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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Reglos

©Steno R.

Nein. Es lief schon lange nichts mehr glatt. Ihre Ehe war ein einziger Scherbenhaufen. Und schuld an allem war sie. Zwar beteuerte sie immer wieder, dass sie ihn liebte, aber aus irgendeinem Grund Misstraute er ihr. Er hatte schon immer das dumpfe Gefühl gehabt, dass sie ihn hinterging. Er wusste nicht wie, ob sie nun einen anderen hatte oder ob sie heimlich mehr Geld verbrauchte als ihr eigentlich zu stand. Das war auch egal. Sie hinterging ihn das stand fest.
Das es heute Abend zu diesem Knall kommen musste war irgendwie vorprogrammiert. Schon morgens hatten sie sich wegen einer "Kleinigkeit", wie sie es nannte, in die Harre gekriegt. Er sah die ganze Sache etwas anders. Er konnte ihre immerwährenden Angewohnheiten und Ticks nicht mehr ertragen. Seit 20 Jahren versuchte er nun schon ihr Abzugewöhnen Dinge im Haushalt zu erledigen, während er noch nicht sein Frühstück beendet hatte. Mit stiller Ignoranz, ja Boshaftigkeit, wie er vermutete, setzte sie sich permanent über seine Bitten hinweg. Es war ein einziger Machtkampf. Aber er würde seinen Stiefel bis zum Letzten durchdrücken. Bis zum letzten. Sie sollte wissen, dass er der stärkere war, in dieser Beziehung. Wenn ich die Machtkämpfe im Büro regeln kann, so dachte er, dann werde ich wohl auch mit meiner Frau fertig werden.
Seit einiger Zeit hatte er auch das Gefühl, dass seine Anstrengungen fruchteten und sie sich langsam, aber wehrend sicherlich, sich seinem Willen beugte. Er musste jetzt nur Härte zeigen und sich nicht von ihrer Sentimentalität einlullen lassen. Sie liebte ihn mehr als alles andere auf der Welt, dessen war er sich bewusst. Sie war so einfach zu verletzten und einzuschüchtern.
"Ich lasse mich scheiden!", brüllte er sie an, "Ich habe keinen Bock mehr auf deine ständige Ignoranz, auf deine ständigen Nervereien. Weißt du, für mich ist es auch nicht leicht. Du sitzt hier, schmeißt den Haushalt, mehr schlecht als recht. Und ich reise fröhlich in der Welt herum. Oder was? -Nein! Ich arbeite! Ich arbeite hart, damit du dir dieses Leben überhaupt leisten kannst. Ohne mich wärst du eine Null. Völlig aufgeschmissen. Nichts hättest du, gar nichts. Und hör' mir auf mit dem "Ich liebe dich!"-Gesülze. Du nutzt mich nur aus. Mit dem "Ich liebe dich" ist es jetzt vorbei! Jetzt stehst du vor dem Nichts." Sie weinte. Er zitterte vor Erregung. Schon als Kind hatte er sich vor seinen cholerischen Anfällen hüten müssen. Dies war wohl so ein cholerischer Anfall gewesen. Na und? Sie hatte es nicht besser verdient.
Das ständige Geschluchze ging ihm auf die Nerven. Er musste raus. Irgendwohin, egal wohin. In die nächst beste Kneipe, sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken. Das war das einzige, was ihn jetzt wohl noch zur Ruhe brachte.
Er verließ das Haus, ohne sie noch einmal anzuschauen. Er schmiss die Türe hinter sich zu. Setzte sich in den Wagen und fuhr in die Innenstadt.
Er fand sich auf dem Boden des Hausflurs wieder. Seine Stirn blutete, zumindest schloss er das, da er etwas rotes, zähes auf seinem Gesicht spürte, dass von oben herunter rann. Er hatte versucht sich an den Kopf zu fassen, hatte den Versuch jedoch wieder aufgegeben, da seine Hände ihm nicht mehr gehorchten. Sie waren taub. So taub, wie sein ganzer Körper. Er konnte nicht einmal um Hilfe rufen.
Was war nur geschehen? Das letzte woran er sich erinnern konnte, war ihre Streiterei. Seltsamerweise schwirrte ihm ihr weinendes Gesicht immer und immer wieder im Kopf herum. Was war nur geschehen?
Er blickte auf die weiße Decke des Hausflurs, blickte an die Wand mit dem übergroßen Bild seines Lieblingsmalers, blickte auf die Treppe, die sich rechts von ihm nach oben wand.
Schauend hoffte er, dass bald jemand käme um ihm zu helfen. Doch es kam niemand.
Vermutlich schlief sie. Dass sie gegangen war, konnte er sich nicht vorstellen.
Wie er so dalag, dachte er darüber nach, wie es wohl weitergehen würde. Wenn sie nun doch gegangen war. Wenn er nun völlig alleine im Haus war, ihm niemand helfen würde. Er war sich sicher er würde unter diesen Umständen die Nacht nicht überleben. Er fühlte sich hilflos, wie ein kleines Kind. Und was war wenn sie nun tatsächlich gegangen sein sollte? Vielleicht würde sie morgen früh noch einmal kommen, um ein paar ihrer Sachen abzuholen. So lange hätte er vielleicht durchhalten können. Hätte er doch nicht all diese Sache zu ihr gesagt!
Plötzlich hörte er von oben, wie eine Türe aufgetan wurde. Er versuchte wieder sich zu regen oder irgendwie auf sich aufmerksam zu machen. Doch vergeblich. Es ging nichts mehr so, wie er es wollte. Völlige Machtlosigkeit hatte seinen Körper übermannt.
Er hörte Schritte. "Ist da jemand? Karl bist du es?", hörte er ihre Stimme fragend. Sie war also da. Oh Gott, danke! Sie war da, durchfuhr es ihn. Er hätte vor Freude schreien können, doch blieben seine Lippen stumm. Komm doch runter! Bitte komm runter!
Sie kam. Sie wusste nicht genau warum, sie sich vergewissern wollte, aber sie ging hinunter.
Sie zuckte kurz vom Schreck ergriffen zusammen und tat einen leisen Schrei. Beim Anblick der Blutlache, die da in ihrem sonst weißen Flur stand, musste sie zu nächst einen leichten Brechreiz unterdrücken. Sie rannte die Treppe hinunter, bückte sich zu ihm herab, fuhr ihm kurz beruhigend durch sein Haar. "Alles wird gut! Ich rufe einen Arzt!" Diese Worte kamen so mühelos über ihre Lippen. Sie hatte sofort erkannt, dass sein Zustand mehr als schlecht war. Er hatte sie nur flehend mit seinen Augen angestarrt. Nicht der kleinste Laut war über seine Lippen gekommen. Ganz davon zu schweigen, das eine Regung seinen Körper durchlaufen hätte. Nichts. Da war nichts. Keine Stärke.
Lange hatte sie im Krankenhaus gewartet. Hatte sich die Zeit mit nervösem Auf- und Abgehen auf dem Flur der Notaufnahme vertrieben.
Wie sollte es nun weitergehen? Bei seinem Zustand befürchtete sie nichts Gutes. Hoffentlich konnten die Ärzte ihm überhaupt helfen.
Als endlich ein Arzt den Flur, der ihr trotz Beleuchtung unendlich dunkel und lang erschien, betrat, stürzte sie auf ihn zu. "Wie geht es ihm? Sagen sie mir er schaffte es!", redete sie auf den Arzt ein und ergriff ihn voller Rage am Kragen.
Der Arzt trennte sie mit einer beruhigenden Handbewegung von sich und begann ihr sachlich und ruhig die Situation zu schildern. "Es sieht wohl so aus, als würde ihr Mann es schaffen. Er ist noch nicht ganz über den Berg, aber wir haben gute Hoffnung, dass er es schafft.
Ich muss ihnen jedoch leider mitteilen, dass ihr Mann vermutlich nie wieder der alte sein wird. Er wird nicht mehr laufen und wahrscheinlich nicht einmal mehr reden können. Er hat schwerste Kopfverletzungen davon getragen. Ich kann ihnen nicht einmal sagen, ob er sich an sie erinnert und sie erkennt. Eigentlich können wir nicht mal sagen, ob er seine Umwelt überhaupt noch wahrnehmen kann. Sie werden vermutlich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Erhebliche Pflegekosten kommen da auf sie zu. Das System, na ja. Kommen sie einfach nächste Woche noch einmal zu mir, ich werde sie da beraten." Bei den letzten Worten des Arztes begann sie zu weinen, fing sich jedoch bald wieder. Es musste weitergehen, sie wusste noch nicht genau wie, aber sie würde es schon schaffen. Sie konnte ihm nicht im Stich lassen. Er war ihre Liebe. Ja, sie hatten sich gestritten und er war oft nicht so nett gewesen, wie sie es sich gewünscht hätte. Aber tief im Inneren, das wusste sie, war er der nette Kerl von damals.
Als sie sein Zimmer betrat und auf ihn schaute, wie er reglos dalag, wäre er am liebsten zu ihr gegangen und hätte sie in seine Arme geschlossen. Er wusste nun, dass sie ihn liebte. Warum hatte er nur all die Jahre daran gezweifelt? Nun musste sie gar nicht viel als Beweis tun. Einfach nur die Türe auf machen und zu ihm gehen.
"Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst… Hoffentlich erkennst du mich noch. Karl. Ich liebe dich. Ich werde bei dir bleiben und mich um dich kümmern. Ich lasse dich nicht im Stich. Hörst du? Ich liebe dich. Wirklich." Gerne hätte er etwas erwidert. Aber er war machtlos. Gerne hätte er ihr gesagt, dass er ihr dankbar war. Aber es ging nicht so, wie er es wollte. Gerne hätte er ihr einfach nur gesagt, dass er nun Begriffen hatte, wie sehr sie ihn tatsächlich liebte. Das er sie sah. Das er sie hörte. Eine Träne lief über seine Wange und sie wusste, dass er sie verstand.


Eingereicht am 29. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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