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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Noch eh der Hahn kräht

©  Kornelia Jäger

Lautes Klirren, Scheppern und Schreie hatten sie aus dem Schlaf aufschrecken lassen. So schnell sie nur konnte war Marie in das Badezimmer gehastet, mit einem Satz über den Badewannenrand gesprungen und hatte den Duschvorhang blitzschnell hinter sich zugezogen. Nun kauerte sie in der äußersten Ecke der Wanne, die Beine ganz nah herangezogen und presste die Stirn gegen ihre Knie. Das kleine Herz pochte. Mit aller Kraft wünschte sich an einen anderen Ort oder wenigstens, dass sie unsichtbar würde. Mama und Papa sollen aufhören, ich will das nicht hören. Die Handflächen an die Ohren gedrückt und die Augen fest zugekniffen kauerte sie in ihrem Versteck und zitterte und weinte. Irgendwann in dieser Nacht schlief sie erschöpft ein.
Als das Morgenkrähen eines Hahnes durch das geöffnete Badezimmerfenster hallte öffnete sie ihre geschwollenen Augen. Es war still geworden in der Wohnung. Vorsichtig schlich sie zum Zimmer ihrer Eltern. Ein übler Geruch lag in der Luft. Papa schnarchte. Schnell kroch sie zu ihrer Mutter unter die Bettdecke. "Leise Marie, ganz leise", flüsterte Mama und drückte sie an sich. Marie spürte wie eine Träne ihrer verzweifelten Mama auf ihre Nase tropfte und blieb regungslos in ihren Armen liegen.
Es folgten noch viele, viel zu viele solcher Nächte für Marie. Und immer wieder die Flucht in ihr Versteck, und immer wieder dieses Gefühl der andauernden Trostlosigkeit.
Mittlerweile war Marie zu einer Frau herangewachsen und seit einigen Jahren verheiratet. Als sie sich in diesen Mann verliebte, hatte er ihr wahnsinnig imponiert. Sie war jung und naiv, er erfahren und souverän. Sie fühlte sie sich beschützt und umsorgt, nichts ahnend, dass er nur eine Frau brauchte die ihm ein häusliches Fundament sicherte, während er einer finanziellen Karriere hinterher jagte, die er um jeden Preis erreichen wollte. Täglich schien es als würde er härter und unmenschlicher "Keine Gnade dem Feind" mittlerweile eines seiner höchsten Prinzipien. Während er in der harten Geschäftswelt sein Leben meistern musste war Marie diejenige, die von seinem hart erkämpften Geld lebte. So stand es ihm einfach zu, in ein gepflegtes, sauberes Zuhause heimzukehren. Ohne Kompromisse. Er duldete Nichts und Niemand, der diesen einseitigen Pakt durcheinander bringen könnte. Keine Nachbarn, keine Freunde und schon gar keine Kinder. Kinder waren für ihn quälende Ungeheuer, die ständig den Zwang zu Kompromissen forderten. Marie hatte sich schon oft die Frage gestellt: Warum gehst du nicht einfach? Aber so einfach war es nicht für sie. In all den Jahren hatte er ihr den Kontakt zur Außenwelt genommen und war so der einzige Mensch, der ihr geblieben war. Sie musste es nehmen wie es war, ob sie wollte oder nicht. Ihre Liebe war längst erloschen und ihr Selbstbewusstsein verloren, unter stetem Druck von nicht enden wollenden Demütigungen. Die dann den absoluten Höhepunkt erreichten wenn er zu viel Bier getrunken hatte und sich von ihr nahm, was er ihre ehelichen Pflichten nannte. Danach schlief er, schnarchte, derselbe üble Geruch ihrer Kindheit lag in der Luft. Sie schlich ins Bad, zog den Duschvorhang zu und kauerte sich weinend in eine Ecke der Badewanne. Marie ist wieder das kleine Mädchen, empfindet das gleiche schmerzliche, beängstigende Gefühl ... Plötzlich, ganz weit aus der Ferne hört sie das Krähen eines Hahnes und auf einmal ist es wie der Schrei der Erlösung. Niemals zuvor war sie sich so sicher. Noch eh der Hahn morgen kräht will ich nie wieder in mein Versteck flüchten und nie wieder diese verdammte Niedergeschlagenheit spüren.
Als einige Stunden später ihr Mann das Haus zur Arbeit verlassen hatte, packte Marie einen Koffer und fuhr mit dem Taxi zum Flughafen. Der freundlichen Dame am Check in übergab sie ein Oneway-ticket mit Ziel Hawaii. "Oneway, sind Sie sicher?", ihre erstaunte Frage. "Ja, absolut", antwortete Marie mit fester Stimme und fügte lächelnd hinzu "Es gibt kein Bier auf Hawaii und ich hoffe auch keine Badewannen!"


Eingereicht am 05. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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