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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Anruf

© Monika Drake


Es war ein gewöhnlicher Alltagsmorgen. Nachdem ich mich schon für den Arbeitsweg angekleidet hatte, ging ich ins Schlafzimmer und machte noch schnell mein Bett. Dabei schaute ich kurz zum Fenster und sah, wie Bauarbeiter dabei waren, bereits in dessen Höhe ein Baugerüst an der Hauswand zu errichten.
"Na toll, auch das noch!" sagte ich laut zu mir selbst. An diesem Morgen ging bisher schon einiges schief: Der Wecker vergaß zu klingeln, es gab kein warmes Wasser und die Kaffeemaschine streikte. Hat sich heute alles gegen mich verschworen?
Nein, wohl doch nicht, denn gerade fand ein Sonnenstrahl trotz Hindernisse den Weg durch Fenster ... und fiel auf das Kopfkissen. Das Muster des Bezuges stellt einen Sonnenuntergang am Meer dar - und dieser Lichtstrahl traf genau die untergehende Sonne darauf und ließ sie dabei so erstrahlen, als wenn sie stattdessen aufgehen wollte. Dadurch wurde dieses Bild für mich einen Augenblick lebendig; es war fast so, als wäre ich live dort: Ich hörte das Meer rauschen, spürte den Wind in meinen Haaren und fühlte die warme Sonne auf meiner Haut.
"Urlaub müsste man jetzt haben!", seufzte ich sehnsüchtig.
Laut klingelte nun das Telefon im Wohnzimmer und riss mich aus meinem Traum.
Nanu, wer ruft mich so früh schon an? So dachte ich, während ich zur Schlafzimmertür ging. Genau in dem Augenblick, als ich die Türklinke herunterdrückte, ertönte hinter mir ein ohrenbetäubender Knall und der Lärm vom zersplitternden Glas!!! Instinktiv ließ ich mich erschrocken neben dem Bett zu Boden fallen ...
Nachdem es wieder etwas ruhiger wurde, lugte ich vorsichtig über dem Bettrand - und war entsetzt bei dem Anblick, der sich mir bot: Die große Fensterscheibe war nahezu explodiert, in vielen Glasscherben zersprungen. Auf dem Fenstersims, an dem ich kurz zuvor noch stand, lag - bis auf die Hälfte meines Bettes - ein langes, etwa 50 cm breites und 5 cm dickes Holzbrett!
Starr vor Schreck mit offenem Mund kniete ich da, feine Glasscherben regneten inzwischen in Zeitlupe auf meinen Kopf und hüllten mein Haar mit einem glitzernden Schleier ein ...
Diese Glaswolke entstand nicht nur von der explodieren Fensterscheibe allein, sondern auch von einer Thermoskanne. Sie stand auf dem Fensterbrett als silberne Vase, weil der Deckel defekt war. Als das hereinstürzende Brett gegen diese Kanne stieß, flog sie implodierend gegen die Zimmerdecke... und es ergoss sich ein silberner Scherbenregen über dem Bett - und somit auch über mich.
Jetzt erst nahm ich das Dauerklingeln und Klopfen an meiner Wohnungstür wahr. Wie in Trance stand ich auf, ging zum Korridor und öffnete.
Aufgeregt stürmten drei Bauarbeiter in meine Wohnung, Richtung Schlafzimmer. Einer blieb kurz bei mir stehen und fragte mich, ob mit mir alles in Ordnung sei. Statt einer Antwort konnte ich nur nicken, dabei fiel der Glasschleier von meinem Haar und formte sich zu einer glitzernden Wolke auf dem Teppich. Noch immer die Tür offen haltend, rannte ein vierter Kollege wortlos an mir vorbei ins Unglückszimmer.
"Kommen Sie nur herein", sagte ich zum leeren Raum und erwachte langsam aus meinem Schock. Bevor ich meine Wohnungstür nun schließen konnte, drückte sie jemand wieder auf und wollte an mir eilig vorbei, ebenfalls ohne sich - was ich diesmal bewusst registrierte - die Schuhe abzuputzen. Ich erwischte ihn gerade noch am Jackenärmel und zog ihn daran heftig zurück.
"Schuhe abtreten, verdammt noch mal!", schrie ich ihn an und schaute in das verdutzte Gesicht des Bauleiters Günter Hauser.
"Was, Sie waren in der Wohnung? Sind Sie verletzt?", fragte er mich entsetzt.
"Nein", wunderte ich mich auch. "Mal abgesehen davon, dass ich vor ein paar Minuten beinahe von einem Brett erschlagen wurde, geht es mir prächtig!"
Er bemerkte jedoch meine wackligen Beine und führte mich ins Wohnzimmer zum Sessel.
"Setzen Sie sich bitte hin und beruhigen Sie sich, sonst kippen Sie mir noch um. Ich muss erst zu meinen Leuten gehen und bin gleich wieder da!"
Er verließ den Raum und ich hörte kurz darauf, wie er seine Mitarbeiter wütend anbrüllte und Anweisungen gab.
"Was ist denn eigentlich geschehen?", wollte ich von ihm wissen, als er zurückkam.
"Der Kranfahrer hievte einen Packen Bretter empor, die nicht ordnungsgemäß gesichert waren. Ein Brett löste sich beim ruckartigen Schwenken und schoss wie ein Katapult in Ihr Fenster. Bitte entschuldigen Sie diesen Vorfall, zum Glück ist Ihnen nichts passiert. Sofort bringen wir alles wieder in Ordnung, versprochen! Das neue Fenster ist bereits unterwegs. Den versäumten Arbeitstag bezahlen wir Ihnen natürlich, denn in Ihrem Zustand lasse ich Sie heute nicht mehr arbeiten gehen."
Ich nickte nur dankend und erzählte ihm, wie es mir ergangen war. Mein Blick fiel danach auf den blinkenden Anrufbeantworter.
"Wer hat mich eigentlich vorhin so früh angerufen? Etwa die Schule meiner Tochter, da wird doch nichts passiert sein? Ach nein, sonst hätten sie es mehrmals versucht", beruhigte ich mich. "Das kann also nur meine Schwester gewesen sein, sie wünscht mir manchmal einen schönen Tag, bevor ich zur Arbeit gehe - eine liebe Geste von ihr, doch oft auch zeitraubend!", dachte ich laut und lächelte dabei schon wieder.
"Soll ich für Sie die Taste drücken? Dann wissen Sie, wer es war", bot sich Herr Hauser an.
"Nein danke, das möchte ich lieber selbst machen. Hören wir doch mal, wer mir mit dem Anruf vielleicht das Leben gerettet hat!" Neugierig geworden, stand ich vorsichtig auf und ging langsam zum Telefon.
Nachdem ich jedoch die Abspieltaste drückte, hörten wir zu meiner Überraschung nichts weiter, als das leise Rauschen einer Meeresbrandung ...
Ich schaute Herrn Hauser verblüfft an.
"Das war wohl ein Anruf von meinem Schutzengel, was meinen Sie? Vielleicht gibt es ihn ja wirklich ..."



Eingereicht am 16. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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