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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Allein

©  Elisabeth Gräfin Yorck von Wartenburg

Schreie. Überall Schreie. Hier hört man ein Kind weinen, dort einen älteren Mann nach Hilfe rufen.
Doch auch andere Geräusche erfüllen die Luft.
Viel schlimmere.
Es ist wie in der Hölle. Überall ist Feuer. Neben dir, vor dir, hinter dir, es ist überall.
Menschen rennen an dir vorbei.
Du kannst nur ihre Schemen erkennen.
Viele von ihnen hast du noch nie gesehen.
Aber du weißt, dass es Menschen allen Alters sind. Das siehst du an der Größe der Gestalten, wie sie rennen und wie ihre Stimmen klingen.
Dort läuft eine Frau. Sie hat lange, blonde Haare.
Aber die sind jetzt fast nicht mehr blond. Du erahnst es eher, als dass du es siehst. Die Haarspitzen sind schwarz. Sie sind angesengt. Plötzlich schreit die Frau. Das letzte Mal in ihrem Leben. Ihr Weg ist zu Ende. Das Letzte, was sie gesehen hat, ist ein brennender Balken. Für ein paar Sekunden verharren die anderen Menschen. Doch nur ganz kurz. Dann rennen sie weiter. Verstreuen sich zwischen den Flammen. Kinder irren orientierungslos umher. Suchen nach ihren Eltern. Ohne Erfolg. Chaos. Überall Chaos.
Es wird immer heißer. Die Flammen kommen immer näher. Sie fressen sich durch den Boden.
Das Parkett zu deinen Füßen schmort.
Jeder Atemzug wird zu einer Qual. Du hustest.
Du musst hier raus!
Die Schreie sind leiser geworden. Sie werden vom Knacken des Holzes und dem Knistern der Flammen verschluckt. Nur noch hier und da stürmen Leute an dir vorbei. Du bist nun einer der Letzten. Plötzlich wirst du dir deiner Angst bewusst. Die Flammen lecken an deinen Kleidern. Dir läuft der Schweiß in Strömen über das Gesicht.
Du rennst los; durch das von Menschen leere Zimmer.
Dann gelangst du auf einen Gang. Nur noch wenige Meter trennen dich vom Feuer. Es wütet ungebändigt und verschlingt alles, was ihm zu nahe kommt.
Aber dich hat noch nicht ergriffen!
Der Qualm reizt deine Augen. Du siehst kaum noch etwas. Während du durch den endlosen Gang stolperst, presst du dir den Stoff deines Hemdes vor die Nase.
Du hast nur noch einen Gedanken.
Du musst hier raus!
Du hältst erschrocken inne. Dicht hinter dir ist ein Teil der Decke eingestürzt. Damit ist der letzte Ausweg deiner Nachfolger versperrt. Ihr Weg endet hier.
Du verharrst einen Augenblick lang und starrst ins Feuer.
Du kannst für diese Menschen nichts mehr tun. Die Schreie der Eingeschlossenen in den Ohren läufst du weiter.
Endlich erreichst du eine Treppe.
Die Stufen knarren unter deinen eiligen Schritten. Du kannst nun niemanden mehr sehen. Du bist allein.
Gerade als du das Erdgeschoss erreicht hast, hörst du einen Hilferuf. Du hältst wie automatisch an. Es ist die Stimme eines jungen Mannes. Doch du siehst ihn nicht.
Du schaust dich um.
Überall nur Flammen.
Du musst weiterlaufen!
Der Ausgang ist nicht mehr weit.
Rette dein Leben!
Du stürmst weiter. Du versuchst deine Ohren vor den panischen Schreien des jungen Mannes zu verschließen. Doch sie werden immer lauter.
Wie eine Sirene. Sie scheinen bis zu deinem Herzen vorzudringen.
Du hältst erneut an und presst deine Hände auf die Ohren. Du willst das Schreien nicht mehr hören. Du musst husten. Deine Lungen scheinen zerbersten zu wollen, als du den Rauch erneut einatmest.
Du hast den Stoff deines Hemdes, der deine Nase vor dem Qualm geschützt hat, losgelassen.
Plötzlich siehst du eine Hand. Sie ragt zwischen zwei herabgestürzten Balken hervor. Sie bewegt sich noch. Es ist die Hand des jungen Mannes. Du blickst dich um. Das Feuer ist ganz nah.
Du musst dein eigens Leben retten!
Doch da ist diese Hand und sie hört nicht auf, sich zu bewegen.
Dieser Mann hat noch Hoffnung! Er hat sein Leben noch nicht aufgegeben.
Du ergreifst die Hand. Zuerst fasst du ins Leere, weil du fast nichts mehr siehst. Doch dann spürst du den Griff des jungen Mannes. Er ist kräftig. Die Hand klammert sich an deiner fest, als wäre jene der letzte Halt seines Lebens. Jetzt kannst du nicht mehr zurück.
Du musst ihm helfen!
Du entwendest deine Hand seinem festen Griff.
Du hast noch immer Todesangst. Und trotzdem beginnst du einen Holzbalken nach dem anderen fortzuschaffen.
Das Loch verbreitert sich. Du aber kannst den jungen Mann nicht erkennen.
Die Hand hat deine losgelassen und ist verschwunden. Aber du weißt, dass der Fremde sie benutzt, um auf seiner Seite den Durchschlupf zu vergrößern. Nur noch wenige Handgriffe, dann hast du es geschafft! Doch du weißt, dass das nicht einfach sein wird. Die Luft enthält nur noch wenig Sauerstoff. Die Hitze scheint dir den Rest deiner Kraft zu rauben.
Zum Ausgang ist nur noch eine kleine Schneise übrig geblieben, die dir noch bleibt, um dieser Hölle zu entfliehen.
Sonst ist überall Feuer. Inzwischen ist das Loch groß genug, so dass der junge Mann sich befreien kann.
Noch immer kannst du nur seine Umrisse erkennen. Du ergreifst wieder seine Hand und ziehst ihn auf die Beine. Der Fremde schwankt, fängt sich aber dann.
Er ist groß. Fast zwei Köpfe größer als du. Sein Gesicht ist rußgeschwärzt.
Er hustet, genauso wie du. Trotz allem erkennst du ihn. Du hattest ihn hier, in diesem Haus, niemals erwartet. Und erst recht nicht, dass er der Letzte sein würde, den du vor deinem Lebensende sähest.
Denn du bist dir jetzt sicher, dass du es hier nicht mehr lebend herausschaffen wirst.
Überall ist Feuer. Neben dir, vor dir, hinter dir, es ist überall.
Doch deine Angst ist verschwunden. Du bist mit einem Mal glücklich. Du hast dein Leben für jemanden anderes geopfert. Obwohl du ihn nicht magst. Obwohl du ihn nicht ausstehen kannst. Obwohl du ihn hasst und ihn am liebsten seit eurer letzten Begegnung nie wieder hattest sehen wollen.
Deine Hand liegt noch immer in seiner. Er schaut dich an, dann zieht er dich hinter sich her, dem Ausgang entgegen. Es ist unglaublich heiß, doch nun glaubst du, du kannst es schaffen.
Mit ihm zusammen. Egal, wie sehr du ihn hasst.
Du hast ihm das Leben gerettet. Jetzt wird er auch deines retten!
Der Ausgang ist nur noch wenige Meter von euch entfernt. Du lächelst.
Du wirst weiterleben!
Da bist du dir jetzt sicher. Der junge Mann lässt deine Hand los und erreicht die Freiheit mit wenigen Schritten. Er blickt sich nicht zu dir um.
Er denkt, dass du ihm folgst. Das tust du auch, doch plötzlich stürzt die Decke direkt vor deinen Füßen zusammen. Du kannst gerade noch rechtzeitig anhalten. Du bist eingeschlossen.
Und allein.
Die Balken vor dir brennen nicht. Sie glühen nur. Du kannst es schaffen, sie aus dem Weg zu räumen. Doch dazu brauchst du Hilfe. Von außen.
Du machst dich an die Arbeit, denn du bist dir sicher, der junge Mann hilft dir von der anderen Seite her.
Du hast ihm ja schließlich das Leben gerettet, also wird er jetzt auch dich retten!
Du schaust durch einen Spalt.
Nur ein Meter trennt dich von deiner Rettung. Doch da draußen steht keiner, um dich zu befreien. Der junge Mann ist fort.
Er hat dich im Stich gelassen!
Nun packt dich wieder die Angst. Du stößt einen Balken fort. Nun kannst du deine Hand durch die verkohlten Bretter schieben. Auf deiner Haut bilden sich Brandblasen. Das Holz ist noch immer heiß.
Du beißt die Zähne zusammen. Du greifst mehrere Male in die Luft. Doch keine Hand drückt die deine. Der junge Mann ist fort.
Erst jetzt begreifst du, was passiert ist. Dein Lächeln ist schon längst erstorben. So wie auch du bald sterben wirst.
Du blickst dich um. Überall ist Feuer.
Du schaust direkt in die Hölle.
Du bist allein.


Eingereicht am 09. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

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