Ostergeschichten

Ostern - Ostergeschichten - Osterhase - Ostereier - Osterfest

Bemalung: Marianne Schaefer


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Patricia Koelle: Alles voller Himmel. Roman. Buch und eBook
Patricia Koelle
Alles voller Himmel
Roman
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Der kleine Osterhase

© Karl-Heinz Ganser

In der Woche vor Ostern fuhr ich mit meiner vierjährigen Enkelin Sarah in die Stadt. Es war ein milder Apriltag und so schlenderten wir gemächlich durch die Fußgängerzone. Unter dem Fenster eines Bäckerladens saß ein älterer Mann und bettelte. Neben ihm stand ein kleiner Spielzeughase, den er von Zeit zu Zeit liebevoll streichelte.

"Opa, warum sitzt der Mann hier?" Meine Enkelin sah mich mit ihren großen dunkelbraunen Augen fragend an und blieb stehen.

"Weil ich fast blind bin und nichts zu essen habe!", sagte der alte Mann mit mürrischer Stimme. Jetzt tastete er nach dem braunen Osterhasen, drehte ihn auf und stellte ihn dann neben eine verrostete Tabakdose, in der einzelne Centstücke lagen. Der Hase schlug seine Hände zusammen und eine helle Stimme piepste: "Danke, danke!"

Sarah schaute begeistert erst das Stofftier an und dann auf das kleine Körbchen, in dem einige bunte Schokoladeneier lagen.

"Kann der Osterhase noch mehr sagen?", fragte sie den Mann.

"Ja, aber nur, wenn einer viel Geld in die Dose tut."

"Opa, hast du hundert Euro?"

Ich schüttelte den Kopf. "So viel Geld hab ich nicht und außerdem ..."

Der Alte unterbrach mich: "Kleines Mädchen, dein Opa ist so wie die andern. Die geben immer nur ein paar Cent."

"Nein!", entrüstete Sarah sich: "Mein Opa gibt dir alles was er hat. Dann kannst du dir viele Brötchen kaufen."

Der krank aussehende Mann rückte seine Sonnenbrille zurecht und lächelte sie an: "Wie heißt du eigentlich?"

"Ich heiße Sarah", sagte sie stolz.

"Ein schöner Name, meine Tochter hieß auch so." Seine Stimme klang auf einmal sehr traurig.

"Und wo ist sie jetzt?", fragte Sarah.

"Sie ist tot; alle sind tot, ich bin auch bald tot." Er nahm die Brille ab, wischte sich über die Augen und legte mit einem Seufzer seine Hände auf die angewinkelten Knie.

Sarah sah ihn erstaunt an. "Betest du, weil du bald sterben musst?" Sie schien zu überlegen. "Aber dann brauchst du den Osterhasen doch nicht mehr, oder?"

Etwas zögernd fügte sie hinzu: "Kann ich den dann haben?"

Der Mann sah sie erstaunt an, zögerte einen Augenblick, nahm dann aber spontan den zotteligen Hasen, streichelte ihn noch einmal und gab ihn meiner Enkelin.

Danach hielt er ihr noch das Körbchen mit den kleinen Schokoladeneiern hin und sagte: "Nimm dir auch noch zwei Eierchen hier heraus!"

"Danke, danke", rief Sarah begeistert und hielt das Tier hoch. "Opa, guck mal, was ich bekommen habe. Jetzt musst du dem armen Mann aber hundert Euro geben!"

Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Was hatte da meine Enkelin nur angestellt. Ich wollte dem Mann doch nicht einen großen Schein geben.

Einige Leute waren inzwischen stehen geblieben und tuschelten miteinander.

Ich sah den alten Mann ratlos an. Der aber grinste und meinte spöttisch: "Ja, Opa, jetzt stehst du da!"

Sarah hatte mich die ganze Zeit angesehen und, als ob sie meinen inneren Kampf mitbekommen hätte, sagte sie dann kopfschüttelnd: "Opa, du brauchst dem Mann nur zehn Euro zu geben, denn von mir bekommt er noch ein Bild dazu!"

Sarah kramte aus ihrer kleinen Umhängetasche ein Stück zerknittertes Papier. Sie strich es liebevoll glatt und legte dann das selbstgemalte Bild mit einem graugrünen Osterhasen neben die Tabakdose.

Ich atmete erleichtert auf. Dann griff ich schnell in die Hosentasche, zog die Geldbörse heraus und sah - es waren nur zwanzig Euro drin. Trotzdem nahm ich den Schein, gab ihn Sarah und sagte: "Da, gib ihm das Geld!"

Sarah besah sich den Schein, nickte und legte ihn in die Dose.

"Jetzt hast du wieder Geld und jetzt kannst du dir Brötchen kaufen, nicht wahr?", sagte sie sehr ernst zu dem alten Mann.

"Sarah", murmelte er und blickte sie liebevoll an, "du bist so ein liebes Mädchen. Ach, wie schön wäre es auf der Welt, wenn die Großen auch manchmal wie Kinder sein könnten."

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