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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Schöne Welt

© Julia Roßner


Da sitzt sie nun, allein in ihrer Einzimmerwohnung, mit einer kleinen Kochnische und einem winzigen Bad, bei dem man die 70-Kilo-Grenze nicht überschreiten sollte sonst hätte man immense Probleme nicht zwischen Waschbecken und Dusche stecken zu bleiben. Ihre Schwester hatte sie noch begleitet und ihr beim Umzug geholfen. Doch jetzt schließt sie die Tür hinter sich und fährt. Zurück lässt sie ein junges, naives Mädchen, das sich entschlossen hat das kleine heimatliche Dorf, Familie und Freunde zu verlassen um in einem neuen Job und in einer großen neuen Stadt richtig durchzustarten. Doch war es richtig?? Sie sitzt allein auf ihrer Couch, die jederzeit zu einem Bett umfunktioniert werden kann. Für ein richtiges Bett ist kein Platz in diesem kleinen Zimmer. Alles ist still. Keiner ist da. Sie ist allein. Niemanden kennt sie. Weder Menschen noch die Stadt. Morgen ist ihr erster Arbeitstag und sie kann vor lauter Aufregung nicht richtig schlafen. Es ist alles so ungewohnt. Sie stellt sich 3 Wecker damit sie ja nicht verschläft. Schließlich ist Mama nicht mehr da, die sie im Notfall wecken kann. Sie muss jetzt für alles alleine sorgen. In diesem Moment stellt sie fest, dass es nicht leicht werden wird und bereut jetzt schon diesen Schritt, den sie unüberlegt und rein aus dem Bauch heraus entschieden, getan hat. Sie sitzt da und starrt vor sich hin. Plötzlich verspürt sie schmerzendes Heimweh und die totale Einsamkeit. Tränen rinnen ihr über das Gesicht. Erst eine und dann ein ganzer Strom, der nicht mehr aufhören möchte zu fließen.
In der Arbeit läuft es eigentlich ganz gut. Die Kollegen sind witzig und der Chef sehr nett. Alle kümmern sich rührend um die "Kleine", wie sie liebevoll genannt wird. Die Arbeit macht ihr riesigen Spaß und sie geht förmlich darin auf. So erarbeitet sie sich immer mehr Anerkennung und wird stets von ihrem Chef gelobt und gefördert. Sie ist nett und witzig. Alle haben einen ungeheuerlichen Spaß mit ihr. Jeder denkt es geht ihr gut. Geht es ihr auch, aber nur so lange sie an ihrem Schreibtisch sitzen kann und unter Leuten ist.
Danach muss sie wieder in ihre dunkle Einzimmerwohnung - in die Einsamkeit.
Sie fürchtet sich jedes Mal vor dem Wochenende. Was soll sie nur tun? Was kann sie unternehmen? Und mit wem? Sie hat zwar viele nette Arbeitskollegen aber für Wochenendunternehmungen reicht es dann doch nicht.
Jeder geht nach Feierabend seinen eigenen Weg und da wird sich auch nicht mehr für den anderen interessiert. Sie kommt zu Hause an und schließt die Tür hinter sich. Und jetzt? Jetzt werden die Stunden bis zum Montagmorgen gezählt. Denn dann darf sie endlich wieder ins Büro. Doch was bis dorthin tun? Sie macht es sich auf ihrem Bettsofa bequem, schaltet den Fernseher ein und isst mit Genuss eine Familienpackung Miracoli, die sie ohne Probleme alleine verdrücken kann. Ja, das liebe Essen. Es ist mittlerweile zu ihrem größten Hobby geworden. An so einem Wochenende sammeln sich schon mal Schokolade, Chips und Cola um sie herum. In der einen Hand die Fernsehbedienung, in der anderen die Zigarette. Das Telefon liegt auch da - es ruft nur niemand an. Manchmal starrt sie auf den Hörer und hofft, dass endlich jemand anruft. Doch es schweigt und schweigt und schweigt. In ihr steigt eine ungeheuerliche Wut und Verzweiflung auf, dass sie den Hörer am liebsten gegen den Schrank donnern würde.
So häuft sich Kilo für Kilo auf ihrer Hüfte an. Sie nimmt rasend schnell zu und fühlt sich dadurch noch unwohler als sie sich sowieso schon fühlt. Sie hat das Gefühl immer mehr abzurutschen. Sie fühlt sich hässlich und ungeliebt. Keiner interessiert sich für sie. Draußen pulsiert das Leben und bei ihr bleibt alles stehen. Alle sind glücklich, nur sie selbst nicht. Das ist doch kein Leben für eine 19-Jährige. Normalerweise müsste sie mit Freunden das Wochenende durchfeiern und Spaß haben. Aber nein, das einzige was sie am Wochenende zu tun hat ist sauber machen und dafür zu sorgen, dass auch ja genügend Essen zu Hause ist. So lebt sie Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Sie befindet sich in einem Loch aus dem sie befürchtet nicht mehr herauszukommen. Was sie wirklich fühlt, ist nur schwer zu beschreiben. Eine endlose Leere macht sich in ihr breit. Sie hat kein Ziel vor Augen und keinen Sinn in ihrem Leben. Allen anderen spielt sie mit einer gelassenen Fröhlichkeit etwas vor, so dass kaum jemand bemerkt wie es ihr wirklich geht. Manchmal treibt es ihr grundlos die Tränen in die Augen und würde alles dafür geben wenn sie jemanden hätte, an den sie sich anlehnen könnte. Jemanden, der sie in den Arm nimmt und ihr das Gefühl von Geborgenheit gibt. Aber es ist niemand da - sie ist einfach nur alleine. Und diese Erkenntnis bescheren ihr immer wieder aufs Neue schmerzliche Heulattacken. Sie denkt, es zerreißt ihr die Seele vor Einsamkeit und Trauer.
Es dauerte eine ganze Weile bis sie sich eingestehen konnte, dass sie depressiv ist und bemerkt hat das sie in einer scheinbar ausweglosen Situation steckt. Aber das war der erste Schritt in die richtige Richtung.
Plötzlich packte sie es und beschloss etwas zu ändern. Und das neue Leben sollte mit einer Reise in ihr Lieblingsland Italien gehen. Also kaufte sie sich ein Ticket und setzte sich in den Zug der sie zum Gardasee bringen sollte. Sie machte es sich in ihrem Abteil bequem. Viel Gepäck hatte sie nicht dabei, nur das Nötigste. Sie setzte sich an das Fenster und ließ die unberührte Landschaft an sich vorbei ziehen. Sie hörte eine CD nach der anderen und versank in ihrer eigenen Traumwelt. Die Gedanken machten sich in ihrem Kopf breit und hörten nicht auf sich zu drehen. Sie hatte Angst. Sie ist noch nie alleine weggefahren. Was würde sie erwarten ?? Würde sie es überhaupt schaffen an ihr Ziel zu kommen ?? Sie traute sich überhaupt nichts zu und ihr Selbstbewusstsein war gleich Null. Plötzlich öffnete sich die Tür zu ihrem Abteil und ein junger Mann stand mit freundlicher Miene vor ihr. Er fragte ob noch Platz sei und er sich zu ihr setzen durfte. Sie nickte schüchtern. Eigentlich war es ihr überhaupt nicht recht. Sie wollte doch alleine sein und sich über ihr Leben Gedanken machen. Darüber wie es weiter gehen sollte. Sie hatte überhaupt keine Lust auf eine oberflächliche Unterhaltung mit einem fremden Kerl der, wenn er überhaupt Interesse zeigte, es nur auf das eine abgesehen hatte. Aber es war zu spät - er hatte sich bereits breit gemacht. Und schon begann er sie anzuquatschen. Na, wo soll es hingehen ?? Wie alt bist du ?? Wie heißt du ?? Sie beantwortete seine Fragen kurz und bündig und hoffte ihn durch ihr doch etwas unfreundliches Verhalten zum stillschweigen animieren zu können. Es stellte sich nach kurzer Zeit heraus das Beide das gleiche Ziel hatten. Sie würde ihn also nicht so schnell los werden.
Vor allem weil er in dem gleichen Hotel absteigen wollte wie sie. "Was soll´s" dachte sie sich. Eigentlich ist er ja ganz nett und vielleicht können wir zusammen einige schöne Sachen unternehmen. Dann lass ich mich eben auf ein Abenteuer ein. Schließlich mache ich diese Reise um mein Leben zu ändern - also fange ich gleich damit an. Während der Zugfahrt redeten und lachten sie viel. Sie lernten sich kennen und stellten fest das sie einander sympathisch waren. Sie blickte plötzlich zuversichtlich auf eine schöne Urlaubswoche. Und freute sich diese Zeit nicht, wie immer, alleine verbringen zu müssen. Im Hotel angekommen gingen beide ziemlich erschöpft auf ihre Zimmer und verabredeten sich für den nächsten Morgen zum Frühstück.
Irgendwie war sie total kaputt und konnte trotzdem nicht einschlafen. Ihr ging noch eine ganze Weile das Gespräch mit ihrem neuen Urlaubsfreund durch den Kopf und verspürte schon jetzt ein leichtes kribbeln in der Magengegend.
Schließlich schlief sie zufrieden und voller Vorfreude auf den nächsten Tag ein. Beide trafen sich fit und ausgeschlafen im Frühstücksraum. Es sollte ein herrlicher Tag werden. Der Himmel war blau und wolkenlos, sie Sonne schien und die Luft war rein und klar. Sie setzten sich auf die Terrasse und genossen alle Köstlichkeiten die das Frühstücksbuffett hergab. Satt und voller Tatendrang schnappte er sie an der Hand und sagte mit leuchtenden
Augen: "Komm mit, ich zeig dir wie schön die Welt sein kann". Sie war unentschlossen und zögerte etwas aber sie hatte keine Chance. Er zog sie bereits den kleinen Weg zum See hinunter hinter sich her. Sie gingen den Strand, der aus kleinen weißen Kieselsteinen bestand, in Richtung Limone, ein kleines verträumtes Dörfchen.
Ab und zu machten sie eine Pause, setzten sich auf einen Felsen und genossen den Ausblick auf den See. "Guck mal, wie schön und ruhig er da liegt, wie die Sonne sich glitzernd darin spiegelt, umhüllt von den Bergen. Als ob sie ihn beschützen wollen. Und da hinten 2 schöne schneeweiße Schwäne, wie sie sich glücklich und zufrieden von den kleinen Wellen treiben lassen. Schade das wir kein Brot dabei haben, sonst könnten wir sie füttern. Morgen nehmen wir welches mit. Und dort, die kleinen bunten Boote, sie bringen die Touristen auf die andere Seite des Sees. Wenn du möchtest können wir morgen einen Ausflug dorthin machen. Komm, lass uns weitergehen." Sie war völlig perplex, starrte auf den See und trottete ihm wortlos hinterher. In Limone angekommen, schlenderten sie durch die engen Gassen an Bars, Restaurants,
Leder- und Schmuckgeschäften vorbei. Überall wurden sie freundlich gegrüßt.
Ganz besonders war sie von den Häusern angetan. Jedes hatte eine andere Farbe und war wundervoll mit Blumen geschmückt. Aus den Fenstern hingen Leinen die mit Kleidung zum trocknen behängt waren. So etwas würde es in Deutschland nie geben. Als es schon dunkel war traten sie den Heimweg an.
Der See war wunderschön anzuschauen. Der Mond spiegelte sich darin und am Ufer erstrahlten die Lichterketten. An einer besonders schönen Stelle kehrten sie zum Schlummertrunk in einer Bar ein. Sie setzten sich an einen kleinen Tisch und bestellten 2 Gläser Rotwein. Keiner von beiden sprach ein Wort. Sie blickten auf den See und lauschten der romantischen, italienischen Musik. So ging ein wunderschöner Tag zu Ende. Und es folgte einer nach dem anderen. Sie unternahmen nur noch gemeinsam etwas. Er hatte eine gute Idee nach der anderen.
Und sie machte ohne Widerrede mit. Jeden Abend fiel sie erschöpft aber glücklich und zufrieden in ihr Bett. Sie lachten und redeten viel. Gingen shoppen, spazieren, machten Ausflüge und belohnten sich mit Pasta, Pizza und Tiramisu. Als Höhepunkt stand ein Ausflug auf den Monte Baldo an. Sie packten sämtliche Köstlichkeiten die Italien zu bieten hatte in einen Korb und stiegen in die Seilbahn, die sie ganz nach oben brachte. Oben angekommen suchte sie sich ein schönes Plätzchen auf einer Wiese die mit einer Unmenge an bunten Blumen übersäht war. Sie breiteten ihre mitgebrachte Decke aus, machten es sich bequem und ließen sich das Essen schmecken. So saßen sie eine halbe Ewigkeit. Um sie herum grasten Ziegen und Kühe. Der See wirkte von hier oben noch viel gigantischer. Jede Menge Surfer hatten ihren Spaß und rasten mit einer ungeheuerlichen Geschwindigkeit über die Wasseroberfläche. Der Ausblick war einfach atemberaubend. Die Sonne brennte und der angenehm frische Wind kühlte ihre erhitzen Gesichter. Sie lag da, ließ einfach die Seele baumeln und plötzlich setzte sich ein Schmetterling auf ihre Hand. Er hatte wunderschöne Farben und fühlte sich ganz weich an.
Sie betrachtete ihn eine ganze Weile, solange bis er sich vom Wind wieder forttragen ließ.
Sie setzte sich auf und sagte: "Es ist Zeit zu gehen. Bringst du mich bitte wieder runter zu unserem Hotel? Ich möchte gerne die Heimreise antreten!"
Erschrocken von ihrem plötzlichen Aufbruch starrte er sie an. "Warum? Was ist passiert?"
Sie antwortete mit Tränen in den Augen: "Du hast mir in den vergangenen Tagen gezeigt wie schön die Welt ist. Ich war in den letzten Jahren zu blind geworden um all diese schönen Dinge zu sehen. Sie waren mir selbstverständlich geworden und ich bin, ohne ihnen die kleinste Beachtung zu schenken, an ihnen vorbei gegangen. Ich war zu verbittert um mich an Kleinigkeiten erfreuen zu können. Und wie all diese Dinge, habe ich auch die Menschen in meinem Leben nicht mehr gesehen. Doch sie sind da und ich sollte es schätzen bevor ich sie verliere. Ich sollte dankbar sein das ich Freunde habe die zu mir stehen und nicht in Selbstmitleid zerfließen. Und ich sollte vor allem dankbar sein, dass ich dich getroffen habe und du mir die Augen geöffnet hast. Es war eine wunderschöne Woche".
Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.



Eingereicht am 31. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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