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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Entscheidung

©  Regina Kaute

Eines Morgens, als Ines ihren Briefkasten lehrte, lag da ein kleines Buch mit dem Titel "Der Weg zum Glücklichsein". Es war ein wundervolles Buch. Da ihre Ehe in den letzten Jahren nicht so gut lief, wie sie es sich vorstellte, vergrub sie sich seit kurzer Zeit in solchen Werken.
In diesem Buch las sie: " Manchmal kommt man sich wie ein Blatt vor, das der Wind über eine schmutzige Straße wirbelt, oder wie ein Sandkorn, das irgendwo feststeckt. Aber niemand hat behauptet, das Leben sei etwas Ruhiges oder Geordnetes. Das ist es nicht. Man ist weder ein zerrissenes Blatt noch ein Sandkorn - jeder kann sich mehr oder weniger seinen eigenen Weg vorzeichnen und ihm folgen."
Ja, das waren wahre Worte. Sie schürzte die Lippen und dachte über all die vielen gelebten Jahre nach. Da gab es schon viele schöne Stunden und Erlebnisse in den 28 Ehejahren mit ihrem Mann, aber in der letzten Zeit, seitdem das einzige Kind nicht mehr bei ihnen wohnte, stellte sich heraus, dass es so viele, eigentlich zu viele Unstimmigkeiten gab. Er zeigte oft Desinteresse für das, was sie tat und hatte andauernd etwas zu bemängeln. So fühlte sie sich verletzt, verlor an Selbstvertrauen und stumpfte langsam innerlich ab. Dann aber wieder gab es Stunden, wo er liebevoll und zärtlich war.
Im Laufe der Zeit hatten sie sich ein kleines Häuschen angeschafft, es gemeinsam zu einem recht gemütlichen Heim gemacht. Aber was nützt das alles schon, wenn man im Inneren sehr unglücklich ist.
Als sie sich eines Abends wieder stritten, war es genug. Den ganzen Mut zusammennehmend sprach Ines: "Pass auf, so kann es mit uns nicht weitergehen! Ich möchte mich auf mein Zuhause freuen, möchte einen Partner, mit dem man reden kann, der lieb zu einem ist und nicht rumkommandiert und meckert! Darum habe ich mich entschieden, einmal alleine in Urlaub zu fahren, um über alles nachzudenken. So hast auch du Zeit zu überlegen, wie es weitergehen soll, aber wie es jetzt ist, geht es nicht. Wir machen uns kaputt, machen uns unglücklich."
So buchte sie für sich und eine Freundin eine Woche "Türkische Riviera". Die Freundin war eine ältere, sehr rüstige und nette Frau, die sie verstand und mit der sie reden konnte.
Ein Hotel wurde gesucht, das schön gelegen war, nicht zu groß und über Sauna, Fitnessräume und natürlich Türkisches Bad verfügte. Ines wollte sich entspannen, die Seele baumeln lassen und vor allen Dingen sich über viele Dinge Klarheit verschaffen. Immerhin war sie schon 46 Jahre. Die Zeit des Lebens schritt voran, sie wollte glücklich sein und innere Ausgeglichenheit finden. Ob ihr Mann sich auch Gedanken über ihre weitere Zukunft machen würde? Sie wusste im Moment nur eines, dass sie den ersten Schritt getan hatte, um "auszubrechen" bzw. etwas zu verändern. Alles Andere würde sich zeigen.
Ihre Freundin war sehr einfühlsam, konnte gut zuhören und Ines fühlte sich wohl und unbeschwert.
Die Sonne schien, es waren 30 Grad, das glasklare Meer lud zum Baden ein, Palmen und wunderschöne Hibiskussträucher säumten die Anlage. So blinzelten beide Frauen beim ersten Rundgang in die Sonne, sogen die warme laue Luft in sich hinein und freuten sich. Gegen Abend saßen sie am Meer und beobachteten den Sonnenuntergang.
Diese fast tropisch warme Luft ließ die ganze Alltagslast von Ines abfallen und ein Lächeln umspielte ihren Mund. Die Sonne neigte sich gen Meer, vom Goldgelb zum Glutrot und dann versank sie langsam. Es war ein wunderschönes Naturereignis.
Am nächsten Tag nach dem Frühstück war erst einmal Friseurtermin. "Ich bin Meister", sagte der türkische Friseur und legte Hand an, um sein ganzes Können zu zeigen. Kleine hellbraune Strähnchen gaben dem blonden Haar von Ines Pfiff und sie fühlte sich gleich selbstsicherer und schöner. Dann war endlich Baden angesagt. Man lag in der Sonne, Schatten, las, badete, redete und freute sich. Ab und zu war ein Platschen von lachenden Jungen zu hören, die um den Swimmingpool tobten und ein bisschen Aufregung in die friedlich daliegende Runde brachten. Na, ja, die Überschwemmungen waren schon ganz schön und ein leichter Ärgernis und Beschwerde Richtung Vater wurde getätigt, der dann auch zur Ordnung aufrief.
Nach dem Abendbrot und Spaziergang durch die Stadt wurde die Bar aufgesucht. Da herrschte ein ganz schönes Treiben. Die paar Tische waren fast belegt. Also setzten sich beide Frauen zu einem Pärchen und man lernte sich gegenseitig kennen. Der Alkohol lockerte die Zungen und es wurde gelacht und gescherzt. Leider war um 24.00 Uhr Schluss mit dem Getränkeausschank. Da Ines noch Durst hatte, kroch sie durch die Öffnung in die Theke und zapfte sich ein Bier, war ja "All Inclusive".
"Och", sagte der Mann auf dem Barhocker. "Ich möchte auch noch ein Bier."
"Kein Problem, bitte." Sie schob das Bier rüber und erkannte den Mann. Es war der Vater der Jungen. Erst jetzt bemerkte Ines sein sympathisches Äußeres, sein schelmisches Lächeln. Es war wie ein Blitz, der in diesem Moment durch ihren Körper fuhr. Eine innere Aufregung ganz anderer Art war da. Solch ein Gefühl gab es schon lange nicht mehr. Seine gepflegte Erscheinung, die braunen Augen, die sie neckisch musterten und seine Art zu reden gefielen ihr ungemein. Er konnte zuhören und zeigte Interesse. Fingen da nicht an, kleine Schmetterlinge im Bauch zu fliegen? Sie vergaßen die Zeit, die Leute, merkten nicht, dass sie auf einmal nur noch alleine dasaßen und redeten.
Er war geschieden, nach 25-jähriger Ehe und gönnte sich mit seinen 2 Jungen einen Urlaub. Er erzählte von seiner Ehe, von seiner Trennung. Ines hörte aufmerksam zu und konnte es fühlen, wie unglücklich er gewesen sein musste, um diesen Schritt zu wagen, von seinem Zuhause und seinen Kindern fort zu gehen. Sie merkte, wie schwer ihm diese Entscheidung fiel, aber stellte auch fest, dass er sich jetzt frei und glücklich fühlte. Ein neuer Lebensabschnitt hatte für ihn begonnen und er genoss ihn sichtlich.
Ob sie auch den Mut hätte, solch einen entscheidenden Schritt zu wagen?
Ja, dazu gehörte schon eine Portion Mut, ein neues Leben anzufangen.
Ulf war auch noch ein paar Jahre jünger als Ines, erst 42 und seine Probleme, die zu diesem entscheidenden Schritt führten, schienen größer zu sein.
Ulf war es auch aufgefallen, dass Ines im Moment nicht glücklich war.
"Wollen wir spazieren gehen?", fragte er auf einmal, sah Ines tief in die Augen, zog sie langsam zu sich heran und küsste sie zärtlich. "Nein", sagte Ines, "lieber nicht, außerdem bin ich schüchtern und … Es ist schon spät, ich möchte jetzt lieber schlafen gehen."
"Schade, ob diese Stimmung noch einmal wiederkommt?", sprach er, brachte sie zur Zimmertür, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand Richtung Fahrstuhl.
Total verwirrt und wiederum von unsagbaren Gefühlen überwältigt legte sich Ines schlafen und fiel in einen traumlosen Tiefschlaf.
Am Morgen aufwachend war sie froh, das sie sich nicht näher eingelassen hatte, obwohl eine starke Anziehungskraft von diesem Mann ausging. Na ja, es war ja Urlaub und ein bisschen Flirten und Reden, was war schon dabei. Diese Gespräche aber hatten unwahrscheinliche Wirkung. Dieser Mann übte einen starken Einfluss auf sie aus. Welche Ziele verfolgte er? Wollte er nur helfen? Mm, das wäre ja der erste Mann. Die meisten wollten ja nur das Eine.
Oder? Immerhin, so viel Erfahrung hatte Ines mit Männern noch nicht. Sie hatte ja ihren Mann ziemlich früh kennen gelernt und dann auch bald geheiratet. Davor gab es vielleicht ein oder zwei Jugendlieben. Ach, es war schon schwer.
Also vertraute sie sich ihrer Freundin an, um einen Rat bezüglich dieser Situation zu erhalten. Diese riet ihr, die ganze Sache nicht zu ernst zu nehmen und das Wichtigste - es nicht zu stark an sich heran kommen lassen. Das würde letztendlich sehr schmerzen und wehtun. Das ist natürlich leicht gesagt, wenn man immer in Gedanken ein Mannesbild vor sich sieht. Dabei wollte sie doch nachdenken, über ihren Mann, über ihre Ehe.
So ging sie mit gemischten Gefühlen zum Strand, ließ sich auf die Liege fallen, machte die Augen zu und döste wieder vor sich hin. Dann hörte sie das helle Lachen der Kinder, die nun endlich ausgeschlafen mit ihrem Vater die Liegen einnahmen und dann ins Wasser sprangen, was natürlich wieder von einigen daliegenden Gästen als etwas störend empfunden wurde.
Ines blickt hoch und ihre Blicke trafen sich. Ganz verlegen und rot werdend drehte sie sich schnell um. Wau, sie brauchte eine Abkühlung. Sie fühlte sich wie ein Teenager.
Zum Glück hatten sie nachher Programm mit türkischer Sauna und Massage. Da würde sie auf andere Gedanken kommen.
So verging wieder ein schöner Urlaubstag. Die Freundin lernte am Abendbrottisch auch einen netten Mann kennen, mit dem sie sich sehr gut unterhielt. Danach ging es wieder an die Bar.
Ines konnte es nicht verhindern. Automatisch suchten ihre Augen ihn. Es dauerte auch nicht lange und er saß auf dem Barhocker von seinen Kindern umringt, mit ihnen plaudernd.
Ja, was machen? Am liebsten wäre Ines aufgesprungen und hingeeilt, aber durfte sie das? Wieder trafen sich die Blicke. Sie fasste sich ans Herz, stand auf und ging zu ihm. Was sollte schon passieren. Er freute sich sichtlich und ein Stein fiel ihr vom Herzen. So wurde es wieder ein schöner Abend. Die Kinder gingen zu Bett und wieder saßen beide da.
"Was bist du für ein Sternzeichen?", fragte er auf einmal.
"Stier, wieso?"
"Mm", er überlegte kurz und stellte dann fest, dass das Sternzeichen "Stier" nicht zu seinem passte.
"Na ja", sagte Ines, "was spielt das für eine Rolle. Wir haben Urlaub und verstehen uns gut. Nach dem Urlaub geht eh jeder wieder seine Wege. Also lass uns die verbleibende Zeit noch genießen und etwas Spaß haben."
Oh, was waren dies für Worte, hatte sie zuviel Raki getrunken? Aber es war so schön.
Sie erzählte ihm von ihrer Ehe und er versuchte ihr einige Ratschläge und Hinweise zu geben.
Dann gingen sie doch spazieren und es blieb nicht aus, wenn zwei Menschen sich mögen, in einer lauen Sommernacht … Sie kamen sich näher, küssten sich, gingen zusammen schwimmen …
Als Ines ins Bett ging, freute sie sich, einen Menschen kennen gelernt zu haben, der ihr das Gefühl gab, attraktiv und schön zu sein und ihr dadurch half, ihre Selbstachtung und ihre Moral zu stärken. Die Beziehung zu Ulf war außergewöhnlich, etwas Besonderes, Einmaliges.
Im Innern wusste Ines, das sie diesen Mann nie wieder sehen würde, aber er würde immer als etwas Gutes und Schönes in ihren Gedanken bleiben. Es war Schicksal, das sie beide zusammengebracht hatte und niemand konnte ihr dies nehmen.
Ihrem Mann, ihrer Ehe würde sie noch eine Chance geben. Aber jetzt gab es ja noch ein paar schöne Urlaubstage. Der Kopf war frei, sie fühlte sich gut. Sie wollte die restlichen Tage erholsam verbringen und freute sich am Abend auf den Mann, der ihr die Augen über das Leben in netter Art geöffnet hatte.
Sie wusste jetzt, dass man glücklich ist, wenn man nette Menschen um sich hat, wenn man auch für andere Menschen wichtig war.
Ja, wie hatte Ulf gesagt: "Vertrauen haben, anständig und ehrlich miteinander umgehen. Das wünsche ich mir für die Zukunft. Dann werde ich auch glücklich sein."
Auch wenn viele Schmetterlinge im Bauch von Ines waren, erkannte sie doch, dass sie im Innern ihres Herzens ihren Mann noch liebte.
Sie wollte und musste etwas unternehmen, um ihre Beziehung zu retten. Sie würde mit ihm reden über sich, über ihn, was geändert werden muss, würde nichts unversucht lassen. Sogar eine Eheberatung zog sie in Betracht.
Aber eines war sie sich gewiss. Falls sich in ihrer Ehe nichts änderte, würde sie sich von ihrem Mann trennen und einen Neuanfang wagen.
Noch war es nicht zu spät, auch wenn sie schon 46 Lenze zählte.
Ihr Entschluss stand fest. Sie würde diese Herausforderung annehmen und auch bestehen.
Sie wollte glücklich sein und würde es schaffen, mit oder ohne Mann.


Eingereicht am 05. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

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