Ostergeschichten

Ostern - Ostergeschichten - Osterhase - Ostereier - Osterfest

Bemalung: Marianne Schaefer


Buchtipp

Patricia Koelle
Alles voller Himmel
Roman
ISBN 978-3-939937-11-1

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Ein Palmstock mit unbändigen Allüren

© Enrico Andreas Brodbeck

Nach der fünften Jahreszeit folgt die Fastenzeit, die meinem Neffen Rüdiger überhaupt nicht behagte. Eine Woche vor Ostern wird mit dem Palmsonntag die Karwoche eingeleitet und man gedenkt an diesem Tag des Einzugs Jesus in Jerusalem, als er auf einem Esel in die Stadt ritt und ihm mit Palmwedeln gehuldigt wurde. Der Tradition folgend hat man die Palmwedel durch reich verzierte Palmstöcke ersetzt, die bei Kindern sehr beliebt sind. Mein Neffe freute sich auf diesen Sonntag, da er davon ausging, dass Jesus an diesem Tage in die Kirche kommen würde.

"Jerusalem ist da, wo ich mit meinem Palmstock wedele", waren seine überzeugten Worte.

In diesem Jahr hatte die Kindergartenleitung beschlossen, dass die Kinder gemeinsam mit den Eltern am Palmsonntag in der Kirche erscheinen sollten. Für das tapfere Durchhalten der Fastenzeit sollten die Kinder mit einem Palmenstock belohnt werden, der mit allerlei Süßigkeiten geschmückt war. Für die Fertigung des Palmenstocks hatte man die Väter in die Pflicht genommen. Das war natürlich das Stichwort für meinen Bruder, der jederzeit versuchte für seinen Sohn möglichst alles in die Tat umzusetzen. Meiner Schwägerin behagte das überhaupt nicht, da mein Bruder ein ausgesprochener Kindskopf ist, der seinem Sohn nebenbei so manchen Schabernack beibrachte. Aber mit dem Palmstock hatte er wirklich eine Glanzleistung hingelegt. Einen vorgefertigten Stab vom Nussbaum hatte er kunstvoll mit Buchsbaumzweigen und buntem Krepppapier geschmückt. Die Buchsbaumzweige waren mit erlesenen Süßigkeiten bespickt und obenauf thronte auf einem rot glänzenden Apfel ein Gockel, aus Milchbrötchenteig, der mit zwei Rosinen als Augen bespickt war. Meinem Neffen gefiel diese Art der Entschädigung für die Fastenzeit sehr gut. Stolz wie Oskar, probte er einen Tag vor Palmsonntag im Wohnzimmer den Einzug in Jerusalem und kam zu den überzeugenden Schluss, dass es einige Portionen Leberwurstbrote bedurfte, um für den Kirchgang am Palmsonntag ausreichende Kraftreserven zu haben.

Mein Neffe liebte Leberwurstbrote mit Mostart. Natürlich durfte nicht nur gewöhnlicher Senf auf die Brote. Senf, das hörte sich für ihn nach Heulsusen an und mein Neffe wähnte sich eigentlich schon als ganzer Kerl.

Am Abend vor dem großen Fest ging er gut gelaunt ins Bett und schlief sofort ein. Um so verwirrter war er, als seine Mutter am frühen Palmsonntagmorgen mit einer überschäumenden Heiterkeit ins Kinderzimmer kam und ihn weckte. "Aufstehen mein Spatz", flötete sie ihm regelrecht ins Ohr, bevor sie mit einem Ruck das wärmende Bettzeug beiseite zog. Mit einem gekonnten Griff schnappte sie sich ihren Sohn und verschwand mit ihm ins Badezimmer. Schlaftrunken ließ Rüdiger die Sonntagmorgen- Reinlichkeitswäsche über sich ergehen. Erst als seine Mutter sich anschickte ihm die Festtagskleidung über zu streifen, wurde ihm unbehaglich. Ausgerechnet einen Matrosenanzug sollte Rüdiger nach dem Willen seiner Mutter an diesem außergewöhnlichen Tag tragen.

Leicht missmutig trat er wenig später ins Wohnzimmer, wo sein Vater mit der neuen Kamera auf ihn wartete. Mein Bruder war sich sicher, dass sein Sohn ihm einmal dankbar sein würde für die gemachten Fotos. Außerdem hatte man dann genügend Anschauungsmaterial, um Onkel, Tanten, Omas und Opas damit zu behelligen, ob sie nun wollten oder nicht..

Der Palmsonntag schien für Rüdiger nichts gutes zu verheißen. Nach dem Frühstück machte sich die Familie auf den Weg zur Kirche. Schon beim Aufnehmen des Palmstockes hatte Rüdiger das seltsame Gefühl, als würde ihn der Gockel mit zornigem Blick anstarren. Auch während des Kirchgangs verhielt sich das Mistvieh nicht nach Rüdigers Willen. Es hatte den Anschein, als wolle der Gockel mit aller Macht zu Boden um dort zu picken. Alle Versuche, den Palmstock gerade zu halten schienen von geringem Erfolg gekrönt zu sein. Jede Richtungskorrektur von seitens Rüdigers, wurde von Gockel meisterlich pariert. Es bedurfte somit die volle Aufmerksamkeit, so dass Rüdiger das Umfeld kaum wahrnehmen konnte.

Unter diesen Umständen wurde er sehr ärgerlich. Wieso konnte dieser blöde Gockel nicht wie all die anderen Vögel empor in die Lüfte steigen und ihm somit ein wenig beim Tragen unterstützen?

Die Leute die ihnen unterwegs begegneten, schickten sich an höflich zu grüßen. Dabei hafteten ihre Blicke auf Rüdigers ungewöhnlichem Aufzug. Erst als eine ältere Dame mit ihrem Rollstuhl vor ihm stehen blieb und sie ihn ausgiebig musterte, war die Verwirrung bei Rüdiger perfekt.

"Ach ist der niedlich", sagte sie mit zittriger Stimme, "wie damals zu Kaisers Zeiten". "Mein Hans sah genauso aus wie du, aber nun lebt er nicht mehr!" Rüdiger schaute hilfesuchend zu seinem Vater empor, von dem er aber keine Schützenhilfe bekam. Rüdiger konnte es kaum fassen. Da trug er nun nach Meinung dieser alten Dame "Des Kaisers neue Kleider" und musste sich obendrein noch mit einem störrischen Gockel herum schlagen.

An der Kirche angekommen, fiel ihm auf, dass es den Kameraden aus dem Kindergarten bezüglich der Kleiderordnung ebenso hart getroffen hatte. Wahrscheinlich hatten sich die Mütter bei einem Kaffeekränzchen abgesprochen und das Beschlossene am heutigen Palmsonntag in freudiger Erregung in die Tat umgesetzt.

Schnell hatte die Erzieherin aus dem Kindergarten ihre Gruppe formiert und schickte sich an im Gleichschritt in die Kirche zu marschieren. Erst an der vordersten Reihe angekommen, mussten sich die Väter nach Anordnung einreihen, um neben ihren Sprösslingen Platz zu nehmen. Das war auch gut so. Rüdiger betete unterdessen zum Herrn und hoffte inständig, dass das Mistvieh auf seinem Palmstock wenigstens vor dem allmächtigen Herrn Respekt hat. Aber dem war nicht so. Vielmehr schien es so, als wäre der Gockel beim Einzug in die Kirche, dass wiederum dem Einzug einer römischen Legion glich, zum Kampfhahn mutiert. Es sah so aus, als wolle er seine Kontrahenten mit aller Gewalt auszuschalten.

Nicht minder erging es dem Jungen neben ihm, dessen Gockel anscheinend ähnliche Kapriolen vollzog. Bei dieser Kampfeslust, kamen sich die Palmstöcke mit einem male gefährlich nah. Währen die Väter der beiden Knaben nicht geistesgegenwärtig beherzt dazwischen gegangen, wer weiß, was unter den gestrengen Augen des Herrn Jesus Christus passiert wäre. Gekonnt griffen sie fast zeitgleich unter den Gockel und richteten den Palmenstock wieder auf. Rüdigers Meinung stand in diesem Moment fest:

"Palmstock tragen ist doof!"

Die Messe zog sich erwartungsgemäß noch ein wenig hin. Nach dem Hochamt bedankte sich der Pfarrer bei den vielen Kindern mit ihren reich verzierten Palmstöcken und ebenso dankte er den Eltern für ihre Mithilfe. Zum Schluss trällerte die Gemeinde noch ein "Hosianna in der Höhe" und der Akt war vollbracht. Rüdiger wähnte sich sicher, dass nach dem Zwischenfall für ihn das Tragen des Palmstocks passé war. Aber dem war nicht so. Auf dem Heimweg schien es so, als würde der Gockel in der letzten Runde als überragender Sieger hervor gehen. Ohne unterlaß pendelte der Palmstock in alle Richtungen, da der Gockel starke Verbündete. Die Gravitation und der Wind taten ihr Bestes um dem armen Kind die Freude am Palmstock gänzlich zu vermiesen. Als Rüdiger nach leidvollem Weg endlich vor ihrem Haus stand, taten ihm sowohl die Arme als auch die Hände weh. Und Lust am Tragen hatte er schon lange nicht mehr.

Weil das leidige Thema "Palmsonntag" aber noch nicht ausgestanden war, stand zum krönenden Abschluß noch ein "Fotoshooting" im Vorgarten auf die Tagesordnung. Rüdiger musste sich samt der Hassliebe zum Palmstock in Pose stellen und gute Mine zum bösen Spiel machen. Und weil mein Bruder bemüht war besonders schöne Photos zu machen, musste der arme Junge zwölfmal die Stellung wechseln. Mal hingen das Krepppapier in seinem Gesicht, dann war der Palmstock zu hoch, dann wieder zu niedrig, dann lächelte er nicht deutlich genug, dann mussten die Osterglocken noch mit aufs Bild, dann Bild mit Papa und einmal mit Mama, und zu guter Letzt gab der Gockel dem geplagten Jungen den Rest und ging endgültig zu Boden.

Erst als die Jungen aus der Nachbarschaft abseits standen und hämisch grinsten, hatte mein Bruder endlich ein Einsehen.

"Na, mein tapferer kleiner Leichtmatrose", neckte er ihn, "dir ist wohl die Kraft von deinen Leberwurstbroten zu Neige gegangen!"

Mit einem beherzten Griff erlöste er meinen Neffen von seiner schweren Last und sie gingen gemeinsam ins Haus. Zuvor schnitt Rüdiger den Nachbarjungen aber noch eine lange Nase.

In die Küche angekommen, machte sich Rüdiger sogleich über den Plagegeist her. Erst schnitt er dem harmlosen Gockel die Füße ab, damit er nicht mehr flüchten könne. Dann schnitt er ihm die Flügel ab, damit er nicht wegfliegen könne. Dann schnitt er ihm den Schnabel ab, damit er nicht mehr krähen könne. Und zu guter Letzt pulte er dem Gockel die Rosinenaugen heraus, damit dieser das Elend nicht mehr mit ansehen brauchte. Mein Bruder und meine Schwägerin waren natürlich bestürzt über die aggressive Vorgehensweise ihres Sohnes, erkannten aber, dass der Palmstock eine schwere Bürde für ein kleines Kind wäre.

Ich lachte herzhaft über diese Geschichte, als mein Neffe zu Besuch war und mir den Hergang bis ins kleinste Detail genau schilderte. Ich dachte in diesem Zusammenhang an die Palmsonntage mit meinen Eltern und erkannte, dass sich an der Tradition nicht viel geändert hatte. Ich erzählte ihm noch ein paar Anekdoten aus meiner Zeit und wir kamen gemeinsam zu der Überzeugung, dass es leichter sei wie Jesus, Elias und Moses vierzig Tage zu fasten, als an einem Palmsonntag einen zentnerschweren Palmstock zu tragen, auf dem ein Gockel mit unbändigen Allüren thront.

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Die Zeitschrift bella meint in ihrer Ausgabe 2/2010:
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