Kurzgeschichtenwettbewerb Kurzgeschichten Wettbewerb Kurzgeschichte Schlüsselerlebnis   www.online-roman.de

Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

www.online-roman.de
www.ronald-henss-verlag.de

Der Schlüssel zum Glück

© Daniela Pongratz


Jahr 2000
Christina drehte zögernd den Schlüssel im Türschloss um. Ebenso unsicher in ihrem Tun, drückte sie die Klinke hinunter und öffnete die Türe zu ihrem Hotelzimmer. Michael stand dicht hinter ihr. Sie lächelte ihn an und bat ihn, ohne ihre Unsicherheit sich anmerken zu lassen, hinein. "Setz dich." Sie zeigte auf die 2-Mann-Couch in der Ecke. Das Zimmer bot für ein 3-Stern-Hotel viel mehr Komfort als sie sich erwartet hatte. Die hübschen, teilweise recht alten Möbelstücke waren liebevoll im großzügigen Raum verteilt und beherbergten trotz ihres vorangeschrittenen Alters, alles was der Mensch von heute auch in seinem Urlaub nicht missen will. (TV, Radio, Klimaanlage, Heizung und eine prall gefüllte Minibar). Es bot eine heimelige Atmosphäre, wenn man nach einem langen Schitag voller Action sich wieder regenerieren musste. Aus der Minibar holte sie eine kleine Flasche Sekt. In solchen Situationen sollte man doch nicht an Preise denken. Diverse Kosmetikartikel, die die Oberfläche einer Kommode unschön bedeckten, wurden unauffällig zur Seite geschoben und Flasche und Gläser darauf gestellt. Michael begutachtete inzwischen von der Couch aus das Zimmer. "Ein schönes Zimmer." stellte Michal fest.
"Ja", antwortete Christina kurz.
"Du musst was sagen - Konversation - es sollte Rhetorik-Kurse für solche Situationen geben." Christina ärgerte sich gedanklich selbst über die karge Konversation. Aber ihr war wirklich nicht nach Reden zu Mute. Schließlich stand es nicht auf ihrem alltäglichen Plan, Männer, die sie erst knapp kannte, auf ihr Zimmer einzuladen.
"Aber du bist ja so einsam", jammerte ihr Herz, als sie den Sekt in die Gläser füllte. "Das kannst du jetzt ändern", forderte es auf. "Michael ist jetzt ja nur hier, weil dir ein Mann fehlt. Du lässt dich jetzt also gleich auf jeden X-Beliebigen ein und lässt dich von ein paar abgedroschenen Komplimenten schon rumkriegen. Wohl schon die Torschlusspanik, was?", lästerte ihr Gewissen.
"Schluss, jetzt", murmelte Christina in sich hinein, um dem Verwirrspiel ihrer Gedanken Einhalt zu bieten.
"Hast du etwas gesagt?", fragte Michael.
"Nein." Sie drehte sich mit den zwei vollen Gläsern um, reichte ihm eines und setzte sich zu ihm.
"Prost", sagte sie.
"Auf einen schönen Abend", sagte er halblaut und veröffentlichte mit diesen Worten gleich seine Absichten. Es war schon halb 12. Der Abend war also längst vorbei. Woran Michael dachte, war sicher die Nacht.
Die Gläser klirrten.
"Nein, als sich Marianne heute beim Abendessen, mit dem Tomatensaft anschüttete, wusste ich nicht mehr, wohin ich schauen sollte", sagte Christina völlig unpassend sehr laut und die Bilder dieser Erinnerung brachten sie tatsächlich wieder zum Lachen. "Und sie hat sich so richtig schön aufgeregt. Ich dachte, ich müsste sterben vor lauter lachen."
Aber es half Christina gar nichts, sich selbst von der Romantik dieses Moments abzulenken, denn Michael ließ sich nicht irritieren und kam ihr näher. Und wie durch einen Magneten - oder war es bloß nur die Sitte oder der Anstand in dieser Situation? - wurde Christina zu Michael gezogen. Christina war es, als ob Michael zu küssen, eine Entscheidung für ihr Leben sein sollte. Doch es sollte nur ein Kuss werden - oder?
"Moment!", den Mund des anderen noch nicht erreicht, sprang Christina wie vom Floh gebissen auf.
"Chips. Ich glaube, in der Minibar sind noch Chips!" Als ob dies die Eingebung des Jahrhunderts gewesen wäre, stürmte sie zur Minibar. Michael verstand die Welt nicht mehr - aber Männer verstehen Frauen sowieso nicht - na gut, selten. Er sprang ihr nach.
"Was mache ich falsch?"
Christina drückte sich an den Tisch in der Ecke und klammerte sich an diesem fest. Michael kam ihr immer näher. "Da ist etwas!" wieder fuhr sie erschrocken hoch. Nur dieses Mal, war es nicht um dem Kuss auszuweichen. "Da ist wirklich etwas unter dem Tisch."
Sie ging in die Hocke und untersuchte die Unterseite der Tischplatte. Und wahrlich: Mit einem Klebeband festgemacht, klebte dort ein Schlüssel.
"Na, so etwas. Wo der wohl passt?", fragte sie aufgeregt mit kindlicher Neugierde.
"Ja, da wäre ich auch gespannt", antwortete Michael weniger enthusiastisch.
"Vielleicht gehört er zu dieser Türe." Christina zeigte auf jene Türe, die der Portier bei ihrer Frage beim Einzug ins Zimmer mit "privat" kurz und bündig abgetan hatte.
"Schauen wir mal, ob er passt." Christina grinste. "Ein Geheimgang vielleicht. Man weiß ja nicht bei diesen alten Hotels, ob es da nicht versteckte Gänge oder Räume gibt."
"Sicher", brummte Michael.
Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und er ließ sich tatsächlich auch umdrehen. Sie grinste Michael verschmitzt an, als sie langsam die Türe öffnete.
Was sie da zu sehen bekamen, war aus jeder Perspektive zwar anders zu betrachten, aber auf alle Fälle für alle unerwartet. Christina konnte sich nach kurzem Erstaunen nicht halten und fing lauthals zu lachen an, so dass ihr die Tränen aus den Augen schossen. Michael sagte nur: "Gut, ich glaube, der Abend ist gelaufen, ich verabschiede mich für heute", und er verließ das Zimmer. Diese etwas humorlose Aussage machte die Situation noch witziger. Christina saß mittlerweile schon am Boden. Übrigens, die Türe war in der Zwischenzeit schon wieder zu.
Na, was gab es jetzt hinter der Türe zusehen? Ja, das wollt ihr jetzt natürlich alle wissen. Ist ja klar - und ich verspreche euch, die Damen werden nicht enttäuscht sein. Hinter der Türe befand sich ein nackter, knackiger Männerhintern. Natürlich war da nicht nur der Hintern, sondern auch der dazugehörige Mann, der scheinbar gerade aus der Dusche gestiegen war. Der hatte natürlich nach dem ersten Schock, gleich die Türe wieder zugeknallt. Christina öffnete die Balkontüre um frische Luft zu schnappen. Sie betrat den Balkon und atmete tief ein, aber ein Lachen drohte ihr wieder den Atem zu nehmen. "Jetzt beruhige dich doch", dachte sie bei sich und sie konzentrierte sich auf das Balkongeländer, das einst kunstvoll vom Urrossvater der Eigentümerin des Hotels bemalt worden war. Aber dann wurde ihr Entdeckersinn wach. Sie ging aus dem Zimmer. Das Nebenzimmer, musste ja auch eine zweite Türe haben, denn wenn ein junger Mann durch ihr Zimmer gegangen wäre, das hätte sie ja dann doch bemerkt. Sie hatte immer gedacht, dass sie das letzte Zimmer im Gang hätte, erst jetzt wurde ihr bewusst, dass da noch eine schmälere Türe aus einem einfacheren Holz als die anderen war. Daneben stand aber nicht die Zimmernummer sondern das Wort "privat". Sie ging wieder in ihr Zimmer. Sollte sie sich entschuldigen? Nachdenklich setzte sie sich auf die Couch. "Du willst ja nicht ewig allein dein Dasein fristen - es gäbe wieder einmal eine Möglichkeit Kontakt zu knüpfen", forderte ihr Herz auf. "Dass du da so hineingeplatzt bist und dann auch noch den armen entblößten Mann ausgelacht hast, war nicht nett. Entschuldige dich höflich", befahl ihr Gewissen. Dieses Mal waren Herz und Gewissen sich einig. Sie legte sich ein paar entschuldigende Worte zurecht und klopfte dann entschlossen an die Verbindungstüre. Der Mann musste in der Nähe der Türe gestanden sein, denn er öffnete diese sofort. Dieses Mal war er aber mit Jeans und T-Shirt bekleidet.
"Hallo. Es tut mir Leid, dass ich vorher so überraschend bei Ihnen hineingeplatzt bin. Aber ich habe unter einem Tischchen einen Schlüssel gefunden und ich habe einfach nur probiert, ob er irgendwo passt."
"Schon okay. Das konnten Sie ja gar nicht wissen, dass er überhaupt passt und dass ich dahinter - äh - ohne - ohne Kleidung stehe. Aber wo, sagen Sie, haben sie den Schlüssel gefunden?"
"Er war unter dem Tisch mit Klebeband befestigt." Christina zeigte auf das Möbelstück.
"Ist ja unfassbar!", rief der junge Mann erstaunt aus. "Seit Jahren, was sage ich, fast Jahrzehnten, suchen wir diesen Schlüssel. Hi, ich bin Matthias. Ich bin der Neffe der Hoteleigentümerin hier." Er reichte Christina die Hand.
"Ich heiße Christina - und ich bin die Finderin des verlorenen Schlüssels", flötete sie stolz und lächelnd.
"Darf ich Sie zum Dank auf ein Getränk einladen?"
"Gerne."
"Irgendwie kam mir das heute wie ein Déjà-vu-Erlebnis vor", sagte Christina und nahm einen Schluck ihres Cocktails.
"Wieso - es kann ja wirklich nicht sein, dass du so einen schönen Hintern schon einmal vorher gesehen hast."
Christina lachte. "So lustig, wie heute, war es schon lange nicht mehr. Nein, ich meine, als du dann angezogen vor mir gestanden bist und dich gefreut hast, dass du den Schlüssel gefunden hast, da war mir so, als ob ich das schon einmal erlebt hätte."
"Aber mir ist das auch alles so bekannt vorgekommen." Matthias meinte es ernst. Er grübelte und runzelte seine Stirne. Christina fand das sexy und sie lehnte sich zurück und genoss den Anblick.
"Das war früher einmal eine Jugendherberge - warst du vielleicht schon früher einmal hier?", fragte er.
"Das ist - ich meine - das war die Jugendherberge?" Christina fiel es wie Schuppen vor den Augen. "Ja, dann war ich schon einmal als Kind da! Ich wusste, dass ich hier in der Gegend auf einen Schulausflug gewesen bin, aber dass die damalige Jugendherberge dieses Hotel ist, habe ich nicht gewusst. Vielleicht sind wir uns tatsächlich hier schon als Kinder begegnet."
Und je mehr sie in der Vergangenheit gruben, umso näher kamen sie dem damaligen Ereignis, das sie wirklich verband. Doch mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Der nächste Tag wurde nur für gemeinsame Aktivitäten reserviert. Sie schlitterten am Eis, rodelten die Piste hinunter und labten sich bei Glühwein und einer gemeinsamen Pfanne Kaiserschmarrn. Der Tag war einfach herrlich. Es war übrigens der letzte Tag des Jahres. An den Straßenrändern warben viele Standeln mit Glückbringern und Raketen und was man sonst noch alles benötigte um ins neue Jahr hinüberzurutschen. Aber Matthias brauchte dazu nur Christina und Christina genügte da auch vollkommen Matthias.
Als sich die mitternächtliche Stunde mit Sekundenschritten, die laut von den Touristen und Einheimischen auf den Straßen gezählt wurden, hielten sich die beiden fest an den Händen und wünschten sich inniglich, dass das neue Jahr so beginnen wollte, wie das alte endete. Und beim Glockenschlag fielen sie sich um den Hals und küssten sich. In diesem Moment kamen zwei Betrunkene des Weges. Einer fuchtelte mit einer Spritzkerze herum, der andere hielt ein Feuerzeug in die Höhe. "Gutes neues Jahr!" brüllte dieser die Küssenden griesgrämig an und kam dabei den erschrockenen Matthias so nahe mit dem Feuerzeug, dass sein Schal Feuer fing. Matthias warf vor lauter Schrecken seinen Schal weit von sich. Zu weit. Er landete auf dem Gelände des Balkons des Hotels. Der Balkon fing Feuer. Der Brand konnte Gott sei Dank schnell gelöscht werden, aber Großvaters Bemalungen waren für immer zerstört.
Jahr 1985
In der Jugendherberge schliefen die Kinder bereits. Auch die Lehrer waren schon zu Bett gegangen. Doch zwei Kinder trippelten mit nackten Füßchen den dunklen Flur entlang. Das kleine blond gelockte Mädchen, das nur mit einem Hemdchen bekleidet war, hielte den Zeigefinger auf seine Lippen. "Pst, wir müssen leise sein", sagte es zu dem Jungen im Pyjama, der etwas größer war als sie. "Einen Stock tiefer hängt das Brett mit den Schlüsseln", flüsterte der Bub. "Komm!"
Das Brett hing hoch. Auch auf Zehenspitzen konnte der kleine Matthias es nicht erreichen. "Siehst du den Schlüssel mit dem gelben Anhänger? Den brauchen wir. Komm ich hebe dich hoch, dann erreichen wir ihn gewiss." Christina nickte und ließ sich von Matthias hochheben und grabschte nach dem Schlüssel. "Wir haben ihn!" Christina und Matthias freuten sich und begaben sich wieder in das Zimmer, in dem die anderen Kinder schliefen. "So, jetzt kann uns die dumme Lehrerin nicht in aller Frühe aus den Betten scheuchen. Jetzt muss sie schon einen Umweg machen." Matthias versperrte mit dem Schlüssel jene Tür, die das Schlafgemach der Lehrer von jenem der Schüler trennte. "Was machen wir jetzt? Wir müssen den Schlüssel verstecken, damit sie ihn nicht so schnell finden", sagte Christina aufgeregt.
"Ich weiß etwas", Matthias grinste. Er nahm aus seinem Nachtkästchen ein Klebeband heraus und blickte suchen um sich. "Da unter das Tischchen kleben wir ihn - da wird ihn so schnell niemand finden …"
Jahr 2005
Christina warf erschöpft ihren Koffer auf das Bett, das dabei seufzend seinen raunzenden Kommentar abgab.
"Du wirst sehen, ein paar Tage Urlaub werden dir gut tun", sagte Birgit ihre Freundin, die schnaufend mit zwei voll gestopften Koffern das Zimmer betrat. Den heiligen Boden des Zimmers erreicht, war es Zeit zum Loslassen und wenn es zuerst auch nur die schweren Koffer waren. "In genau dem gleichen Zimmer sind wir uns damals näher gekommen", seufzte Christina. "Vielleicht war es doch keine so gute Idee, hierher zu kommen."
"Sicher, du wirst schon sehen", munterte Birgit sie auf. "Schau mal, wie schön es draußen ist. Die verschneiten Berge laden ja richtig zum Schifahren ein." Birgit öffnete die Balkontüre. Die frische Luft trat ein und Birgit hinaus. "Komm doch mal heraus und genieße die Landschaft und die Luft", forderte Birgit auf. Christina trottete auf den Balkon.
"Weißt du," meinte Christina als sie nachdenklich über das vom Urgroßvater des Hauses Hand bemalte Geländer strich, "ich hatte damals das Gefühl, dass ich vor einer wichtigen Entscheidung - wie vor einer richtigen Lebensentscheidung stehen würde, als mich Michael das erste Mal küssen wollte. Und vielleicht war es das auch. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich ihn nicht geküsst hätte. Vielleicht wäre mir der ganze Scheidungsprozess, die Streitereien erspart geblieben. Aber wer weiß …"



Eingereicht am 27. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


»»» Weitere Schlüsselerlebnis-Geschichten «««



»»» Kurzgeschichten: Humor, Satire, Persiflage, Glosse ... «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» Kurzgeschichtenund Gedichte «««
»»» HOME PAGE «««

Kunterbunte Blog-Empfehlungen
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kindergeschichten «««
»»» Krimis «««
»»» Gruselgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten Patricia Koelle «««
»»» Blumengedichte «««
»»» Wiesenblumen «««
»»» Blumenfotos «««
»»» Sommergedichte «««
»»» Sommergedichte «««
»»» Frühlingsgedichte «««
»»» Frühlingsgedichte «««
»»» Frühlingsgedichte «««
»»» Frühlingsgedichte «««
»»» HOME PAGE «««