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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Schlangen und der Löwe

© Torsten Jäger

Beben war gar kein Ausdruck. Es schien, als vibrierte mein ganzer Körper. Noch hatte ich die Gelegenheit, einfach aufzustehen und zu gehen. Schließlich war es keine Schande. Ich brauchte ihn nicht zum Leben - viele besaßen gar keinen und waren auch glücklich.
Doch das war nicht mein Fall, einfach zu fliehen - nicht mehr.
Wie würde ich mich dann auch fühlen?
Tiefe Täler hatte ich bisher schon durchlaufen, die Zähne zusammengebissen und durch die dunkelsten, dichtesten Wälder hatte ich mich gekämpft! Sollte ich nun etwa kneifen? - Nein!
Allerlei wildes Getier hatte mich teils gepackt auf meinem Weg, doch mir war es immer wieder gelungen, es abzuschütteln, ehe es das lähmende Gift in meine Seele spritzen konnte.
Wieso sollte es nicht auch dieses Mal funktionieren?
Vielleicht war die Hürde ja doch - ein Spießroutenlauf inmitten riesiger Schlangen, die nur darauf warteten, ihre Giftzähne in meine Seele zu schlagen. Und eine solche Attacke, falls sie erfolgreich verliefe für die Schlange, wäre das vorläufige Ende auf der Expedition durch den großen Wald gewesen. Doch was konnte ich anderes tun? Ich musste durch die Schlangengrube - einen anderen Weg gab es nicht. Wenn ich diese Anhäufung von reptilienartigem Getier umgehen wollte, lief ich Gefahr, in einen der nahen Sümpfe zu geraten, in denen ich schon zu oft eingesunken war. Also hieß es Kurs halten!
Blick auf die Uhr - wann war es endlich so weit? Wann würde ich die Höhle des Löwen erreichen und endlich den wirklichen Kampf aufnehmen um mein wahres Ziel? Bald, doch mit jeder Sekunde schlängelten sich mehr und mehr Reptilien in der Grube. Ich wusste, lange würde ich es nicht mehr ertragen. Irgendwann würde meine Reaktionsfähigkeit nachlassen und mich eine der flinken Schlangen erwischen. Irgendwann würde ich ermüden nach ständiger Konzentration und unzähligen Ausweichmanövern.
Was dann? Was würde passieren, wenn ich die Schlangengrube tatsächlich nicht verlassen könnte? Was, wenn ich zwar diese Hürde schaffte, aber den Kampf mit dem Löwen verlieren würde? Wohin würde mich dann meine Reise führen? Würde ich mich - nachdem ich Kraft gesammelt hatte - wieder jenem Löwen zuwenden können? Oder würde der Weg zu dieser Löwenhöhle dann versperrt bleiben und ich müsste mich nach einem anderen Löwen umsehen? Vielleicht - und das war am Wahrscheinlichsten - würde ich mich jedoch auf der Flucht vor dem Löwen in der Dunkelheit des großen Waldes verirren und dann vielleicht in einem der teils tiefen Sümpfe einsinken. Und davor hatte ich Angst.
Doch noch stand ich vor der Schlangengrube und wollte mich mit meinen Überlegungen nicht so recht auseinandersetzen. Wäre dies doch auch töricht gewesen, da die Grübeleien meine Reaktionsfähigkeit, die ich wegen den sich schlängelnden Reptilien benötigte, zunehmend lähmen würden.
Nach langem Warten und einem gedankenschweren Kampf kam endlich der Wächter der Löwenhöhle und führte mich behutsam durch die Schlangengrube. Was würde mich nun in den Gefilden des Löwen erwarten? Würde ich erreichen, was ich erreichen wollte und musste? Konnte es mir überhaupt gelingen, den Löwen zu bändigen und zu verhindern, dass er mich in seinem Heim zerfleischte?
Gedankenversunken - zack bohrten sich Schlangenzähne in meine Seele und das Gift begann auch schlangenschnell seine Wirkung zu zeigen. Meine Knie wurden weicher und weicher auf dem Weg zur Höhle, leichte Benommenheit breitete sich in mir aus, Hände und Füße hingen an mir wie Eisklumpen an einem Schneemann nach einer kurzen Unterbrechung des Frostes. War das das Ende? Konnte ich es nun noch mit dem Löwen aufnehmen - in meiner geschwächten Situation? Das Schlangengift würde mich lähmen. Was, wenn ich deshalb während der Auseinandersetzung mit dem Löwen die Kontrolle über mich selbst verlor?
Ich näherte mich langsam Stück für Stück. Meine Beine schliffen schwer über den Boden, in ihrer Funktion allmählich versagend. Schaffte ich den beschwerlichen Gang dorthin, in die dunkele Höhle?
Schrittweise spürte ich die lähmende Wirkung des Giftes mehr und mehr und schleppte mich dennoch immer weiter.
Die Höhle kam in Blickweite und das Gift schien mich mit aller Macht zu Boden reißen zu wollen. Doch ich schaffte die Schritte bis zum Eingang.
Endlich angelangt öffnete ich die Tür und betrat die Höhle. In meinem Kopf wuselte das Gift nur so herum und schien ihm den Verstand austreiben zu wollen.
Meine Ohren vernahmen noch einige, entfernte Worte eines zweiten Wächters, doch so recht verarbeiten konnte mein Verstand diese nicht mehr. Gelähmt hing er nur in meinem Kopf herum und schien seinen Kampf gegen den Invasor zu verlieren. Der Blick meiner Augen, deren Öffnungen im Spiegel riesig erschienen, wanderte langsam und schwer benommen nach vorn. Nun war es also soweit. Mein Kampf um ein Etappenziel war in seine Endphase getreten. Es war wichtig, dass ich die Auseinandersetzung mit dem Löwen möglichst unbeschadet überstand. Doch ich war mir unsicherer als je zuvor. Das Herz raste, als wolle es seinem eigenen Körper entfliehen, da es sich nicht mehr wohl in dessen Haut fühlte. Die Hände und Füße fühlten sich so eisig an, dass man hätte glauben können, sie gehörten nicht mehr zu dem Organismus, an dem sie unterkühlt und teils zitternd festgewachsen waren. Innerlich tanzte eine Schar Muskeln einen heißen Samba - kein Strang konnte sich entscheiden, ob er sich nun an- oder entspannen sollte. Also zitterten sie alle herum und erzeugten ein schweres Beben in mir.
Alle warteten sie darauf, dass ich in die Schlacht gegen den Löwen zog, dass ich die Hand ausstreckte und das Werkzeug ergriff, das alles in Bewegung setzen würde und damit die annähernd letzte Möglichkeit ausschloss, der Auseinandersetzung dezent aus dem Wege zu gehen. Sollte ich fliehen? Die Zweifel waren gewachsen - sei es durch die Wirkung des Giftes oder aber schlicht durch den bevorstehenden Kampf. Es war keine Schande, einfach einer Situation aus dem Wege zu gehen, der man sich nicht gewachsen fühlte. Der Klügere gab schließlich stets nach. Wollte ich der Klügere sein? Nein, denn letztlich wäre ich dann doch der Dumme gewesen.
Denn ich wusste, es war nun Zeit, endlich die Herausforderung anzunehmen. Einige Schlangen aus der Grube waren mir in die Höhle gefolgt und drohten, mich nun erneut zu beißen. Ich musste endlich handeln. Je schneller ich den Kampf gegen die Raubkatze aufnehmen würde, desto schneller würde alles vorbei gehen.
Also wanderte das zitternde Etwas, das an meinem Arm - scheinbar unbeweglich wie ein Eiswürfel - festgefroren schien, langsam zum dem Werkzeug, das alles entscheiden würde.
Der Weg erschien sehr lang, fast unendlich. Doch schließlich war meine Hand an dem Schlüssel angelangt. Sie drehte ihn um!
Leises Summen erklang und der Löwe zeigte sich von seiner freundlichsten Seite. Das Gift der Schlange verlor mit der Drehbewegung seine Wirkung und die wirkliche Prüfung konnte beginnen.
Ganz langsam hob ich meinen linken Fuß, drückte mit dem rechten aufs Gaspedal und der Fahrschulwagen setzte sich in Bewegung - raus aus dem dunklen Wald, weg von den Schlangen und hin zu einer besseren Zukunft.


Eingereicht am 21. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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