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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Zwischen den Gleisen

© Julika Pulst

In dieser rasenden Zeit musste ich mal wieder von A nach B und hatte Aufenthalt in einem Bahnhof. Vom Hunger getrieben schlängelte ich mich durch die Menschenmassen einem Pizzastand entgegen und dann, mit dem Stück Fast Food in der Hand, postierte ich mich gegenüber an einem Geländer. So vor mich hin kauend und verdauend wurde ich nachdenklich und blickte zurück.
Zwei Männer arbeiteten in dem Pizzastand, gut sichtbar wie in einem gläsernen Käfig. Sie waren ungefähr gleich alt und beide trugen auffällige Pappkappen mit dem Schriftzug des Pizzastandes und dazu passende Kleidung. Nur schwer waren sie voneinander zu unterscheiden. Ich ertappte mich wie ich in Gedanken noch eine Pappmaske in der Form einer Pizza addierte. Fasziniert beobachtete ich die beiden: Lippenbewegung, Pizza mit der Zange auf ein Stück Pappe legen, Lippenbewegung, Geld hin, Geld zurück, Lippenbewegung, dabei normiertes Dauerlächeln. Ihr Zusammenspiel ergänzte sich fast vollständig, wie Dampf und Kolben. Zwischendurch mussten neue Pizzableche aus dem Ofen geholt werden. Ich stutzte. Rasendschnell wurde die Blechpizza in exakt gleich große Stücke zerteilt und mit geübter Hand den übrigen Stücken in der Ablage hinzugefügt. Mit der gleichen Geschwindigkeit wandte sich der Pizzamensch erneut den Kunden zu und fügte sich wieder lückenlos in das Zusammenspiel mit dem zweiten Pizzamenschen ein. Der Ablauf begann von neuem: Lippenbewegung, Pizza mit der Zange auf ein Stück Pappe legen, Lippenbewegung, Geld hin, Geld zurück, Lippenbewegung, Dauerlächeln.
Meine Betrachtung wurde fortwährend von zwischen mir und dem Pizzastand Vorbeieilenden unterbrochen, die ich nur schemenhaft wahrnahm. Ich fokussierte meinen Blick neu, nahm sie ins Visier und schon bald verfolgte ich gebannt jede ihrer Bewegungen.
Die Eilenden schienen streng lineare Wege zu verfolgen, dabei hatte es den Anschein, als würde sie eine unsichtbare Macht auf einem erhöhten aber konstant bleibenden Tempo halten. Die Gesichter der Getriebenen wirkten ausdruckslos und fremd und nur wie von einem über sie Besitz ergreifenden Einheitsgedanken beseelt. Verwundert bemerkte ich, dass es, obwohl sie sich schnell und dicht gedrängt bewegten, sehr selten Zusammenstöße gab, die den Weiterfluss aber auch nur unmerklich verzögerten. Ab und zu beschrieb einer der Gehetzten einen Bogen zu dem Pizzastand, unterbrach dadurch für kurze Zeit den Fluss kaum merklich, um sich ihm kurze Zeit später, einen ähnlichen Bogen beschreibend, wieder anzuschließen. Auf befremdliche Weise fasziniert und erstaunt versuchte ich mein Umfeld als Ganzes zu erfassen: Normlächeln, ausdruckslose Gesichter, lineare Bewegungsabläufe, erhöhtes Tempo, Dampf und Kolben.
Da entdeckte ich ein Kind in der Menge. Ganz still und unbekümmert stand es da und lächelte ein kindliches, unbefangenes Lächeln.
Mit demselben Lächeln hob das Kind auf einmal den Fuß. Es wollte sich in Bewegung setzen, da erstarrte die Miene von Moment zu Moment mehr und mehr. Das Kind schien zu fallen, zu fallen wie in Zeitlupe.
Und als das Kind fiel, als es fiel und stumm schrie, da war keiner da, nicht wirklich da, unendlich weit entfernt. Und es schrie und fiel …
Plötzlich schien auch ich eine Erinnerung lang zu fallen und schloss entsetzt die Augen. Ich hörte mich selbst schreien und riss meine Augen wieder auf. Das Kind war verschwunden. Irritiert und gehetzt schaute ich mich um. Nach einer Weile wurde mir klar, dass ich mich in einem Bahnhof befand, mit lauter Mitmenschen um mich herum. Ich hatte den Grund vergessen, warum ich so abseits stand. Immer noch verwirrt schaute ich auf die Uhr und erschrak.
Schnell schloss ich mich dem Fluss der Hastenden an um nach B zu gelangen.


Eingereicht am 19. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

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