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Die Ohrensucher von Lefkos

Von Astrid Gatol


Maria sehe ich weiter hinten am Strand, suchend in den Ritzen der Felsen. Und ihren Mann am Wasser hockend, die kleinen Steinchen durchwühlend. Maria war vor 23 Jahren zum ersten Mal hier. So wie sie, erkennt man die frühen Besucher dieses Fischerdorfes daran, dass sie in gebückter Haltung die kilometerlangen Strände entlang gehen, suchend.
Vielleicht ist es ein geheimes Ritual? Ein von Eingeweihtem zu Eingeweihtem weitergegebenes Erkennungszeichen? Oder doch nur ein running-gag für insider? Wenn nicht - was suchen sie?
Abgesehen von versteinerten Muscheln, bunten Steinen, antiken Scherben. Abgesehen davon, weil man die nicht suchen muss. Dafür braucht man sich nur einfach zu bücken. Aber sie gehen die Strände entlang, jeden Tag, immer wieder. Manchmal wird etwas aufgehoben, begutachtet, weggeworfen oder behalten.
Christiane kommt auch schon 13 Jahre hierher. Meine Freundin Christiane. Diese wunderbare große, laute, lachende Frau . Sie erzählt vom Zauber dieses Ortes, den er ein bisschen zu verlieren scheint. Sie erzählt von einem Artikel in einer deutschen Zeitschrift über diesen Ort, geschrieben von Björn Engholm - wahrscheinlich auch einer der Sucher. Sie erzählt von Hans, der manchmal Gitarre spielt, wenn Sofia singt. Hans, dem Pionier von Lefkos. Wir vermuten, dass er immer noch denselben Sonnenhut trägt.
Orte verändern sich, immer. Nicht nur durch mehr Touristen. Und Menschen verändern sich. Nach zwei Jahrzehnten sieht man Dinge und auch Orte unweigerlich anders, selbst wenn sie sich kein bisschen verändert hätten.
Ich versteh schon, dass die Pioniere ihrer "griechischen am Strand in den Schlafsack kuscheln"-Idylle nachtrauern. Diesen "ein paar Fischerhütten, Lagerfeuer und Gitarre und Sandstrände, für jeden einen, und Langusten und Brot zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen "-Traum gern wieder hätten. Ich hab ihn ja auch erlebt. An anderen Orten.
Nun, so ist das nicht mehr. Das Meer ist noch da und die Brandung rauscht mich in den Schlaf und weckt mich am nächsten Morgen. Die Stunden in den Tavernen. Man sitzt da und schaut: den Leuten zu, den Wellen zu, den Hunden zu, den Katzen zu, einem jagenden Falken zu. Jeden Tag werden die Stunden in der Taverne mehr. Und dann schlendert man wieder am Strand entlang, leicht gebückt, suchend. Steckt seinen Sonnenschirm in den Sand, hoffend, dass er nicht davon fliegt, weil der angenehm kühle, der geniale Meltemi bläst. Man schaukelt ein bisschen in den Wellen ... vergisst, dass heuer wieder mehr Leute gekommen sind. Dass es drüben am Badewannenstrand kein freies Plätzchen mehr gibt. Vergisst den Preis, den man für ein Kilogramm Pfirsiche bezahlt hat. Vergisst, dass kriechende Kulturfolger die Kinder hysterisch machen. Vergisst, dass nicht nur liebenswerte Zeitgenossen die Ferienflieger in die alten Idyllen besteigen dürfen.
Warum aber kommen die frühen Gäste immer wieder? Warum sind sie nicht weitergewandert, weitergereist in ein anderes Paradies?
Halten sie die Kinder an diesem Ort? Das ist auch etwas ganz Besonderes: Kein Kind, dem hier langweilig ist. Sie bewegen sich frei, tun was sie wollen: Stundenlang angeln, in den Wellen herumtollen auf coolen Boogie-Boards, kichern über die sich paarenden Hunde, streicheln die kleinen und großen Katzen und spielen, spielen, spielen. Rechtfertigt die Unterhaltung der Kinder das Immerwiederkommen?
Nein ... und Ja. Ja, weil das ein Grund ist, um überall hin immer wieder zu kommen. Nein, weil ... oder besser, nicht nur... weil...
… Christiane hat mir das Geheimnis verraten. Ohren! Genauer gesagt: Muschelohren, also versteinerte Muschelverschlüsse findet man hier. Sie sind wunderschön, besonders die roten, und werden manchmal zu Schmuckstücken verarbeitet.
Ich vermute, sie werden an jedem Strand angespült. Aber nur Lefkos hält jeden fest, der einmal damit begonnen hat, hier Ohren zu suchen ... vielleicht.
Jedenfalls solange man sie noch findet.

Lefkos, Karpathos, Griechenland, Juli 2003



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