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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Cherokee

©Sabine Dreyer

Ich halte das Amulett in der Hand und ein Lächeln brennt sich auf mein Gesicht. Wenn ich jetzt die Augen schließe, höre ich die Trommeln wieder und den leisen Sprechgesang, wie er ansteigt und lauter wird. Fast monoton und doch wie eine Melodie mit einem fremdem Klang.
Ich spüre den Atem des Braunen an meinem Ohr. Sein Schnauben sagt mir, dass es mir gut geht und er mich mag. Und ich streichle sein weiches Fell und weiß, dass er Recht hat.
Zwei Jahre ist es her, und trotzdem rieche ich den Braunen mit geschlossenen Augen. Der Duft aus wildem, ungezähmtem Temperament, vermischt mit dem herben Geruch von Heu und Feuer. Und ich rieche die Haut an meiner, den Schweiß aus Lust und Zufriedenheit.
Cherokee, ein Name für ein Leben in einer Welt aus Ursprung und Glück.
Mein Flieger ging viel später als geplant. Stundenlanges Warten und es war so dunkel in dieser hässlichen Halle. Auch das Neonlicht konnte nichts an der Dunkelheit ändern, die die wartenden Menschen verbreiteten.
Meine eigene Dunkelheit machte mich fast blind für alles, was um mich herum geschah.
Ich bemerkte ihn erst im Flugzeug, auf dem Sitz neben mir. Exotisch sah er aus, fremd und geheimnisvoll. Er hatte seine schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden und trug normale Kleidung, doch darunter schien ein wildes Tier zu schlafen. Dieser Mann machte mir Angst und faszinierte mich gleichzeitig. Seine Augen waren tiefe Seen, die Geheimnisse verbargen, über die ich noch nicht nachdenken wollte. Und der Blick schien durch mich durch zu gehen - auf der Jagd nach meiner Seele, um sie auszuspionieren.
Ich weiß nicht mehr, in welcher Gedankenwelt ich mich befand, als er mich ansprach. Sein Englisch hatte einen leichten Akzent, den ich nicht zuordnen konnte und seine Stimme klang hypnotisch. Ich war versucht, die Augen zu schließen und mich ihr zu ergeben, doch ein Rest von guter Erziehung ließ mich antworten.
Meinen Namen wollte er wissen, und er sagte mir seinen dafür. Es würde ein langer Flug werden und so nah beieinander sollte man sich ansprechen können.
Cherokee, dieser Name löste nicht nur unwirkliche Erinnerungen an alte Indianerfilme in mir aus, sondern noch etwas anderes, für das ich keine Worte fand.
Nur zögernd konnte ich seinen Blick erwidern und sah in diesen tiefen Augen plötzlich auch Freundlichkeit und Wärme. Eine unbehagliche Wärme, die sich so verdammt fremd anfühlte.
Der Flug dauerte dreizehn Stunden und wir sprachen nicht viel, schwiegen gemeinsam und ich merkte, dass es nur wenige Menschen gibt, mit denen man entspannt und in gegenseitigem Einvernehmen schweigen kann. Cherokee war einer dieser Menschen.
Unser Ziel hieß New Mexico. Meines war die große Stadt, er wollte in die Weiten des Landes.
Als unser Flug dem Ende zuging, legte Cherokee seine Hand auf meine und fragte, wie wichtig mein Besuch wäre. Ich antwortete, wenig wichtig. Nichts war mehr wichtig, nur der Geist, der mich gefangen nahm und dessen Namen ich nicht kannte. Aber ich folgte ihm neugierig und in unbekanntem Vertrauen.
Die Reise führte uns weg aus dem Moloch der großen Stadt und hinaus in ein wildes Land, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein schien. Ich sah kaum Menschen und noch weniger Häuser und Autos. Der ängstliche Gedanke vor einer Fahrt mit ungewissem Ziel streifte mich. Nur ein wenig.
Aber der große Jeep, den Cherokee lenkte, kannte die Straßen und brachte uns zu einem Reservat, in dem auch die letzten dunklen Gedanken verschwanden.
Cherokee führte mich zu einer kleinen Hütte, aus der es nach gebratenem Fleisch und Kräutern duftete. Ein Geruch, der mich betäubte und vergessen ließ, wo mein Ziel hätte sein sollen. Dann verschwand er mit gebeugtem Kopf durch den schmalen Eingang und ließ mich stehen.
Später kam er wieder und dann sah ich endlich den Mann, den ich schon im Flugzeug vor mir gesehen hatte. Er hatte seinem wilden Körper die Freiheit gegeben und trug nichts außer einem Lendenschurz aus Leder. Seine schwarzen Haare waren jetzt geflochten und es steckten die bunten Federn eines Vogels darin, den ich nicht kannte.
Cherokee trug den Namen seines Stammes und er zeigte mir sein Dorf und erzählte mir ein wenig über sein Volk. Zu wenig, um alles zu verstehen. Und ungläubig lauschte ich den Worten, die aus einem anderen Leben kamen.
Die Menschen, die wir trafen, waren freundlich und nahmen mich auf wie eine von ihnen. Eine ältere Frau mit wachen Augen reichte mir wortlos ein Gewand mit bunten Perlen und Lederfransen und Cherokee sagte mir, ich könne es tragen. Am Abend wäre das Fest des Sommers und die Menschen im Reservat würden feiern. Ein Fest, zu dem ich eingeladen sei. Das einzige Sommerfest des Jahres, und es sollte viele Monde dauern.
Junge wie alte Dorfbewohner musterten mich mit neugierigen Augen und ich spürte manchmal warme Hände an meinen Armen und Schultern. Nur wenige sprachen Englisch und ich verstand die Worte nicht, die sie sagten, wohl aber den Sinn. Es war, als hätten sich sämtliche Sprachen der Welt zu einer einzigen vereint und aus sinnlosen Floskeln wurde eine Sprache des Herzens.
Mit der Dunkelheit erwachten die Feuer, und über dem sonnenverbrannten Land erklang der Gesang der Trommeln und erzählte vom Donnern der Pferdehufe und vom Kriegsgeschrei früherer Jahre.
Als sich die Nacht über uns ausbreitete, spürte ich neben mir die Hitze des Mannes, der mich hierher gebracht hatte. Ich sah sein Gesicht im flackernden Schein des Feuers, und auf einmal war nichts Fremdes oder Angsteinflößendes mehr darin. Nur ein vertrautes Gefühl von Nähe und Leben, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Die Falten um seine Augen erzählten von einem Leben, was ich nicht kannte, was mir aber dennoch so vertraut schien. Es war ein Leben aus Wunsch und Traum, und er hatte es gelebt. Auch die Tiefe des Blickes klärte auf und ließ mich die Weisheit und Ruhe erkennen, die sich darunter verbarg.
Ganz selbstverständlich gab ich dem Drang nach, mich anzulehnen und zu dem zu werden, was ich nur selten war: ein Mensch.
So betrachtete ich die feiernden Indianer und spürte gleichzeitig Wut und Schmerz über vergangene Dinge, von denen ich nicht viel wusste. Hinter mir stand der Braune. Seine Nüstern stießen dampfenden Atem aus und er flüsterte mir zu, während meine Hand über sein Fell glitt.
Ich ließ den Blick über die Menschen und das Feuer schweifen und ich sah viele Gesichter, die - genau wie ich - nicht in diesen Kreis geboren wurden. War es Schicksal oder freier Wille?
Die alten Lieder und Tänze betäubten meine Sinne. Ich spürte kaum die Hand, die mich mitzog und in die Menge einreihte, aber ich spürte das Zucken meines Körpers, der den Tanz in Trance erkannte und wie einen alten Freund begrüßte. Und ich spürte den Gesang auf meiner Zunge - fast wie eine Muttersprache, ein Stück selbst gebackenes Brot.
Irgendwann spürte ich auch wieder diese Hand, die mich so lange gehalten hatte. Und dieses Mal zog sie mich weg aus der Menge der tanzenden Menschen. Weg aus dem Schein des Feuers und hinein in eine monddurchflutete Nacht der Leidenschaft.
Der Schmerz dieser Liebe war gewaltig und zum ersten Mal spürte ich, was es bedeutete, Eins zu sein. Eins zu sein mit einem anderen Menschen.
Ich sah, ich roch, schmeckte und fühlte und es war gut und es tat weh. Schweiß vermischte sich mit Tränen und Körper fanden sich in einem Tanz wieder, der niemals enden sollte. So eng, so nah, so anders und so echt. Wahrer als jeder Traum, fester als jeder Glaube und tiefer als jedes Meer.
Irgendwann schlief ich neben Cherokee ein und als ich erwachte, lag er noch immer neben mir und sah mich an. Sein ruhiger Atem gab mir einen Frieden, der neu und unglaublich war. Und schenkte mir ein Lachen, was ich verloren glaubte.
Drei Wochen lebte ich im Reservat, als hätte ich nie etwas anderes getan. Ich trug die Haare lang und offen, wie es sein sollte. Trug gewickelte Tücher mit indianischen Motiven und bunten Perlen geschmückt. Und trug sonst nichts auf meiner Haut und an den Füßen.
Drei Wochen erlag ich Nacht für Nacht dem Schmerz einer Liebe, die ich nie wieder loslassen wollte, deren Ende aber immer näher kam.
Und drei Wochen lebte ich ein Leben, von dem ich nicht wusste, ob ich mich dafür oder dagegen entscheiden würde. Lebte ein Sommerfest, das nicht enden wollte, nicht enden sollte.
Am Tag meiner Abreise schenkte Cherokee mir ein Amulett. Er flüsterte leise in mein Ohr, es wäre ein Teil seines Geistes. Der Teil, der jetzt mir gehöre. Und das wir uns dann wieder sehen würden, wenn ich das Amulett betrachten und dabei lächeln könnte.
Er brachte mich noch zum Flughafen. Wir küssten uns nicht, wir sahen uns nur an. Und diesmal sah ich wieder diese undurchdringliche Tiefe seines Blickes. Aber ich kannte nun das Geheimnis darunter und spürte den Druck seiner Hände, die meine hielten. Und ich wusste, sie würden mir all das mit auf den Weg geben, was ich für mein weiteres Leben brauchte.
Zwei Jahre ist es her. So lange hat es gedauert, bis ich das Lächeln fand. Mein Blick richtet sich auf das Amulett und dann gen Westen. In ein Land der Kraft und der Liebe. Die Tränen sind versiegt und die Augen voll von neuem Glanz. Es war plötzlich ganz einfach.
Es ist nicht die Trauer, die über unser verlorenes Leben siegt, es ist die Freude auf den Kampf, uns dieses Leben zurück zu holen und zu leben. Und die Hoffnung auf den Sieg.


Eingereicht am 14. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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