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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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All inclusive

© Eberhard Abelein


Zwei Wochen Rotes Meer für 650 Euro, das erschien Heinz ein akzeptables Angebot. Seine Frau Helga konnte und wollte nicht mit. "Es gibt doch bald Krieg", warnte sie ihren Heinz. "Und dann in Ägypten, in einem arabischen Land, du bist ja verrückt."
"Ach was", versuchte Heinz sie zu beruhigen, "die Araber sind doch Pfeifen, die scheren sich doch einen Scheiß um Hussein, die gehen ein bisschen auf die Straße, bekunden ihren arabischen Brüdern Solidarität, während sie gleichzeitig denken, gut, dass der Sack bald weg ist."
In einer mit All-inclusive-Passagieren vollgestopften Condor-Maschine flog Heinz also zum Roten Meer. Der All-inclusive-Tourist zeichnet sich dadurch aus, dass er mehr trinkt und frisst als normal Sterbliche. Das war auch für Heinz das durchschlagende Argument, seine misantrope Grundeinstellung hinten anzustellen und lieber den geldwerten Vorteil mitzunehmen. Als er im Cinderella Beach Club ankam, war für ihn klar, dass er den Jungs dort die Haare vom Kopf saufen und fressen würde. Die sollten ruhig mal sehen, was so ein Deutscher leisten kann, wenn er nur will. Und, das allerbeste daran: Wenn es nichts extra kostet, mundet es doppelt so gut, dachte Heinz und bestellte sich an der Hotel Bar erst mal ein Bier.
Sollen die anderen doch ihre Koffer auspacken, ich trink schon mal, versuchte er sich selbst vor den Mitreisenden zu rechtfertigen, die sich ja sonst was denken könnten. Eigentlich war es Heinz aber egal, was man von ihm hielt, schon vor vielen Jahren hatte er beschlossen auf die Meinung seiner Umgebung nichts mehr zu geben. Einzig auf Helga nahm er Rücksicht, obwohl ihm auch das immer weniger gelang. Helga schätzte seinen Bemühungen nicht, konnte sich gar nicht vorstellen, wie hart es für ihn war, sich über die Ansichten anderer einen Kopf zu machen. Anfänglich versuchte er seiner Frau zu erklären, dass er mit den Gedanken über sich selbst schon mehr zu tun hatte, als er bewältigen konnte, dass er ergo überhaupt keine Zeit übrig hatte, darüber zu sinnieren, was Herr A oder Frau B sich anmaßten über ihn zu denken. Sich mit sich selbst zu beschäftigen war eh seine Lieblingsbeschäftigung. Heinz verdiente sein Geld mit der allabendlichen Fahrgastbeförderung in Berlin, der ideale Job um nachzudenken, wie Heinz sich und anderen schon so oft die Vorteile zu erklären versucht hatte.
Taxifahrer, nannten es Unwissende abfällig, "Hallo Taxi" und ähnliches warf man ihm an den Kopf, wo doch bekannt sein sollte, wie Heinz befand, dass die Lizenz, ohne die man diese Tätigkeit gar nicht ausüben darf, Fahrgastbeförderungsschein heißt. Einzig, wenn impertinente Mitfahrer reden wollten, gefiel Heinz der Job gar nicht. "Pfui deifel", musste er sich schon wieder über solche Fahrgäste ärgern, während er auf das nächste Bier wartete. Zu lange, wie Heinz befand, aber am ersten Tag wollte er nicht schon Ärger machen. Kürzlich, da wollte so ein Anzugschnösel mit ihm über George W. Bush diskutieren, erinnerte sich Heinz, nachdem endlich so ein vor sich hingrinsender Ägypter ihm das zweite Bier hingestellt hatte. Meine Fresse, überkam ihn der Ekel, war das ein Bekloppter. "Einen Diktator kann man nur mit Gewalt überwinden", fing dieser Typ ein Gespräch an. "Was interessiert mich dieser Blödmann, hat der etwa mir oder irgendeinem anderen Deutschen schon jemals etwas angetan", konterte Heinz. "Nur weil Bush seine innenpolitischen Probleme, die horrende Verschuldung, das jämmerliche Wirtschaftswachstum, den schwindsüchtigen Bin Laden zu killen und was weiß ich was alles nicht in den Griff bekommt, will der Bagdad platt machen", fing Heinz an muffig zu werden. "Ja, wo sind wir denn, haben wir sonst keine Sorgen", setzte er noch nach. Zum Glück hielt der Fahrgast dann sein blödes Maul, denn hätte der noch weiter so unkritisches amerikahöriges Zeugs ausgespuckt, wäre Heinz richtig wütend geworden.
Aber diese Akademiker hatten nicht den Mumm richtig zu streiten, wie Heinz schon oft festgestellt hatte. Die brachten dann ein blödes Argument nach dem anderen, irgend einen Quatsch, den sie aus der Zeitung oder der Glotze aufgeschnappt hatten und schämten sich nicht mal hinterher zu blubbern, dass dieses oder jenes ja bewiesen sei, nur weil so ein Meinungswürstchen das geschrieben habe. Vierte Gewalt im Staat, darüber konnte Heinz nur müde lächeln. Deswegen las Heinz auch keine Zeitung mehr und den Fernseher benutzte nur Helga und seine achtjährige Tochter Jessica. Meine Güte, ging es Heinz durch den Kopf, jetzt denke ich immer noch an daheim. Noch ein Bier, ja der ganze Unsinn musste einfach weggetrunken werden, anders schien das nichts zu werden mit mal Ausspannen und so.
Heinz bestellte weitere Biere. Die Freundlichkeit des arabischen Hotelangestellten, der ihn mit Biere versorgte, machte mehr und mehr einer mitleidsvollen Betrübnis Platz, wie Heinz mit Freude feststellte. Recht so, der Kerl schien endlich begriffen zu haben, dass der Laden mit ihm kein Geschäft machen würde. Und das wäre erst der Anfang, befand Heinz, nachdem er sich endlich durchgerungen hatte, das ihm zugewiesene Zimmer in Beschlag zu nehmen. Dann stellte sich Heinz eine halbe Stunde unter die Dusche, so lang dauerte der Kampf mit dem Warm- und Kaltwasserhahn, bis er schließlich aufgab, weil es nur noch kalt aus der Leitung kam. Der Warmwasservorrat war verbraucht, "all-inclusvie war was feines", sprach Heinz beim Abtrocknen mit seinem Konterfei im Spiegel, bevor er sich in den Speisesaal aufmachte.
Das Buffet machte auf Heinz einen ganz vernünftigen Eindruck. Er schaufelte sich einen Teller voll mit Hühnerbeinen, Pommes und Salat, setzte sich abseits der anderen Hotelgäste an einen leeren Tisch und haute sich den Magen voll. Dazu trank Heinz Rotwein, der in äußerst kleinen Gläsern dargereicht wurde. "Das wird ihnen nichts helfen, da müssen sie nur öfters laufen um den Wein zu bringen", murmelte Heinz ärgerlich vor sich hin und trank, bestellte, trank, bestellte, und so fort. Doch der Wein wollte und wollte nicht berauschen, so dass Heinz schließlich in sein Zimmer ging, nicht ohne noch ein Glas mitzunehmen. Für den ersten Abend war Heinz nicht unzufrieden mit sich, drei Teller, so voll, dass kaum noch Weißes zu erkennen war und mehrere Süßspeisen hatte er weggeputzt, resümierte er den Abend, während er auf dem Bett liegend mit der Hand zärtlich über seinen Ranzen streichelte. Für heute soll es das gewesen sein, befand Heinz schließlich und schlummerte weg.
Am Morgen darauf wollte Heinz die Schlagzahl erhöhen, mal sehen, welche Menge an Essen man so an einem Tag in sich hineinbekommt. Und er markierte tatsächlich einen Wert, der erst mal zu schlagen sei, wie Heinz am zweiten Abend zufrieden konstatierte, als er auf dem Balkon seines Zimmers sitzend dem Treiben der Animateure zusah. Eine große Feuershow kündigte ein etwas dümmlich wirkender Kerl am Pool stehend über Lautsprecher an. Wenn da nur nicht die Miniaturgläser gewesen wären, in denen er sich andauernd selbst den Wein an der Theke holen musste. Die Flasche rückte ihm der Bursche hinterm Tresen trotz mehrerer Versuche nicht raus. Irgendwie war der auf dem Ohr taub. Anders konnte es sich Heinz nicht erklären, dass man ihn diesbezüglich nicht verstehen wollte. Nun denn, ein bisschen Bewegung kann ja nicht schaden, beruhigte sich Heinz, während er ein ums andere Mal die dreißig Meter von seinem Zimmer zur Getränketheke und zurück lief. Schließlich könnte er ja für jemanden, der mit ihm auf dem Balkon saß, einen Wein mitbringen, kam Heinz in den Sinn und ließ sich ab sofort immer zwei Gläser geben. Und das Personal rückte ohne Mucken auch zwei Gläser raus, zumindest ein kleiner Fortschritt, wie Heinz meinte. Ein weiterer Gast könnte sich ja zu ihnen gesellt haben, kam es Heinz schließlich in den Sinn und er bestellte ab sofort immer drei Gläser. Endlich ging es dann auch mit dem Berauschen voran und ein prächtiger Abend hätte sich entwickeln können, wenn, ja wenn da nicht alles ganz anders gekommen wäre. Heinz hasste es, wenn alles ganz anders kam wie geplant, nichts empfand Heinz mit größerer Abscheu als Überraschungen oder dergleichen, wie es spontane Menschen euphemistisch bezeichnen.
Die Akteure der inzwischen in fünfminütigen Abständen angekündigten Feuershow betraten das Areal, stellten sich um das Schwimmbecken auf, nahmen einen kräftigen Schluck aus der Spritflasche und warteten auf das Zeichen, dass der Spuk beginnen könne. Die Hotelgäste hatten es sich auf den eigens dafür aufgestellten Stühlen bequem gemacht und klatschten schon mal prophylaktisch. Ein Verhalten, das Heinz auf den Tod nicht ausstehen konnte. Wie konnte man sich nur dazu hinreißen lassen zu klatschen, ohne auch nur ein einziges Kunststückchen oder was auch immer gesehen oder gehört zu haben. Jetzt stellte es sich als richtig heraus, die anderen Gäste mit Missachtung bestraft zu haben, ja wie peinlich hätte es werden können, diesen Menschen mit Wohlwollen begegnet zu sein, um dann ihr widerwärtiges Verhalten ertragen zu müssen, mit diesem lächerlichen Geklatsche, bevor es überhaupt los gegangen ist. Menschenkenntnis hat man oder hat man nicht, weiß Heinz ja schon lange, lernen kann man die nicht. Die ist einfach drin oder sie kommt nie. "Na, dann wollen wir uns mal den Quatsch anschauen", munterte Heinz einen gerade noch rechtzeitig eintreffenden Zuschauer auf, als er sich unter seinem Balkon einen der letzten Stühle sicherte. Doch der schien ihn nicht zu hören. Und dann ging es auch schon los.
Während lautes Computergedönse, wie Heinz es abfällig nannte, wenn kein Instrument mehr rauszuhören war, über den Pool brüllte, begannen fünf Animateuere wahllos ihre brennbaren Flüssigkeiten auszuspucken und zu entzünden. Dabei tanzten sie wie Gehbehinderte, mal auf einem Bein, mal auf dem anderen, am Rand des Pools entlang. Keine zwanzig Sekunden später war der erste Auftritt schon zu Ende, das inzwischen wohl temperierte Publikum gab brav Beifall und Heinz sah die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. In seinen Augen war das Mumpitz, die Nachbarskinder zuhause könnten das besser, würde er ihnen nur den Reservekanister aus seinem Wagen hinstellen. Nach weiteren äußerst dümmlichem Rumhupfnummern, animiert durch kümmerliche Stichflammen, war es Heinz genug. Er holte nochmals drei kleine Weinproben, zog sich in sein Zimmer zurück und schaltete den Fernseher ein.
Ein arabischer Sender zeigte Bagdad bei Nacht, wahrlich eine bessere Vorstellung als die des Hotelpersonals, wie Heinz anfänglich glaubte. Flammenwände stiegen auf, fünfzig Meter hoch, Rauchsäulen durchzogen die irakische Nacht. Immer wieder die gleichen Bilder, Präsidentenpalast, irgendwelche Ministerien, und weiß der Teufel, was da im Feuer aufging. "All inclusive", ging es Heinz durch den Kopf, ja das ist jetzt mal ein echtes "all inclusive". Heinz blickte gebannt in die Glotze, immer wieder sah er die Bilder, die alle Fernsehanstalten mangels anderer Informationen Stunde um Stunde durch den Äther schickten. Die ganze Nacht saß Heiz da, schon längst hatten die Feuerspucker des Hotels ihre Darbietungen beendet, die Gäste ihre Zimmer aufgesucht, der Ausschank geschlossen, und Heinz wurde immer nachdenklicher. Irgendwie stimmt hier etwas nicht, stellte Heinz fest, als er schließlich doch das Fernsehgerät ausmachte, das Licht ausgeknipste und sich in das Leintuch einrollte um zu schlafen. Doch der Schlaf erlöste ihn diesmal nicht, noch so viele Gläser Wein taten ihre Wirkung nicht, Heinz wälzte sich mal auf die eine, mal auf die andere Seite. Die Bilder explodierender Geschosse, flammenspeiender Brandbomben aus Bagdad vermischten sich immer wieder mit denen feuerspuckender Animateure am Pool. Und als sich die ersten Sonnenstrahlen aufmachten die Dunkelheit aus dem Zimmer zu vertreiben, stand Heinz auf, packte seine Sachen zusammen, schlich sich von der Hotelanlage, ging die drei Kilometer zu Fuß zur Hauptstraße um dort den ersten Bus zum Flughafen zu erreichen.



Eingereicht am 28. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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