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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Puppen

© Manuela Huber


"Eine Puppe", sagte Nia, "eine Puppe hätte ich gern. Eine zum Kuscheln und mit ins Bett nehmen".
"Also, sehn wir mal, was der Weihnachtsmann bringt", lächelte Oma ihr Perlenreihenlächeln, eine Hand auf die Taille gestützt.
Am Heiligen Abend wartete unterm Weihnachtsbaum ein eigentlich viel zu großes Paket auf Nia. Zum Vorschein kam eine Laufpuppe, die einen Meter zwanzig maß und einen blau gemusterten Hosenanzug trug, die schulterlange blonde Haare hatte und einen rosa Lippenstiftmund.
Oma, in ihrer Begeisterung auf dem Boden kniend, erläuterte Nia den sachgerechten Umgang mit der Puppe, die gehen konnte, sehr steif zwar und automatenhaft, aber sie ging. Hinten auf dem Rücken gab es eine Stelle, da konnte man diesen öffnen und Disks einlegen. Auf den Disks befand sich der Sprachvorrat der Puppe, die auf Knopfdruck an die zwanzig Phrasen und Sätze von sich geben konnte. Oma demonstrierte es, rote Flecken auf den Wangen. "Mama, ich habe Hunger" und "Mama, ich hab dich lieb" quäkte die blonde Puppe unbeweglichen Mundes.
Oma strahlte. "So eine Puppe, ist das nicht toll? Wie ein richtiges kleines Mädchen! Und man kann noch Kleidung dazukaufen, aber schon allein dieser Hosenanzug ist - Gott, wir haben damals aus Taschentüchern Puppen gebastelt, aus Taschentüchern!, und stundenlang damit gespielt als Kinder. Richtiges Spielzeug gab es ja nicht, und schon gar nicht Puppen wie richtige Mädchen mit echtem Haar und so einem netten Gesicht, und grüne Augen hat sie genau wie du --", redete Oma sich in einen Eifer hinein und sah kurz zu Nia hinüber, die schon das Geschenk ihrer Mutter auspackte. "Alles hätte ich damals gegeben für so eine Puppe und deshalb schenke ich dir heute so eine! Nur vorsichtig musst du sein mit der, die ist schon empfindlich."
"Ja, danke noch mal", lächelte Nia Oma an, die schon wieder das Wunder der Laufpuppe bestaunte und sie vielleicht gar nicht gehört hatte.
"Ach Mama, sie schaut sie kaum an", sagte die Mutter kopfschüttelnd auf Omas Frage, wie denn die Puppe Nia gefalle, "rausgeworfenes Geld."
Es war nach den Weihnachtsfeiertagen und Mutter und Tochter waren bei den Großeltern zum Kuchenessen eingeladen.
Oma sah jetzt nicht mehr erwartungsvoll aus, sondern irritiert. Langsam strich sie ein paar imaginäre Falten aus dem Tischtuch: "Aber du wolltest doch eine Puppe, und das war die schönste im ganzen Katalog."
"Und die teuerste", brummte Opa, der nie viel sprach, zur Ergänzung. Oma ließ ihren halb überraschten, halb fragenden Blick nicht von der Enkelin. Offenbar musste eine Antwort sein.
"Zurzeit lese ich einfach lieber, ich hab gerade so spannende Bücher zuhause", sagte Nia und hoffte, dass ihre Stimme fest klang.
"Sie schreibt immer null Fehler im Diktat", warf die Mutter stolz ein, "weil sie so viel liest. Überhaupt ist sie so gut in der Schule."
Opas Lächeln warf zahllose Fältchen um seine Augen, und Omas Irritation verwandelte sich langsam in Wohlwollen. "Na, vielleicht ist sie auch einfach noch ein paar Jahre zu jung für so eine Puppe", sagte sie, und zu Nia gewandt: "Ich hab mir gedacht, ich schenk dir gleich eine Richtige. Die ist halt eher was für ältere Mädchen, so ab zwölf. Das hat auch der Verkäufer gemeint. In ein paar Jahren gefällt dir die Puppe, wirst schon sehen."
Sie schwiegen, irgendwo tickte monoton eine Uhr.
Plötzlich registrierte Oma den leeren Teller der Enkelin und griff nach dem Tortenheber: "Komm her, iss noch ein Stück Himbeerkuchen. Du bist ja so dünn."
Auf der Heimfahrt im Auto ließ die Mutter solange nicht locker bis Nia gestand, dass die Laufpuppe viel zu groß und hart sei, um mit ins Bett genommen und viel zu schwer, um herumgetragen zu werden.
"Außerdem", sagte Nia, "klingt ihre Stimme nach Frosch und--"
"Und sie hat den knielosen Gang eines Roboters", warf die Mutter ein und lachte laut.
Auch Nia musste lächeln. "Aber Oma hat es nur gut gemeint", verteidigte sie die Großmutter leise. "Sie hat sich so über die Puppe gefreut und ich will nicht, dass sie enttäuscht ist."
Das sei lieb von Nia, fand die Mutter, und versprach, ihr eine zweite Puppe zu schenken. Jetzt sofort. Das Auto würden sie daheim abstellen und zu Fuß losgehen, in der Stadt kriege man so schlecht einen Parkplatz.
"Ich kaufe dir eine Puppe, ja, eine weiche, die man knuddeln und mit ins Bett nehmen kann", freute sich die Mutter. Dann sagte sie noch, sie verstehe Nia doch, weil sie selber so eine Puppe auch immer hätte haben wollen. Nur von Oma, seufzte sie, indem sie sich die Brille auf die Nase zurückschob, von Oma habe sie die genauso wenig bekommen.
Nia hatte ungefähr zwanzig Minuten vor dem Spielwarengeschäft gewartet, da tauchte die Mutter mit auf dem Rücken verschränkten Armen wieder auf.
Ihre Augen wirkten größer und klarer als vorher: "Also ehrlich, der Laden ist bunt wie - wie ein Korallenriff, man will gar nicht mehr weg. Aber jetzt, sag, welche Hand willst du?"
Nia zögerte, Mund und Gesicht fühlten sich vor Kälte taub an.
"Ach egal, ich kanns ja selber nicht mehr erwarten: hier ist sie--" Und die Mutter hielt die Puppe vor sich hin, indem sie das Spielzeug um die Taille fasste. "Na, was sagst du?"
Die Puppe war ganz schwarz, besaß schwarzes Kraushaar und trug ein rotes Kleidchen.
Nia sah blinzelnd zur Mutter und wieder zur Puppe: "Ja, sie ist schön. Sehr schön. Aber … aber ich wollte eigentlich eine weiße … eine, die wirklich mein Baby sein könnte … Ich würde nun mal kein so schwarzes Baby kriegen". Jetzt hätte Nia weinen können.
Die Mutter stand da und starrte das Mädchen an. Langsam begriff sie. "Ach weißt du, mir wirds bald zu viel mit dir", sie wurde laut: "Erst ist dir die schöne Puppe von der Oma nicht genehm und jetzt passt dir die hier auch nicht. Du bist so undankbar, nie ist dir was gut genug! Die ist doch klein und zum in den Arm nehmen---" sie rang nach Atem und Worten, "also die Hautfarbe ist doch wohl egal --" die Mutter schrie jetzt fast.
Immer noch standen sie vor dem Spielwarengeschäft. Ein vornehm aussehendes älteres Paar, das eben vorbeispaziert war, sah sich neugierig nach ihnen um. Nia wich den Blicken aus.
"Ja, gehen wir", sagte sie leise und zog die Mutter, die immer noch Blicke wie Blitze auf Nia abschoss, an der Hand am Spielwarengeschäft vorbei und hinein in die Gasse, die nach Hause führte.
Erst ging die Mutter schmollend neben ihr drein, ein paar Hundert Meter lang.
Dann sagte sie, Ärger in der Stimme: "Ich hätte immer so gern eine Mohrenpuppe gehabt als ich genau in deinem Alter war. Aber meine Mutter hat sich immer geweigert, mir eine zu kaufen.
Nia sah zu Boden. Sie trug die Puppe, einen Arm unter deren Kinn. Dann presste sie sie fest an sich. Und noch fester. Wenn die ein echtes Baby wäre, würde sie jetzt ersticken. Plötzlich machte es klopp und der Kopf sprang ab. Er fiel direkt vor Mutter und Tochter auf den Boden und rollte dann - sie standen an einer Straße, die ziemlich steil bergab führte - diese Straße hinab, immer wieder kleine Hüpfer vollführend, mal schlug der Puppenkopf mit dem Gesicht auf, mal mit den Kraushaaren, mal mit dem Profil und mal mit dem Stumpf, der gerade noch mit dem Rumpf verbunden gewesen war. Erschrocken sah Nia ihre Mutter an, die zwei oder drei Sekunden lang unbeweglich, dem Kopf hinterher staunend, neben ihr stand.
Dann stieß sie hervor: "Ja willst du denn nicht-" und war auch schon losgerannt, langbeinig, in großen Sprüngen, wie das Mädchen sie noch nie welche hatte machen sehen, hinter dem immer noch haltlos bergab rollenden und hüpfenden Kopf her.
Da spürte Nia, die geköpfte Puppe im Arm, eine Lachlust von nie gekannter Gewalt in sich aufsteigen.



Eingereicht am 08. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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