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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Tage wie dieser

© Michael Perkampus


Es sind Tage wie dieser, an denen etwas Großes geschieht. Es sind Tage, denen man ihre Bedeutung nicht ansieht. Sie haben keine besondere Farbe, diese Tage, sie haben keinen besonderen Geruch. Was diese Partikel einer Woche nun zu etwas Besonderem machen, ist die Atmosphäre zweier Menschen, die diesen Tag überbrücken, indem sie die Entfernung ihrer Herzen verkürzen, ohne zu ahnen, dass sich die Welt schon längst darauf vorbereitet hat, sie zu begrüßen.
An jenem Morgen war ich einer dieser beiden Menschen. Ich bemerkte nicht, dass sich die Welt heute in einen anderen Rhythmus hineinfallen lassen würde. Mein Kopf war ein Karussell. Ich sah in den Spiegel und fragte mich, warum ich gerade heute aussehen musste wie die gut erhaltene Mumie eines jungen Pharaos. Auch der Kaffee hatte nichts genutzt. Die Nervosität kam und ging wie sie wollte und meine Gedanken knoteten Worte ineinander. Meine Hypophyse hatte das Stricken verlernt, also warf ich das verbale Handwerkszeug in die Ecke, in der es beleidigt liegen blieb.
"Was willst du ohne uns anfangen?" wollte das fantastische Strickzeug wissen. Trotzig gab ich keine Antwort. Was hätte ich auch sagen sollen? Das verbale Handwerkszeug war mir in jedem Falle überlegen. An meine Gedanken und Emotionen jedoch konnte es nicht rühren.
Noch einmal warf ich mich vor den Spiegel und übte einen intelligenten Blick. Der Spiegel antwortete mit einer Grimasse und ich deckte ihn mit einem Handtuch zu. Ich konnte die Gestalt darin heute nicht ertragen.
Im Taxi gab ich das Kommando: "Hauptbahnhof!" von mir, und schon redeten wir über das Wetter. Ich übte meinen Hang zu Übertreibungen und redete von ökologischen Katastrophen, der Zwillingserde sowie der Einwirkung von kosmischen Magnetstrahlen auf die Psyche des Menschen. Das erschien mir angenehmer als der Fahrerin zu bedeuten, ihren Mund zu halten, weil ich diese Art von Gespräche nicht ausstehen konnte. Die Wirkung war freilich die gleiche.
Wieder stand ich vor einem dieser unsinnigen Automaten, die mich nicht anlächeln, wenn ich das Geld passend parat habe.
Ich schob die Leute zur Seite und sagte, ich sei herzkrank und wenn ich den Zug verpasste, dann müsste ich sterben. Diese Information war sorgsam gewählt und als sie begriffen, dass ich die Wahrheit eventuell etwas persönlich geformt hatte, war ich schon wieder verschwunden und hechtete auf die Plattform der ankommenden Stahlrösser, hinein in eines dieser brüllenden Angeber von einer Maschine.
Die Dimension der Zeit nimmt einen fabelhaften Klang an, wenn sie sich einem entscheidenden Punkt nähert. Ich sah auf die Uhr und hörte die Uhr von einer Viertelstunde sprechen.
Also trank ich einen Kaffee und übte mich in der Technik des automatischen Schreibens. Zu etwas Anderem wäre ich gar nicht fähig gewesen. Das Blut transportierte Aufregung in alle Schaltkreise.
Wie in Zeitlupe hob ich den Stift von diesem letzten Punkt des letzten automatischen Satzes und registrierte die Epiphanie aus meinem linken Augenwinkel.
Zu einem kosmischen Sturm kam es in meinem eigenen Multiversum. Wenn ich je der Analogie trauen durfte, beförderten die morphogenetischen Felder meinen Atemstillstand (nach dem letzten Punkt des letzten automatischen Satzes) in unterschiedliche Galaxien und lösten dort eine Hexenküche der Gefühle aus.
Aus eins mach zwei, aus zwei mach eins, das ist das Hexeneinmaleins.
Aufeinander zu. Aber wenn die Hände geschüttelt werden, nimmt man schon jegliche Berührung vorweg. Also Händeschütteln.
Und wenn man sich in die Augen sieht, nimmt man schon das Schmelzen der Seelenkappen in Kauf. Also Augensehen. Nichtwahrnehmbarer Augenblick.
Wenn das Unwahrscheinliche eine Herausforderung ausspricht, ihm zu begegnen, braucht es Mut, ins Unbekannte zu wandern und die Gewissheit, diese Neugierde befriedigen zu wollen. Dann manipuliert man die Zeit, dann setzt man sich der Bewegung aus, dann ordnet man die Zufälle an, dann arrangiert man das Träumen.
Und weil ich nicht anders konnte, war ich wieder der Hahn auf dem Mist, verhielt mich kirschrot und stampfte monologisierend auf der Bühne herum.
Ihre Worte hatten mich an den Starkstrom angeschlossen, ihr zu begegnen aber brachte mich zusätzlich mit der Erde in Kontakt. Wie ein aufgezogenes Spielzeugauto holperte ich neben ihr her und würde sie angestarrt haben, bis mein Augenlicht verlöschte, wenn ich nicht auch darauf Acht hätte geben müssen, meine zittrigen Schritte zu koordinieren.
War sie nicht erstaunlich zu nennen? So voller Wissbegierde gab sie der Vernunft nicht nach und reiste durch das Tor zu allem, kannte mich nicht und ließ sich dennoch fallen, fragte nicht, ob sie jemand fangen könnte, fragte nicht nach einem Geländer, um sich daran festhalten zu können, wusste nur wage, dass es mich gab, aber ahnte vielleicht, dass es Zufälle nicht gibt.



Eingereicht am 14. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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