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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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PMS

©Renate Norder

"Mein Mann hat Nachtschicht" schallte die hysterische Stimme vom Balkon des dritten Stockwerks über die Köpfe der Kinder hinweg, die sich zahlreich auf der Straße zum Spielen versammelt hatten. Um gleich darauf von der keifenden Stimme der Frau A. aus dem Erdgeschoß von Nr. 53 abgelöst zu werden. "Lasst ihr wohl meine Anja in Ruhe, ihr Fiesen!" "Und du, geh mal ganz schnell dahin wo du hergekommen bist, du wohnst hier doch überhaupt nicht!" "Eeelkee komm sofort rein, ich habe dir gesagt, du sollst nicht mit Simone spielen, die mit ihrem ausländischen Vater!"
Die Dame des Hauses schüttelte sich bei dieser Erinnerung. Dieses kurze zurückversetzt werden in ihre eigene Kindheit gefiel ihr überhaupt nicht. Schuld daran war Bill, der soeben den jüngsten Spross der Familie samt seinen zwei Freunden angeblafft hatte, sie sollen gefälligst auf dem eigenen Grundstück bleiben, bei ihm auf der Auffahrt hätten sie nichts zu suchen!
"Alte Menschen können einem schon das Leben unerträglich machen", dachte die Dame des Hauses. Gab es ein ungeschriebenes Gesetz, das alten Menschen das Recht gab anderer Leute Kinder grundsätzlich anzublaffen? Wieso konnten sie nicht in einem normalen Umgangston mit Kindern sprechen? Hatte sie sich jemals über dieses Ding, das sie Hund nannten, beschwert, weil es stundenlang ohne Unterbrechung bellte wenn sie außer Haus gingen? Nein, hatten sie nicht, aus Rücksicht darauf, dass es alte Leute sind. Dabei mussten sie und der Herr des Hauses schon häufiger der Versuchung widerstehen ihren eigenen großen Hund über den Zaun zu hieven um dem Ding mal Bescheid zu geben.
Um sich von ihrer Wut abzulenken, versuchte sie krampfhaft an schönere Dinge zu denken. Nur so richtig wollte ihr das nicht gelingen. Sie sah vor ihrem geistigen Auge wieder den Herrn des Hauses wie er gestern mal wieder den Kaffeetropfen, der an seiner Tasse herunterlief, ableckte. Das ging der Dame des Hauses ganz gehörig auf die Nerven. Sie fand das sah richtig doof aus, wie er so blitzschnell den Kaffeetropfen ableckte. Ob er das auch woanders so machte? Musste sie sich deshalb schämen? Stellvertretend für ihn, sozusagen? Die Dame wollte sich nicht mehr für ihre Mitmenschen schämen (auch nicht für diejenigen, mit denen sie ein Bett teilte). Solange sie nicht dabei war, sollte es ihr auch gleichgültig sein. Vor einigen Wochen war ihr zum ersten Mal diese blitzschnelle Bewegung aufgefallen. Zunächst dachte sie, sie sei einer optischen Täuschung auferlegen, da jedes Mal wenn sie hinguckte, das Schlecken auch schon wieder vorbei war. Um also ganz sicher zu sein bevor sie etwas sagte, beobachtete sie ihn scharf (meistens aus dem Augenwinkel, damit er es nicht bemerkte). Und tatsächlich war es eines Tages (das lange Warten hatte sich gelohnt) soweit. Da rief sie aus "Ha, also doch!" während ihr Zeigefinger anklagend auf ihn zuschoss. "Du leckst den Tropfen Kaffee an deiner Tasse ab!" "Tu ich das?", fragte er verwundert. "Ja", rief sie aufgebracht. Sie bat ihn es sich wieder abzugewöhnen, da es (vorsichtig ausgedrückt) nicht ganz so toll aussieht.
Sie hatte sich zur Gewohnheit gemacht ihn anzustarren, wenn er eine Kaffeetasse in der Hand hielt. Der Herr des Hauses tat natürlich so als ob er dies nicht bemerken würde und schleckte weiterhin blitzschnell an der Tasse herum. Neuerdings auch schon mal am Wasserglas. Wie sie diesen Anblick hasste!
Sie ging auch nicht gerne mit ihm zum Einkaufen. Wenn er aber doch mal mit wollte, dann schubste sie ihn regelmäßig ungeduldig an die Seite, wenn er die Lebensmittel auf's Fließband legen wollte. Weil sie den Anblick nicht ertragen konnte, wie er extrem langsam die Sachen aus dem Einkaufskorb nahm, sie im Zeitlupentempo im Abstand von drei Metern voneinander auf's Band legte um dann wieder extrem langsam in den Korb zu greifen ... Er war aber nützlich wenn es darum ging sich an der Wursttheke anzustellen, fand sie.
Die Dame des Hauses wollte den Einkauf so schnell als möglich erledigt haben und nicht den Rest ihres Lebens im Supermarkt verbringen.
Gestern hatte der Herr des Hauses einen Lutscher gelutscht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das sah so aus, dass er ihn ganz in den Mund nahm, dann langsam aus dem Mund hervorzog, wobei gleichzeitig beide Lippen fest um den runden Lutscher gestülpt waren um dann mit einem leichten Schmatzer (ok, zugegeben, den konnte man nur hören, wenn man drauf lauerte) den Lutscher freizugeben und das Ganze dann wiederholte bis er ganz aufgelutscht war. Die Dame des Hauses hätte ihm gerne den Lutscher aus dem Mund gerissen um ihn dann hysterisch zu zertrampeln. Sie fand, das sah noch bescheuerter aus als die Tasse abzulecken.
Die Krönung war aber die Art und Weise wie er Pommes aß. Die schob er sich einzeln seitlich in den Mund um sie mit den Backenzähnen zu zerkauen. Aber erst, nachdem er wenigstens zweimal hektisch von der Pommes abgebissen hatte um sie sich dann ganz schnell in den Mund zu schieben. Sie hasste diesen Anblick noch mehr als das Tropfen ablecken oder Lutscher lutschen. An das Geräusch, das dabei verursacht wurde wollte sie gar nicht erst denken.
Wenn die Dame des Hauses unter PMS litt, litt der Rest der Familie auch, aber hallo! Dann könnte sie glatt ihren Mann (er)schlagen wenn er Pommes aß (oder einfach nur nach der Arbeit nach Hause kam) und ihre Kinder dermaßen in den Hintern treten, dass sie der Tritt gleich nach draußen beförderte, wenn sie sich nicht benahmen. Konnte man eigentlich mildernde Umstände geltend machen wenn man PMS geschädigt einen Mord begann?
Wieso konnte der Herr des Hauses keine perfekten Manieren haben? An ihr gab es ja schließlich auch nichts auszusetzen, oder?
Na ja, wenigstens bohrte er nicht in der Nase und furzte auch nicht ständig herum in ihrer Gegenwart. Beim Pinkel machte er die Klotür hinter sich zu und wusch sich sogar die Hände danach. Und Mutti nannte er sie auch nicht. Was wollte sie eigentlich mehr? Und PMS taucht ja auch nur alle paar Wochen für drei Tage oder so auf, da konnte sie ihm ja aus dem Weg gehen und heimlich Hasslisten mit seinen schlechten Angewohnheiten erstellen um sich abzureagieren.


Eingereicht am 10. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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