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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Weihnachten 2004

© Patrick Alexander Kostka


Als ich ihn das letzte Mal sah, ging es ihm gar nicht gut. Eine Winterdepression hatte Adam heimgesucht, so würde wohl die Diagnose der Ärzte lauten. Aber er war eigentlich nicht der Typ für eine Depression, wenn man das so sagen konnte. Er wirkte immer sehr ausgelassen und fröhlich, war stets die Stimmungskanone in unserer Clique. Eine Depression kann jeden treffen, las ich im Internet. In diesem Fall auch Adam. Ich schaltete den Computer ab und versuchte mich zu erinnern.
Wann hatte die Depression bei Adam zugeschlagen? Es war kein plötzliches Auftreten, nein, vielmehr war es eine schleichende Revolte. Irgendetwas war mir in den letzten Wochen bei ihm aufgefallen, er wirkte einfach nicht mehr so antriebsvoll, hatte nicht mehr so viel Spaß an seinen Dingen. Doch darauf auf eine Depression zu schließen, das kam mir nie in den Sinn. Als dann auch noch das Wetter sich tagelang von seiner nebeligsten und trübsten Seite zeigte, da mochte Adam gar nicht mehr aus dem Hause gehen. Er meldete sich eine Woche lang krank und gab als Grund Kopfschmerzen an. Sein Arbeitgeber war erstaunt, denn Adam war in den 15 Jahren, welche er bei der Firma arbeitete noch nie krank gewesen.
Zu dieser Zeit wollte er niemanden mehr sehen und lag nur im Bett vorm Fernseher. Die Dauerberieselung der Nachmittagstalkshows gab ihm wohl das Gefühl unter Menschen zu sein und nicht ganz zu vereinsamen. Es brauchte Überzeugungskraft, damit ich ihn überhaupt besuchen durfte. Abgemagert und fahl im Gesicht, öffnete er die Türe. Mich durchzuckte es wie ein Blitz. So schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt. Gott sei Dank schien er von meinem Schrecken nichts zu merken. Ich suchte so schnell wie möglich eine ernsthafte Unterhaltung mit ihm zu führen, aber meine von Sorge getragenen guten Ratschläge ließ er nur widerwillig über sich ergehen. Mir kam es so vor als ob meine Worte in eine tiefe Schlucht fielen ohne jemals am Grund anzukommen. Als ich mich schlechten Gewissens wieder aufmachte ihn zu verlassen, kam mir zwischen Tür und Angel noch ein Gedanke. "Willst du nicht vielleicht für zwei Wochen Urlaub nehmen um irgendwo im Süden neue Kraft zu tanken?" Meine Frage schien ihn zwar nicht sonderlich zu interessieren, doch irgendwie sah ich ein kleines Fünkchen in seinen Augen kurz aufblitzen. "Ich rufe dich auf jeden Fall morgen Vormittag an, lass dir das durch den Kopf gehen", sagte ich noch zu ihm und erntete darauf ein schwaches Nicken als Bestätigung.
Als ich dann am nächsten Tag mit ihm telefonierte, klang er wie ausgewechselt. Er lobte mich für meine gute Idee und erzählte mir, dass er sich nach längerem Zögern die halbe Nacht vor dem Computer um die Ohren geschlagen hatte, um Reiseangebote zu finden. Schließlich hatte er heute Vormittag auch schon in seiner Firma angerufen und seinen Urlaub für die nächsten zwei Wochen angekündigt. Alles schien auf einmal zu funktionieren, und die Vorfreude auf die bevorstehende Reise schien ihm wieder Lebenskraft zu geben. Am Donnerstagabend rief er mich dann nochmals an und teilte mir mit, dass er am Freitagmorgen, am Tag des Heiligen Abends mit einem der ersten Flüge nach Thailand, Phuket starten würde. Ich war fast sprachlos über den neuen Tatendrang und beglückwünschte ihn zu seiner Entscheidung. Er teilte mir noch die Adresse seines Hotels in Thailand mit und versprach mir, sich so oft wie möglich per Email bei mir zu melden. Irgendwie war ich glücklich weil es schien als hätte er seinen Tiefpunkt überwunden, doch ganz im Inneren beunruhigte mich etwas.
Weihnachten war anders als sonst. Am Vormittag des 24. hetzte ich noch von Geschäft zu Geschäft um letzte Geschenke zu besorgen. Am Nachmittag machte ich meine obligatorischen Besuche bei Freunden und am Abend saß ich alleine zu Hause und dachte an das Fest der Familien, an die erwartungsvollen Kinderaugen, und an die Bescherungen. Den Heiligen Abend hatte ich ansonst immer bei Adam gefeiert. Traditionell kochten wir zusammen und machten uns dann einen gemütlichen Abend vor dem Christbaum. Nur dieses Jahr war alles anders.
Mein Chef genehmigte mir keinen Urlaub über Weihnachten, Adam hatte seine Probleme und so verlief Weihnachten 2004 irgendwie anders als ich es mir vorgestellt hatte.
Am Samstag den 25. bekam ich dann endlich ein Email von Adam. Er hatte den Heiligen Abend halb in der Luft, im Flugzeug, halb in seinem Hotel in Phuket verbracht. Ihm schien es gut zu gehen. Die neue Umgebung fesselte seine Neugier und er wusste schon erstaunlich viel zu berichten. Auch das warme und mit Sonnenstrahlen verwöhnte Wetter tat ihm gut. Ich freute mich für ihn. Freute mich, dass er aus dem Alltag und aus seinem Tief ausgebrochen war und freute mich, dass er sich wohl fühlte. In meinem Antwortschreiben an ihm machte ich aus, dass ich ihn am Sonntagabend in seinem Zimmer im Hotel anrufen würde.
Die Nacht von Samstag auf Sonntag wälzte ich mich unruhig in meinem Bett herum. Erst gegen 5.30 Uhr konnte ich kurz Schlaf finden. Albträume verfolgten mich und als ich völlig unausgeschlafen erwachte, war mein Bett schweißnass.
Schlaftrunken begab ich mich zuerst ins Bad, um mich danach mit einem ausgiebigen Frühstück zu stärken. Als ich das Radio einschaltete, gab es eine Meldung über ein Seebeben im Pazifik, von möglicherweise einigen hundert Toten war die Rede. Ich schenkte der Meldung keine weitere Bedeutung.
Nun weiß ich warum Adam nicht mehr angerufen hat, kenne das Ausmaß der Katastrophe. Ich sehe täglich die Bilder im Fernsehen und sitze so ungläubig davor. Wochen nach dem Stephanietag, dem 26. Dezember 2004 denke ich immer noch an Adams Euphorie als er mir von der Reise erzählte, denke an das Fünkchen in seinen Augen ...
Ich trauere um Adam, Adam der für mich ganz persönlich stellvertretend für die Tausenden Toten steht. Adam dessen Schicksal niemals geklärt werden wird, Adam, der niemals gefunden wurde. Und doch steht Adam auch für den Neubeginn, für die Hoffnung und ganz allgemein für die Menschlichkeit.



Eingereicht am 02. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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