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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Momentaufnahme

©Dorothee Sachinian

An der Ampel muss ich stehen bleiben. Ich bin mit meinem Fahrrad unterwegs zum Einkaufen. Ich stehe auf einer kleineren Seitenstraße und vor mir quert die große Hauptverkehrsader, die ich passieren muss. Ich beobachte, was um mich herum passiert. Nur zwei Personen stehen an der Ampel rechts von mir, deren zugehöriger Zebrastreifen meine Straße kreuzt. Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich die beiden beobachte. Durch etliche Baustellen in der Gegend ist die Verkehrsführung geändert und beide Ampeln stehen eine zeitlang auf Rot. Die Personen gehören zusammen. Das kann ich unschwer erkennen. Ein junger Mann und ein junges Mädchen halten sich liebevoll im Arm und warten, dass die Ampel für sie auf Grün springt, damit sie die Straße gefahrlos überqueren können. Der Bursche hat seinen rechten Arm um die Schultern des etwas kleineren Mädchens gelegt. Sie hat ihren linken Arm um seine Mitte gelegt.
Da es bitter kalt ist, so kurz vor Weihnachten, sind beide in dicke Kleidungsstücke eingemummelt. Ein dicker, etwas längerer, dunkelgrauer Anorak schützt den jungen Mann gegen die Kälte. Er trägt dazu blaue, etwas schlabberige Jeanshosen und dicke braune, geschnürte Winterstiefel. Mit den dicken Profilsohlen der Stiefel scharrt er ungeduldig am Bordsteinrand, immer die Ampel und den Straßenverkehr im Blick. Eine dicke Wollmütze schützt seinen Kopf gegen den beißenden Wind. Er hat sie tief in sein Gesicht gezogen. Zwischen der Mütze und dem hochgeschlagenen Kragen der Jacke sind helle, wachsame Augen zu sehen, die immer wieder zwischen seiner Begleiterin und dem aggressiven Straßenverkehr hin und her pendeln. Die von der Kälte rot gefärbte Stupsnase und die roten Backen verschwinden fast hinter dem Kragen. Auf dem Rücken trägt er einen etwas abgenutzten, scheinbar älteren Stoff-Rucksack, der platt herunterhängt und dabei über den Arm seiner Partnerin hängt. Vielleicht gehen die beiden gleich einkaufen oder über den kleinen Weihnachtsmarkt, der ganz in der Nähe abgehalten wird.
Das Mädchen ist ebenfalls mollig eingepackt. Dicke, wetterfeste Schuhe und eine dunkle Jeans werden von einer dicken hellblauen Jacke bis zur Hüfte verdeckt. Die hält es mollig warm und aus ihren Ärmeln schauen dicke braune Lederfäustlinge hervor. Den Reißverschluss hat es bis fast ganz nach oben gezogen und den Kragen etwas hochgeschlagen. Ein dicker dunkelblauer Schal liegt darin, doppelt um den Hals gewickelt, die Enden locker verknotet. Es hängen lange Fransen am Schal, welche vom ungnädigen Wind heftig durcheinander gewirbelt werden. Das fröhliche Gesicht dieser jungen Frau wird von mittelblondem, halblangem Haar umrahmt, in welchem der Wind zaust. Die Bäckchen sind rot wie kleine Äpfel und strahlende Augen spiegeln lebhafte Fröhlichkeit wider.
Sie bewegt den Kopf immer wieder, um die Haare aus dem Gesicht zu schütteln. Sie sieht ihren Begleiter an, mit dem sie sich die ganze Zeit unterhält. Der junge Kerl hat die Ampel im Blick, doch das hindert ihn nicht, mit seiner Partnerin zu sprechen und zu diskutieren. Die beiden ins Gespräch Vertieften gestikulieren lebhaft mit ihren dicken Fäustlingen. Zusammen strahlen sie ein wunderbares Bild von Verständnis, Liebe und Zusammengehörigkeit aus, was ich schon lange nicht mehr beobachtet habe. Ich fühle, wie die Zeit stehen bleibt, während ich in ihrer Beobachtung versinke. Das stürmische Wetter spielt keine Rolle mehr.
Doch endlich springt ihre Ampel auf Grün. Voller Elan und in einander angepasstem Tempo überquert dieses harmonische Paar die Ampel. Da besteht kein Zweifel, sie sind ein eingespieltes Team, was noch eine Menge zusammen vorhat. Sie sehen nicht aus, als ob ein scharfer Wind sie einfach umwehen könnte.
Ich muss nun wieder auf den Verkehr achten, denn ich darf gleich losfahren. Das Paar ist aus meiner Sicht verschwunden und zielstrebig um die nächste Häuserecke gegangen.
Ich vergaß: Beide leiden ganz offensichtlich an Trisomie 21, dem so genannten Mongolismus.


Eingereicht am 25. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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