Knien in eiskalten Ketten umklammert. Er brauchte Zeit! Es wäre geschickter gewesen, zu den Jungs auf der Wiese zurückzugehen. Aber da spielte man Football, und dabei konnten sie ihn auch nicht gebrauchen.
Auch im Wasser flog jetzt ein Ball umher, spritzte und klatschte brennend gegen nasse Haut. Ben schob eisern ein Bein vor, tastend nach Scherben und Muschelschalen. Gut, dass seine Mutter ihn jetzt nicht sehen konnte. Aber er hatte Glück, eine stille Ecke für sich, und früher oder später würde er sich unter die anderen stürzen.
Plötzlich eine viel zu nahe Stimme, und Ben sah genau hin. Der Wasserball war abgetrieben und schwamm jetzt bunt glänzend und unerbittlich auf ihn zu. Da waren sie schon, seine Freunde, einer, drei, dann alle standen sie um ihn herum. Er wollte weg! Sie gingen nicht weg, lachten, riefen ihm irgendwas zu. Zwei zogen ihn zu sich ins Tiefe. Er wollte nicht. Warum konnten sie ihn nicht lassen, einfach weitermachen, wie immer, ohne ihn. Seine Füße rutschten über den Boden, verloren ihn, da war kein Boden mehr, und die Kälte nahm ihm den Atem. Er sollte schwimmen. Er schwamm nicht, sondern strampelte und sträubte sich verzweifelt gegen ihre Übermacht an Händen, merkte nicht, dass er die ganze Zeit wie wahnsinnig schrie. Einer griff schließlich seine Hände und ließ nicht mehr los, die beiden trieben verknäuelt durch das Wasser, langsam sinkend. Jetzt wurde er nicht mehr gehalten, jetzt klammerte er sich, nur nicht allein, nicht untergehen. Der andere war viel stärker, brachte sie noch einmal hoch, als es knackte und der Körper in seinen Händen heftig zuckte, ein- zweimal, um dann schlaff abzusinken. Bens Hände suchten Halt und - Gott sei Dank - fanden sie einen rostigen alten Steg.
Er hatte seinen Halt gefunden und konnte Luft holen. Das Geländer war gebrochen und stach an einer Stelle knapp aus dem Wasser heraus. Die Stange war jetzt rot von einem Jungen, der seinen Kopf gerade eben noch rückwärts aus dem Wasser gezogen hatte, für einen tiefen, letzten Atemzug.
Na ja, die anderen kamen und glotzten und stammelten gute Ratschläge, ein paar schluchzten und heulten. Er hatte kaum noch etwas gesagt damals, auch später nichts mehr davon. Er hatte seinen Halt gefunden, Gott hatte ihm damals beigestanden und ihm sein Wunder geschenkt wie einst Jona, er wusste es. Es war seitdem noch oft so gewesen, dass er sich wie der Fels in der Brandung vorgekommen war: Unter seinen rebellierenden Kommilitonen, in seiner später vaterlosen Familie, bei übermütigen Partys, aufmuckenden Kindern und Herumreformierern in seiner Gemeinde. Aber Ben hatte stets ein stilles Lächeln seit damals. Er hatte alles gut für seinen Herren bereitet, sein Erbe, seine Arbeit und das Vertrauen der Menschen.
So würde es auch heute Abend sein, noch eine TV-Talk-Show, er hatte genug über seinen Kontrahenten erfahren, die Leute würden erleben, was es hieß, ihn anzugreifen, seine Kirche in den Schmutz des Zweifels zu ziehen. Es müsste bald so weit sein, er schlug die Augen auf - und erstarrte!
Aus dem Spiegel höhnte ihn eine Grimasse an, bemalt, plüschig, grell, mit drachenartig aufgemalten Zähnen, Herzen auf der Wange und ...
Die Visagistin war verschwunden. Ben brauchte keinen zweiten Blick. Er sprang auf, sah auf die Uhr, vier Minuten noch, Gott, er sprang zur Tür - wie konnte, wer konnte, eine solche Infamie, so teuflisch, so - er riss an der Tür, sie war verschlossen, taumelte zurück, fiel über einen Stuhl und schlug mit dem Hinterkopf hart an die Waschbeckenkante.
Margaret Mails schloss hastig die Garderobentür auf. Sie hatte nur kurz Puder geholt und aus Gewohnheit hinter sich abgeschlossen. Dieser Prediger war offenbar eingeschlafen und sie wollte ihn nur ein wenig überraschen. Als sie die Tür öffnete, sah sie die Wirkung ihrer Überraschung.
Einen Moment lang wurde ihr schwarz vor Augen, dann biss sie die Zähne zusammen und nahm erst einmal das Bild mit der Clownsmaske vom Spiegel, das sie in einer Illustrierten gefunden hatte. Langsam verließ sie den Raum. Die Regie würde heute wohl eine Konserve einspielen müssen.



Eingereicht am 17. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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